Donnerstag, 14. Januar 2021
I said sheep, not creep
Bei dem Versuch, wieder eine vernünftige Balance zwischen doof und nicht doof in mein Leben zu bekommen, strebe ich nach einem guten Verhältnis von Erwerbsarbeit und Wald. Ich bin gar nicht zwingend so gepolt, dass ich finde, ich müsse permanent wie so'n Städter waldbaden, ich habe auch in meinem bisherigen Leben sehr viel Zeit im Grünen verbracht, aber in den letzten Tagen habe ich verstanden: Wenn ich es geschickt terminiere, kann ich alleine mit meinem Hund, der nicht viel redet, durch den Wald rennen, also leider nicht ohne andere Leute, die mit ihrem Hund durch den Wald rennen, mein Hund und ich haben aber beschlossen, dass wir die ignorieren und auf direktem Weg zu unseren Freunden gehen. Also meinen Freunden. Auf dem Segelflugplatz oben auf dem Berg sind nämlich derzeit Schafe, eine recht große Truppe, und die haben eine ganze Horde von Babyschafen. Mir war nicht klar, wie cool Babyschafe sind, aber seit vier Tagen sitze ich am "Schreibtisch" und kann irgendwann nur noch an Babyschafe denken, und dann ziehe ich schlammbraune Turnschuhe an und renne los. Zwischen dem Schreibtisch und den Babyschafen liegen laut Pulsuhr 23 Stockwerke, die es zu erklimmen gilt, jeden einzelnen Scheißtag. Das ärgert mich, wohne ich doch extra im platten Rheinland, allerdings an vermutlich dem einzigen Waldrand, wo es nur rauf und runter geht. Das habe ich beim Immobilienerwerb nicht bedacht, man ist ja schnell geblendet, wenn die Mikrolage "Waldrand" lautet. Dass der Weg zu den Babyschafen ein steiler ist, das hätte man mir damals sagen müssen.

Für den Hund ist die Causa Babyschafe insgesamt sehr schlecht, weil die nämlich auf der Rennstrecke stehen. Normalerweise schrauben wir uns die 23 Stockwerke hoch und spielen oben Ball, die Segelflugwiese ist nämlich riesig, ich bin Ex-Handballerin und habe einen Wurfarm. Da kommen ordentlich Meter zusammen. Jetzt stehen die Schafe auf der Wiese, jeden Tag ist der Grundriss ihres abgesteckten Terrains verändert, die Restwiese wird immer kleiner. Seit gestern habe ich keine Lust mehr zu werfen, man kann ja auch rumstehen und Babyschafe angucken.

Bald weiß ich alles über Babyschafe. Eigentlich sogar über die ganze Herde. Es sind zwar sehr viele insgesamt, zu viele, um persönliche Freundschaften zu schließen, aber ich fühle mich ihnen sehr nah. Es gibt zwei Böcke auf - keine Ahnung, ich bin sehr schlecht im Schätzen - vielleicht 100 Schaffrauen, und vom Verhältnis her würde ich sagen, die allermeisten von denen haben ein Schafbaby. Die Damen stehen relativ unbeteiligt rum und grasen ein wenig. Die Herren stolzieren ununterbrochen durch die Reihen und machen Mäh. Ununterbrochen. Ich habe übrigens in den letzten Tagen nicht beobachten können, dass irgendeine Dame auch nur ansatzweise hochguckt. Rar machen, das wussten die alten Griechen schon, ist der bessere Weg. Man darf dabei nur nicht überreizen, schon gar nicht, wenn es noch einen Nebenbuhler gibt. Also machen sie Mäh. Die Kinder spielen. Wie man das präpandemisch von unseren Kindern auch kannte. Heute bin ich zufällig dazugestoßen, wie eine ganze Gruppe in 20 Iterationen "Hin und Herrennen" spielte, und vor lauter Begeisterung über sich selber machten einige permanent Bocksprünge. Das finde ich jetzt etymologisch gerade interessant, bin aber zu erschöpft, den Kluge jetzt zu suchen, insbesondere wegen der 23 Stockwerke.

Als die Babyschafgang fertig war mit Rennen, fielen einige einfach um und schliefen ein, andere stellten sich direkt vor uns und betrachteten minutenlang den Hund. Wenn auch nur eines von denen bloggt, habe ich es genau vor Augen. "Nicht mehr lang, und ich weiß ALLES über Hundebesitzerinnen."

Und dann kam mir ein Gedanke, der mich schon wieder sehr einschüchtert. In den drei Jahren mit Hund hatten wir ja noch nie Schafe auf dem Segelflugplatz. Irgendwann werden die also wieder gehen, es muss ja auch wieder gestartet und gelandet werden. Ich bin dafür nicht bereit. Ich kann nicht Pandemie UND Babyschafverlust bewältigen. Ich habe auf dem Abstieg grob kalkuliert, was es wohl kostet, eine Schafherde zu kaufen, einen Schäfer zu beschäftigen und der Stadt Düsseldorf einen Segelflugplatz abzukaufen. Ich habe allerdings die Befürchtung, dass das nach dem Katastrophenpandemiejahr keine realistische Option mehr ist. Drücken Sie mal die Daumen, dass die Babyschafe noch ein wenig da sind. Ich brauche die derzeit noch als emotionalen Rettungsanker. Und wehe, ich sehe zu Lockdown-Ostern auch nur einen Lammbraten auf Twitter.

Fußnote: Ich hätte ja absolutes Premium-Babyschaf-Belegmaterial. Aber Blogger speichert beharrlich meine quadratischen Bilder auf der Seite liegend ab und ich bin 23 Stockwerke hochgelaufen. Gucken Sie bei Twitter oder stellen Sie sich einfach sehr niedliche Babyschafe vor. Danke.

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Mittwoch, 13. Januar 2021
Creep (kann man nicht oft genug wählen)
So, jetzt habe ich 20 Minuten Zeit, um hier etwas ins Internet zu schreiben, ich habe nämlich Lauch im Ofen. Das klingt wie eine Allegorie, ist aber sehr wörtlich zu verstehen. Mein Ruhepuls ist bei 94, das ist zu hoch, das muss noch weg, aber ich arbeite sehr kontinuierlich daran. Jetzt kann ich das wieder, seit heute Nachmittag trage ich den Pulsmesser wieder, der mir 2017 in Zeiten größter Not die Dinge gezeigt hat, die ich lassen muss, weil sie mich aufregen. So hatte ich zum Beispiel damals einen Kollegen, den ich eigentlich sehr schätzte und mit dem ich auch immer gerne telefonierte, er hatte allerdings so seine Eigenheiten, und auch wenn er zu den Menschen gehörte, die ich mochte, ging mir laut Pulsmesser immer sehr der Puls hoch, wenn ich ihn im Telefondisplay sah. Ich habe mir das zu Herzen genommen und habe ihn immer einfach umgeleitet, damit jemand anderes schon mal hören kann, worum es geht.

So gestalte ich neuerdings mein Leben, heute ist der 13. Januar und ich bin vorsatztechnisch noch voll im Plan. Die Arbeit läuft nach wie vor gut, ich habe mir alle Außenwirkungstermine auf morgen gelegt, dann muss ich mich nur einmal ganz schlimm anstrengen und dann ist schon Freitag. Kind macht brav alles selber und hält sich vornehm im Hintergrund, um niemandem die Frage zu entlocken, wie viele Endgeräte es gerade mit in seinem Zimmer hat, ich ertüchtige mich körperlich ganz brav, bin heute schon bei fast 25.000 Schritten, das Bein hält aber noch, eben war ich im Supermarkt (yay, und ich war sehr liebevoll gekleidet!) und habe mir eine Gesichtsmaske gekauft, und insgesamt mache ich jetzt bis zur postpandemischen Neunormalität nur noch Sachen, die gut für mich sind. Ich mache auch Pläne, das machen übrigens alle drei gerade, und sie sehen sehr ähnlich aus. Ich zum Beispiel werde in Urlaub fahren. Nach Undeloh. Das klingt albern, wird aber super, und ich kann die Fahrt sogar mit einem beruflichen Termin verbinden. Ich wollte vor dem Lockdown gerne nach Undeloh fahren, jetzt fahre ich nach dem Lockdown. Und da werde ich alleine sein. Und das finden alle in diesem Haushalt lebenden Menschen gut. Mann und Kind werden an die Mosel fahren, wahrscheinlich werde ich auch noch mal mit Kind und Hund an die Mosel fahren, insgesamt wird einfach sehr viel rumgefahren, und das ist toll. Wir sitzen quasi abends beim Essen und freuen uns darauf, mal für einen Moment räumlich getrennt zu sein, und das macht es auch schon wieder schön. Die größte Absurdität 2020 war für mich ja Weihnachten, die Zeit, in der Menschen wie ich, die im Normalleben sehr wenig Zeit zuhause verbringen, ganz besinnlich werden, sich dicke Socken anziehen und Zeit "mit den Liebsten zuhause" verbringen. Wenn man bereits 10 Monate Zeit mit den Liebsten zuhause verbracht hat, stellt sich die Besinnlichkeit bei mir nicht so ein. Ich hätte deutlich besser alleine in Undeloh Weihnachten gefeiert und hätte mich ganz bestimmt anschließend auf Zuhause auch wieder gefreut.

Das Konzept des Befindlichkeitsbloggens habe ich mir neulich von einem Bloggerkollegen erklären lassen, und als jemand, der so sozialisiert ist, dass man immer super performt und nie klagt, war das ja eigentlich nix für mich. Ich muss jetzt aber feststellen: Es ist sehr erfrischend, auch mal zu sagen, wenn es gerade nicht so gut geht. Kannte ich nicht. Sehe ich im Internet aber jetzt allerorts, und auch wenn ich wirklich weit davon entfernt bin, mich über das Leid Anderer zu freuen, stimmt es mich meinem eigenen Leid gegenüber ein wenig milde zu sehen, dass auch andere Leute in den Seilen hängen. Wir hängen jetzt ein wenig gemeinsam, hören uns dabei gegenseitig zu, akzeptieren, dass Menschen hin und wieder irrational sind oder sich selbst eine Pause verordnen, die sie dann nicht einhalten, dann werden wir geimpft, und dann wird die Welt wieder besser und ich fahre nach Undeloh. Dann muss ich hier und auf Twitter auch nicht mehr konstant heulen, das wird super, ich freue mich jetzt schon auf das neue, postpandemische Ich. Ich nerve Sie? Naja, das ist dann halt so. Dazu kann ich sagen, dass ich am allermeisten mich selber nerve, und das ist für mich das größere Thema, als wenn ich Sie nerve. Bei Anderen gehe ich ja immer defaultmäßig davon aus, dass ich sie anstrengend finde, an mich selber habe ich hohe Ansprüche. Und das ist, was Corona mit mir macht: Ich muss mich damit abfinden, dass ich doof bin und das Internet super. Gut, dass es einen Impfstoff gibt.

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Dienstag, 12. Januar 2021
Mother (Tori Amos)
Eine der großen Aufgaben der modernen Frau ist es ja, nicht wie die Mutter zu werden. Ich fand es in meinem Fall viel wichtiger, nicht wie mein Vater zu werden, daher habe ich mich darauf konzentriert. Und wie das dann so ist...

Meine Mutter sitzt gerade in der Küche, ich habe mich "aufgrund wichtiger beruflicher Verpflichtungen" ins Wohnzimmer gesetzt, blogge ein bisschen und gucke dabei angestrengt wie eine Managerin. Da fallen immer alle drauf rein. Meine Mutter ist eigentlich ein sehr guter Mensch, hat aber eine kleine Eigentümlichkeit, die ihr Umfeld in den Wahnsinn treiben kann: Das Wiederholen von Themen, gerne über Jahre. Ach. Jahrzehnte.

2003 sind meine Eltern aus meinem Elternhaus in eine Wohnung gezogen, ländlich, alles schön, ich hätte mir gewünscht, in einer solchen Wohnung zu wohnen im Alter. Vor dem Haus war eine Bus-Endhaltestelle, und dieses Thema haben wir insgesamt 17 Jahre bei jedem sich bietenden Anlass besprochen. Dass dem Busfahrer nachts kalt ist und er darum den Motor laufen lässt, okay, aber man schläft ja doch sehr schlecht mit so einem Bus vor dem Schlafzimmerfenster, und der eine Busfahrer hat eine Affäre, die Dame kommt immer im Opel Corsa zu der 30 minütigen Pause, manchmal macht er dann im Bus das Licht aus. 17 Jahre. Manchmal war das mit dem Bus sehr schlimm, manchmal war es gut, manchmal war es mittel, immer musste aber über den Bus gesprochen werden. In der neuen Wohnung sprechen wir über die Tür zwischen Wohnzimmer und Flur. Immer. Täglich.

Deshalb spreche ich schon wieder über Schule. Ich bin meine Mutter. Vermutlich bin ich an dem Punkt schon lange vorbei, an dem ich noch erklären muss, dass ich es ausgesprochen richtig finde, dass die Schulen zu sind. Gestern fand ich ja auch sehr erfreulich, dass es Distanzunterricht jetzt wirklich gibt, also dass Ona von 8.15 bis 13.30 vor dem Laptop sitzt und dort beschult wird. Von Lehrern. Ich fand das super, Ona fand das super, sein Tag hatte Struktur, ich habe höchstentspannt gearbeitet, er war ja in seinem Zimmer und hatte Schule, ich musst auch nix erklären oder tun. Es war alles sehr gut.

Heute hat die erste Lehrerin beschlossen, dass die Kinder ja voll überfordert sind, wenn sie den ganzen Tag "vor dem Bildschirm" sitzen, also gibt es für Latein jetzt wieder Arbeitsblätter. Ich möchte nicht ins Detail gehen, aber ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Ich bin sehr enttäuscht. Morgen also schon nur noch 2 von 6 Stunden Distanzunterricht, Rest Arbeitsblatt. Wenn demnächst die aktuelle Situation überstanden ist, kann ich allerdings sagen: Ich hatte einen ganz guten Tag im Januar.

Das Projekt der Wiedermenschwerdung läuft dennoch wie auf Schienen. Ich habe Arzttermine vereinbart und erwäge sogar, diese wahrzunehmen, ich arbeite genau das, was ich arbeiten muss, (und dennoch ist irgendwie alles gleich, was mir zu denken gibt, ich aber auch darauf zurückführe, dass die Kund:innen alle ähnlich ausgebrannt sind und genau so prokrastinieren wie ich), schlafen kann ich noch immer nicht vernünfig, aber das wird jetzt gekontert mit viel Waldbaden, das macht ja müde, sagt man.

Der Hund lässt übrigens ausrichten: Der Frühling naht. Heute im Wald deutlich fühlbar, habe ich ja die Sorte Hund, der im Normalfall 100% hört und mitdenkt, heute wurde allerdings über Gebühr Quatsch gemacht, das deutet auf nahenden Frühling hin. Es gab sogar Situationen, in denen ich zweimal böse gucken musste, wer meinen Hund kennt, erschaudert an dieser Stelle. Unsere normale Hunderunde ist 8 Kilometer lang, mit einigen Höhenmetern Unterschied. Ich brauche dafür 2 Stunden (inklusive Ballspielen, Waldbaden und was man so macht als Hund), Ona joggt die Runde normalerweise, ist dann nach 40 Minuten wieder da und kann schneller wieder im Bett rumhängen. Leider haben wir mit dem Hund den gleichen Fehler gemacht wie mit dem Kind: Man kann sie nicht müdespielen, man kann nur Kondition aufbauen. Und wenn man jetzt also so viel Zeit mit so einem gut gelaunten Hund im Wald verbringen muss, dann wäre es mir auch ganz recht, wenn wir jetzt einfach wieder Frühling machen könnten. Wie zu Beginn des letzten Lockdowns. Da haben wir ja den Garten gepflegt. Ach verdammt, Hochbeete gebaut hab ich ja schon.

Ansonsten habe ich die gesamte Haushaltsführung wieder in die Hände des 11Jährigen gegeben, was an Tag 2 noch sehr gut funktioniert. Ich konnte noch abwenden, dass er sich zum Frühstück 6 Kartoffelknödel kocht (getauscht gegen Müsli, enttäuschtes Gesicht in Kauf genommen), ansonsten gab es Rührei zum Mittagessen und Nudeln mit Tomatensoße zum Abendessen. Blaubeerpfannkuchen zum Nachtisch. Ich will nicht hoffen, dass er sein gesamtes Pulver heute schon verschossen hat. Ich befürchte nämlich, ein bisschen Pandemie ist noch.

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