Sonntag, 2. Mai 2021
Let it rain
Ich sitze in meiner Küche an der Theke und schaue in den Garten. Ich trage als warnendes Symbol meinen Weihnachtspyjama 2020, Sonne und Wolken wechseln sich ab, was fehlt, ist Regen. Seit Tagen schon droht meine Wetterapp damit, dass es tagelang regnen soll. Tut es aber nicht. Heute wieder. Es sollte regnen, tut es aber nicht. Dabei wäre ich vollkommen bereit, ich bin emotional komplett verstimmt und aus dem Tritt und trage wie erwähnt den Weihnachtspyjama. Ich habe mich darauf vorbereitet, dass es im Pandemiemonat 15 9 Tage grau ist, und da meine App mir den 10. Tag nicht anzeigt, habe ich immer fest daran geglaubt, dass der Frühling dann anschließend wie der Phönix aus der Asche steigt und meine Laune mit in ungeahnte Höhen nimmt. Stattdessen fehlt der Regentag heute, dafür hat die App hinten einen drangehängt. So geht das nicht, das ist Betrug. Ich möchte mit dem Regen schnell durch sein, genau so, wie auch mein Garten mit dem Regen jetzt mal schnell durch sein möchte. Auch dieser befindet sich an einem Kipppunkt. Hyazinthen alle verblüht, dafür blühen jetzt Edelflieder und Herbstflieder, die vielen Schmetterlingsflieder kommen erst im Juli an die Reihe. Wenn es bald mal regnet. Sonst kommt hier gar nix mehr.

Letztes und vorletztes Jahr habe ich versucht, die Pfingstrose auszugraben und zu Kompost zu verarbeiten. Sie steht im Weg. Wie so ein Krebsgeschwür kommt allerdings ein Teil von ihr jedes Jahr wieder raus. Ich verstehe das nicht, und leider fehlt es mir an exekutiver Willenskraft, eine Pflanze auszugraben, die sich gerade aufmacht, zu blühen. Ich habe es schon wieder verpasst, also schreddert sie jetzt meine neue Brombeere, die ich so liebevoll dort gepflanzt hatte, wo ich vermeintlich die Pfingstrose ausgerottet hatte.

Garten verschlanken, das ist nur eine konsequente Fortführung eines aktuellen Prinzips. Privatleben verschlanken. Kontakte verschlanken. Romantik verschlanken, sich selber verschlanken. Frau N sieht mich am Ende der Pandemie wie einen Schmetterling aus dem Kokon gucken, ich bin noch nicht überzeugt. 15 Kilo habe ich in den letzten Wochen und Monaten abgenommen. Ich will nicht sagen, dass es nicht nötig gewesen wäre, aber ich bin schon überrascht. Verzicht auf Zucker und Weißmehl, dafür täglich eine große Portion Sorgen, Anspannung, Homeoffice und Leid, und zack, purzelpurzelpurzel. Das wirkt dann auf dem Tinder Foto super.

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Freitag, 30. April 2021
Step into my office, Baby
Für einen kleinen Moment fühlte ich mich heute wie die Königin von Saba, zumindest wurde ich neugierig so angeguckt, als wäre ich die Königin von Saba. Und das kam so:

Es galt einen Arzttermin wahrzunehmen, dessen Planung ich über einen längeren Zeitraum vor mir her geschoben hatte, was Frau N nicht zu schätzen wusste. Also erinnerte sie mich mehrfach liebevoll, da das allerdings nicht ihre große Kernkompetenz ist, schaffte sie einfach irgendwann Fakten und rief zu einem Zeitpunkt, an dem sie wusste, dass ich in einem längeren beruflichen Termin bin, erst bei meiner theoretisch behandelnden Ärztin an, kam dort mehrfach nicht durch und erinnerte sich dann daran, dass ich neulich erzählt hatte, dass es ja direkt gegenüber von meinem Zuhause auch jemanden gäbe, da würde ich perspektivisch hinwechseln wollen, rief dann dort an, meldete sich als "das Sekretariat von Frau Dr. H", erklärte, dass ich mich für eine neue Praxis interessieren würde, nicht zum Kauf, sondern als Dienstleistung, und sie hätte meinen Kalender vorliegen und würde gerne einen Termin besprechen.

Als ich heute morgen zu dem von meinem Sekretariat vereinbarten Termin in die Praxis kam, wurde ich bereits am Empfang interessiert beäugt, die wirklich ganz hervorragend nette Ärztin setzte mich auf einen Stuhl und fragte "und, was machen Sie denn beruflich?", ich erzählte ein wenig von Fuß und Hirn und allem, was ich so als Standardantwort im Arzt-Erstgespräch für wichtig erachtete, dann plauderten wir ein wenig über Schule und Politik, und dann ging ich wieder. Beim Abschied rief sie "Ich freue mich auf Ihren nächsten Besuch!"

Ich werde das mit Frau N besprechen müssen. Zukünftig möchte ich diesen Service nämlich immer nutzen, ich kam mir heute sehr besonders vor. Sollten irgendwann in diesem Leben die Restaurants noch einmal öffnen, bestelle ich Tische nur noch so.

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Sonntag, 25. April 2021
Hidden
Dieses Video mit den Schauspielern, das ist ja großer Quatsch. Ich hätte auch viel Meinung, aber ich habe soeben zu Abend gegessen und eine Schulmail gelesen, zudem habe ich im mündlichen Diskurs schon soviel dazu gesagt, dass mich das Thema jetzt langweilt. Ich sage nur zwei Dinge, abschließend, meinetwegen. 1) Ich denke, wir alle, also wirklich jeder Mensch in jedem Land, das so agiert, findet Lockdown kacke. Uneingeschränkt. Uneingeschränkt kacke. 2) Und wenn ich dann sage, ich möchte gerne was anderes machen, dann wüsste ich gerne, was die Alternative sein soll. Und dann können wir das gerne diskutieren, oder wir lassen einfach die Fachleute das diskutieren. Wie auch immer.

Meine Mutter hat eine neue Frisur, das sagt zumindest meine Schwester, und der Bekannte findet die Frisur gut. Das erfahre ich alles nur noch aus zweiter Hand, meine Mutter wohnt zwar nebenan, ist aber mit ihrem neuen Liebesleben so beschäftigt, dass ich jetzt permanent selber für den Enkel kochen muss. Ein Skandal. Aber gut, ich gönne es ihr über alles, sie hat sich ein paar schöne Jahre hart erarbeitet. 15 Jahre lang hat sie meinen schwerkranken Vater gepflegt, und wo wir gerade den Lockdown anprangern, muss ich sagen... Sie hat den Start in ihr Leben im maximal denkbaren Lockdown verbracht. 1940 geboren, 1941 mit Mutter und Schwester auf einen Bauernhof in Österreich geflüchtet, dort bis zum Kriegsende in einem Kohlenkeller versteckt. Der Vater ist in den Niederlanden geblieben, sie hat ihn nie mehr gesehen. Meine Mutter ist in den Lockdown geboren worden. Meine Mutter hat übrigens kein Problem mit Lockdown Light.

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