Dienstag, 2. November 2021
Prognose
Ein Termin wurde verschoben, und ich habe ein wenig Zeit gewonnen, also kann ich doch noch Punkt 2 erläutern, der dazu führte, dass ich heute nicht gut geschlafen habe. Es ist nämlich so, dass ich gestern vormittag nach dem Ausschlafen, Aufstehen und Wachwerden dann wieder eingeschlafen bin, und deshalb hatte ich einfach zu viel Schlaf. Das passiert selten bis nie, aber es war ja ein Feiertag in NRW, und den galt es zu nutzen. Ich schlief also ein, dabei lief irgendwas auf YouTube, und als ich wieder wach wurde, war ich scheinbar in der Zeit rückwärts gegangen und hörte aus dem mobilen Endgerät eine sehr angeregte Gesprächsrunde von vier Menschen, die ich schätze, nämlich Tilo Jung, Hans Jessen, die besonders geschätzte Ulrike Hermann von der taz und Albrecht von Lucke. Das Gespräch stammt aus dem Januar 2021 und beinhaltet eine Menge Wahlprognostik. Wenn man am 1. November wach wird und das hört, ist es sehr lustig, da exakt gar keine einzige Prognose dieser durchaus klugen und gut informierten Menschen so eingetroffen ist, darunter auch eine ganze Reihe von Prognosen, die als komplett alternativlos von allen vier Diskutanten angesehen wurden. Ein sehr häufig gesagter Satz ist: "Wir alle wissen, dass Schwarz-Grün kommt." Alle nicken. Die SPD weiß, dass Schwarz-Grün kommt, die Grünen wissen, dass Schwarz-Grün kommt, die Union weiß, dass Schwarz-Grün kommt, alle wissen, dass Schwarz-Grün kommt und dass das nicht mehr abwendbar ist. Ups, nicht gekommen. Alle wissen auch, dass die SPD bis auf Weiteres unter ferner liefen spielt, und dass es nur noch zu verhindern gilt, dass die Partei komplett zerfällt. Ups. Scholz wird Kanzler. Alle wissen zudem, dass Söder der Kandidat der Union wird, weil Laschet das ja gar nicht kann. Ups. Stimmt, Treffer, Laschet kann das nicht, aber das hat ja nun auch niemanden davon abgehalten, ihn aufzustellen. Interessant, interessant, und wir können hier viel lernen, nämlich unter anderem, dass innerhalb eines halben Jahres alles sich so drehen kann, dass die Welt einfach komplett neu ist. Da braucht es nicht mal eine Pandemie für. Dass die Grünen ins Kanzleramt einziehen, hat auch im Januar niemand gesehen, nicht einmal, wenn vielleicht noch einmal so ein richtig dürrer Sommer kommt, der die Deutschen mit dem Klimawandel konfrontiert. Ich möchte erinnern, dass wir exakt das Gegenteil eines dürren Sommers hatten, ganze Teile Deutschlands sind einfach final abgesoffen, und ups. Niemand, der das politisch hätte nutzen können, konnte davon profitieren, auch wenn es pietätlos klingt, hier von Profit zu sprechen.

Inspiriert von dieser Diskussion, die in sich so stimmig und nachvollziehbar klang, die aber 9 Monate später in allen Punkten widerlegt ist, hob ich gestern abend im kleinen Kreis zu einem Monolog an, prognostizierte auch mal was, wovon ich denke, dass es stimmig und nachvollziehbar klingt, und wettete um eine Flasche Veuve Clicquot demi-sec, der mich ja neulich bei Frau N so überzeugt hat. Einzulösen 2029. Und das prognostiziere ich:

Der Linksrutsch ist ja ausgeblieben, und jetzt wird eine Ampel zusammengezimmert, die der Bevölkerung ja bereits im Vorfeld in einer Reihe von Social Media Beiträgen als der große Durchbruch in die Neuzeit verkauft wird. Ich prognostiziere, dass im Laufe der nächsten vier Jahre hier alle nur verlieren können, alle bis auf einen, nämlich Christian Lindner. Olaf Scholz, dessen geheime Superkraft ja nicht Strahlkraft ist, sondern, dass man ihn einfach permanent vergisst und er sich deshalb sogar größte Wirtschaftsskandale und den Einsatz von Brechmittel erlauben kann, ohne dass jemand sich das merkt, wird genau so blass bleiben, wie er ist, für nichts stehen, nichts gestalten, nichts verändern und am Ende einfach in die Geschichte eingehen als die Lücke zwischen Merkel und Söder. Ja genau. Das ist nämlich meine Prognose für 2025. Die Ampel hat jetzt vier Jahre, um die Bürger*innen vollkommen zu enttäuschen, und selbst ich als bekennendes Habeck-Fangirl glaube nicht, dass SPD und Grüne in der kommenden Legislaturperiode den Eindruck erwecken können, dass sie ein Land regieren. Zumindest nicht so, wie die Erwartung, die sie schon in der Zeit der Sondierungen geweckt haben, es erfordert. Unbeschadet wird Christian Lindner die vier Jahre überstehen, wenn er nicht irgendwann mit seinem Porsche auf dem Weg zur Rehkitzjagd in eine Kindergartengruppe rauscht. Er hat nämlich die Gabe, kompetent zu wirken, und selbst, wenn er manchmal den Unterschied zwischen brutto und netto nicht kennt, reicht sein Selbstvertrauen ja für 80 Mio Deutsche aus, da braucht es kein Vertrauen mehr von anderer Seite. Er wird also pathetische Reden halten, wird sich, wann immer möglich, von Rot/Grün distanzieren, um dann im Wahlkampf 2025 aufzulaufen mit der Geschichte, dass halt doch nicht jeder Realpolitik kann, und er hätte ja auch 2021 immer für Jamaica plädiert, die Ampel sein ein Experiment gewesen, das leider gescheitert sei. Enter Söder. Der hat 2023 die Wahl in Bayern mehr schlecht als recht gewonnen und drückt sich 2025 mit der Geschichte "Ihr habt ja gesehen, was ihr 2021 davon hattet" als Kanzlerkandidat der Union durch. Das spielt dann auch Lindner gut in die Karten, der kann nämlich - inzwischen haben ja alle die Männerfreundschaft Lindner/Laschet vergessen - auf diesen Zug mit aufspringen und mit den Deutschen vom Kanzler der Herzen träumen. Mit ihm als Finanzminister. Weil die SPD und die Grünen einfach nur noch abgewählt werden sollen, wird Söder bei der Bundestagswahl 2025 ein Ergebnis einfahren, das so gut ist, dass er mit der FDP zusammen regieren kann, und dann ist wieder vier Jahre Mist. In meinem Szenario kommen übrigens ausschließlich Männer in tragenden Rollen vor, was nicht zuletzt daran liegt, dass nach 16 Jahren Merkel-Kanzlerschaft die Beweislast umgekehrt ist und niemand ernsthaft fordern könnte, man bräuchte auch mal eine Frau, zudem ja das zweithöchste Amt im Staat mit Bärbel Bas und einer Riege von Vertreterinnen auch in Frauenhand ist.

Zwischen 2025 und 2029 möchte ich mir gar nicht ausmalen, wie es hier so wird im Land, aber ich prognostiziere, dass am Ende dieser Legislaturperiode abschließend demonstriert ist, dass die Aufgaben unserer Zeit mit einer neoliberal-rechtslastigen Regierung nicht gelöst werden können, die Menschen wachen auf, entscheiden neu, und weil die SPD halt die SPD ist, hat dort auch kaum jemand die Zeit genutzt, den nächsten Wahlkampf vernünftig vorzubereiten, und dann kommt der, für den es ja sogar schon ein Lied gibt, und 2029 geht die Union gemeinsam mit der FDP in die Opposition, der neue Kanzler heißt Kevin, und er regiert mit den Grünen, die bis dahin eventuell etwas professioneller aufgestellt sind, eventuell auch nicht, das traue selbst ich mich nicht zu prognostizieren, und dem, was der Linken nachfolgt. Und dann bekomme ich eine Flasche Veuve Clicquot. Und wenn das alles nicht so kommt, ist das für mich auch total okay.

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Just a dress
Ich bin sehr müde, da ich die halbe Nacht wachgelegen habe, und zwar aus zwei Gründen.

1) Ich habe in meinem Kopf etwa 20 Jahre Kleidungshistorie abgerufen, um mich alle 30 Minuten einmal zusammenzukrümmen und zu denken "NEIN!!". Es war ja so, dass Motten mein absolutes Premiumkleid aufgegessen hatten. In Teilen. Es war ein wunderschönes Kleid einer sehr teuren Marke, es war hübsch, fühlte sich hervorragend an (Wolle und Kaschmir, guten Appetit) und konnte etwas, was nur ganz wenige Strickkleider können: Sogar an mir hervorragend aussehen. Dabei war es so bequem, dass es einer Belohnung glich, es tragen zu dürfen.

Nun räume ich ja den Kleiderschrank in meinem Zimmer regelmäßig von Sommer auf Winter und zurück, und das bedeutet auch, dass Winterkleider in der Rotation dann kurz andernorts zwischengelagert werden müssen. Einleitend, ja, auch in Leseminute 40 bin ich noch in der Einleitung, sei gesagt, dass ich viele Jahre meines Lebens ganz oft Kleider getragen hatte, dann einige Jahre gar nicht, dann, und das sind vielleicht die letzten 3, wieder hin und wieder. Für hin und wieder hatte ich eine Reihe von recht hochwertigen Kleidern gekauft. Aus der Zeit, in der ich ganz oft Kleider getragen hatte, gab es noch eine nicht unwesentliche Anzahl an Exemplaren, die ich teils als Erinnerung, teils aus Entscheidungsschwäche, und teils, weil ich mir sicher war, dass noch einmal eine Zeit in meinem Leben kommen wird, in der ich da wieder reinpasse, behalten hatte.

Nun ist meine Wohnsituation ja mehrteilig, bestehend aus Wohnung, Gartenhaus und Einliegerruine, so muss man es ja neuerdings formulieren. In allen drei Einheiten stehen bzw. standen Kleiderschränke, die der folgenden Logik unterliegen: 1) In meinem Schlafzimmer steht ein Schrank, in dem die jahreszeitliche Kleidung, aufbewahrt ist, ein kleiner Teil in 2,40 Höhe ist reserviert für gefaltete Wäsche aus der nächsten Jahreszeit. Im Winter liegen dort eine Reihe von T-Shirts und anderen sommerlichen Dingen, im Sommer liegen dort die Wollpullover. 2) Im Gartenhaus befinden sich Dinge wie Abendgarderobe und jahreszeitlich unpassende Kleider. Theoretisch auch Wintermäntel im Sommer, aber wir wollen wem auch immer danken, dass ich das diesen Sommer vergessen hatte. Hier also befinden sich im Sommer alle Kleider aus Wolle und mit langen Ärmeln. 3) Im Kellerschrank befinden sich Dinge, die man so auf den ersten Blick nicht braucht. Hochzeitskleider zum Beispiel. Alles, was man lange vorm Kind gekauft hatte und wo ich beim besten Willen nicht reinpassen würde, sowie einzelne Kleider, die man heute eigentlich nie mehr tragen würde, die aber auch keinesfalls weggegeben werden können. Im Keller fressen sie kein Brot.

Wir halten fest: Schlafzimmer, Gartenhaus, Keller, Schlafzimmer: Was ich heute trage, Gartenhaus: Was ich eventuell in 6 Monaten trage, Keller: Was ich eventuell nie mehr trage.

Dann kam die Sache mit dem vollgelaufenen Keller, und ich kürze einfach ab: Das Drama war ja doch recht groß, wir haben anschließend, da alles wegschimmelte, bis auf die Grundmauern alles rausgerissen. Inklusive der Schränke. Und da ich ahnte, dass mir das an der ein oder anderen Stelle sehr weh tun wird, ich aber überhaupt gar keine Lust hatte, mich von den zu entsorgenden Dingen persönlich zu verabschieden, das hätte ich nämlich schmerzlich gefunden, gab ich Herrn H einen Persilschein, der lautete: Alles, was im Keller ist, ist dort, weil ich dafür in meinem heutigen Leben ja gar keinen Platz habe, also kann das auch weg. Der Keller ist leer.

Dann kam die Sache mit dem Kleid im Gartenhaus, welches ich zu einem Anlass tragen wollte, es ist ja bereits Winter, ich holte es aus dem Schrank und es hatte Löcher. Mottenlöcher. Ich setzte mich in den Sessel und litt still, naja, laut, aber das sagt man so ja nicht, fand glücklicherweise meinen Kaschmirmantel im Flur und nicht im Gartenhaus, wo er hingehört hätte, dann wartete ich einige Tage und bat dann Herrn H., ob er mal in dem Schrank gucken könnte, ob die anderen Dinge auch zerfressen sind. Das tat er, und nein, der Rest sei intakt. So richtig wollte ich das nicht glauben, also wartete ich zwei weitere Tage ab und ging dann selber gucken.

Ich kürze ab. Aus irgendeinem intrapandemisch vielleicht nachvollziehbaren, dennoch vergessenen Grund, habe ich wohl an irgendeiner Stelle in den letzten 2 Jahren fast alle Kleider und Jacken/Mäntel aus dem Gartenhaus in den Keller gebracht. Jacken und Mäntel alle. Nicht fast alle. Kleider hingen dort noch 2. Die sind aber schlecht. Der ganze Rest ist weg. Und jetzt erinnern Sie sich kurz an den Persilschein, mit dem Herr H. einfach unsortiert alles wegwerfen durfte, was sich im Kellerschrank befand, weil das ja nur die alten Erinnerungen aus den Nullerjahren sind. Und das ist Grund 1, warum ich heute nicht schlafen konnte: Ich lag im Bett und erinnerte mich an die Dinge, die in dem Schrank waren, und immer, wenn mir etwas besonders Gutes einfiel, war ich traurig. Und weil der erste Grund jetzt schon so länglich war, muss ich erst mal was anderes machen. Arbeiten zum Beispiel. Früher oder später muss ich neue Anziehsachen kaufen.

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