Samstag, 7. Dezember 2013
Nicht-Tagebuchbloggen: 93
wie sie ja wissen, sind wir vor genau einem jahr und einer woche aus dem rotlichtmilieu in die bourgeoisie gezogen. ein randgebiet der stadt, welches sich durch gutbürgerlichkeit, große grundstücke und eine unüberschaubare anzahl von senioren, die alle ihre hecke besonders akkurat geschnitten haben, auszeichnet. ich will mich nicht beklagen, die infrastruktur ist bestens, unser haus ist schön, und die probleme, die man mit dem 103-jährigen zierrasenfetisch-nachbarn hat, sind deutlich geringer und zeitlich wohl überschaubarer als die mit den zuhältern, mit denen wir zuvor zu tun hatten. die schule für den nachwuchs steht schon fest, den flughafen können wir zu fuß erreichen aber nicht hören, etc. alles gut. alles gut?

nein. unser ort mit den dörflichen strukturen nimmt zugezogene zwar auf, doch immer wieder werden uns die annehmlichkeiten der alteingesessenen verwehrt. bislang war mein lieblingsbeispiel der metzger. es gibt hier einen metzger, der in fast allen bevölkerungsschichten sehr angesagt ist. demnach stehen immer zwischen 6 und 8 fleischereifachverkäuferinnen hinter der theke, allerdings stehen auch 35 bis 40 kunden davor. der laden ist klein, also steht man grundsätzlich in viererreihen im laden. bedient wird streng nach dem senioritätsprinzip. erst die ganz alten alteingesessenen, dann die jüngeren alteingesessenen, dann der schützenverein, dann die zugezogenen. das beobachtete ich einige zeit mit leichtem unmut, dann, vielleicht im märz oder april, kam eine alte dame ca. 10 leute nach mir rein, wurde allerdings vor mir aufgerufen. namentlich. ich hatte das kind im auto im halteverbot sitzen, wollte also gerne vor frau krause bedient werden, da ich ja mindestens schon 10 minuten länger als frau krause wartete. also beugte ich mich leicht nach vorne und sagte: "entschuldigung, ich war vor frau krause an der reihe." dann passierte folgendes: die fleischereifachverkäuferinnen, alle auch im seniorenalter und sehr resolut, erstarrten allesamt für ein paar sekunden, dann stieg ein leichter schwefelgeruch auf, dann beschwerte sich frau krause, dann lächelte ich nett und blieb beharrlich, und dann wurde ich bedient. jetzt weiß ich nicht, ob es einen kausalzusammenhang zwischen dem vorfall und der tatsache, dass ich immer keine grillwürstchen bekomme, gibt, doch de facto bekomme ich immer keine grillwürstchen. die saison ist ja zum glück vorbei, doch im sommer passierte es regelmäßig, dass ich samstags um 13 uhr 10 grillwürstchen kaufen wollte, und dann waren die aus, während die senioren neben mir 1 grillwürstchen kaufen wollten, woraufhin die bedienung sich leicht nach vorne lehnte und flüsterte: "ich hol ihnen eben eins von hinten."

soweit zu unserem dorfmetzger. da schicke ich jetzt immer den mann hin, damit ich mich nicht ärgern muss, außerdem überragt der die senioren ja um mehrere köpfe und kann so alles gut im blick behalten. heute musste ich allerdings einmal beim metzger um die ecke, in die apotheke. der mann ist ja krank und muss ausreichend mit medizinalprodukten versorgt sein. ich kam rein, an der theke standen 2 angestellte und eine kundin, typ seniorin. sie kaufte dinge im wert von rund 3 euro, ich kaufte dinge für über 20 euro. dann sagte der nette junge apotheker zu der seniorin: "frau lorenz, gestern kam ja der nikolaus zu uns und hat für unsere kunden etwas dagelassen", drehte sich um, verschwand kurz und kam mit einer großen hand voller lindor zurück. ich beendete die transaktion, die apothekerin fragte: "wollen sie eine tüte?", ich verneinte und verließ mit medizinalprodukten und ohne schoko den laden.

kunde in unterrath. wäre ich sozialwissenschaftler, könnte ich da jetzt zu arbeiten. gibt es einen betrag, ab dem man kunde ist? oder sind es nur die jahre? und wenn ja, welche? lebensjahre oder ansiedelungsjahre? ganz egal wie dem auch sei, ich habe die hoffnung, dass ich in spätestens 30 jahren grillwürstchen kaufen kann. dann sind wir richtig angekommen.

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