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Donnerstag, 19. August 2021
Ain't that a kick in the head
herzbruch, 12:47h
Ich bin kein Mensch mit Migränehintergrund (geklaut bei Marc Uwe Kling natürlich), aber so einmal im Jahr erwischt es mich, und dann wird alles schlecht. Fünf oder sechs Mal hatte ich so einen Anfall in der Vergangenheit, und inzwischen erkenne ich zumindest, was passiert und kann mir schon mal den Schlafanzug anziehen, Homeoffice sei Dank.
Als erstes kann ich von jetzt auf gleich nicht mehr richtig sehen. Mitten im Sichtfeld gibt es plötzlich Felder, die wie durch Glasbausteine Gucken wirken, und die bewegen sich dann lustig. Fokussieren geht nicht mehr, mit viel Willenskraft kann ich vielleicht noch einen letzten Tweet absetzen und mich verabschieden, dann wird mein Gesicht im nächsten Schritt taub, dann wird mir übel und ich entleere den Magen, und dann gehe ich ins Bett. Mit sehr viel Glück kann ich noch einschlafen, das ist dann gut, ich erinnere mich allerdings auch an Episoden, wo das nicht mehr ging, dann wird die ganze Veranstaltung etwas länglich. Vorgestern konnte ich nach Schritt 1, 2 und viel Ibuprofen noch einschlafen, hervorragend, und dann dauerte es fast 24 Stunden, bis ich wieder aufstand, zur Apotheke ging, sehr viel sehr nährstoffreiches Essen kaufte und langsam wieder in die hiesige Welt zurückkehrte.
Von Herrn Buddenbohm erhielt ich die Information, er habe in Helen Macdonalds "Abendflügen" eine sehr ansprechende Beschreibung einer Migräne gelesen, ich selber möchte mich allerdings erst einmal wieder sehr weit von dem Thema entfernt aufhalten, gehe ich ja nicht davon aus, mich in den nächsten 12 Monaten abermals damit beschäftigen zu müssen.
Wenn man 24 Stunden weg ist, kommt man wieder und erwartet, dass irgendwas passiert ist, wir verzeichnen derzeit Zeiten, in denen permanent was passiert. Aber nein. Nichts ist gelöst, niemand tritt zurück - ich möchte bald stellvertretend für Maas und AKK zurücktreten, irgendjemand muss doch mehr machen als sagen "Wir alle tragen die Verantwortung" - Corona ist auch immer noch, abends erzählte das Kind mir sogar vom ersten positiven Test des Schuljahres in seiner Klasse (am ersten Schultag), und abends spät traute ich mich sogar, mich flackernden Bildern auszusetzen und ließ mir von Norbert Röttgen, der wirklich den großen Vorteil mit sich bringt, dass er zu jedem Zeitpunkt sehr präsidial wirkt, die parlamentarische Demokratie noch mal neu erklären. Gut, dass ich wieder wach war, sonst hätte ich das alles nie gewusst. Es ist nämlich so (und der gesamte Rest ist ein Zitat aus der Erinnerung): Es geht in der Politik ja nicht darum, dass Regierungen Anträge des politischen Gegeners annehmen, das ist nicht der Sinn von Politik. Es geht allein um das Regierungshandeln, DAS (sehr präsidial laut werden denken) ist der politische Punkt.
Nun gut, ich hatte das in der Schule damals alles ganz anders gelernt, aber für eine Person, die von sich behauptet, sehr gut in Mustererkennung zu sein, ist es vielleicht abermals naiv, zu denken, es sei auch anders. Ich war nur eventuell überrascht davon, dass eine andere Person, die dafür bezahlt wird, über verschiedene Positionen nachzudenken und diese auch zu hören, das einfach mal so sagt. Ich merke mir das dann jetzt mal und werde einfach die nächsten Monate eine Petition vorantreiben, die die gesamte Opposition aus dem Bundestag entfernt, zumindest aus dem Amt für Besoldung, denn es geht ja nur um Regierungshandeln, dann brauchen wir ja auch nichts anderes mehr. Ist auch echt teuer, so eine Opposition.
Letztendlich haben die Onkels Laschet und Röttgen dann doch noch eine abgestimmte Sicht der Dinge präsentiert, die mir sehr gut gefällt. Ich kann wieder gucken und essen, aber mein Kopf fühlt sich noch ein bisschen roh an, da habe ich die Welt gerne schön, unkompliziert und friedlich. Wer wird denn jetzt, in einer Situation, in der Menschen um ihr Leben kämpfen und die Regierung alles daran setzt, diese zu retten (eventuell aber auch nur dann, wenn wir Laschet wählen, das war gestern unklar) sich mit Wahlkampf und politischen Schuldzuweisungen beschäftigen? Das ist ab.so.lut unmoralisch, das gehört sich nicht, wir helfen jetzt den armen Menschen, dann ist Wahl und DANN muss das Vergangene aufgearbeitet werden. Wenn diese ganzen linken Parteien (können wir hier eigentlich auch schon Antifa sagen, ich habe das immer sofort im Ohr) jetzt auch noch über Schuld sprechen wollen - nein. Das führt doch jetzt zu nichts, da hat die Regierung auch überhaupt gar keine Zeit für, machttaktische Spielchen. Pfui. People first. Für mich fein, ich wusste auch lang vor dem Fall von Kabul schon, wen ich alles nicht wähle, zum Beispiel Menschen in derzeitiger "Verantwortung".
Und weil man ja immer mit etwas wirklich, wirklich Schönem abschließen soll, teile ich hier noch einmal das allerschönste Migräne-Recovery Video, das ich je gesehen habe, gespielt von meinem Karmatier.

Als erstes kann ich von jetzt auf gleich nicht mehr richtig sehen. Mitten im Sichtfeld gibt es plötzlich Felder, die wie durch Glasbausteine Gucken wirken, und die bewegen sich dann lustig. Fokussieren geht nicht mehr, mit viel Willenskraft kann ich vielleicht noch einen letzten Tweet absetzen und mich verabschieden, dann wird mein Gesicht im nächsten Schritt taub, dann wird mir übel und ich entleere den Magen, und dann gehe ich ins Bett. Mit sehr viel Glück kann ich noch einschlafen, das ist dann gut, ich erinnere mich allerdings auch an Episoden, wo das nicht mehr ging, dann wird die ganze Veranstaltung etwas länglich. Vorgestern konnte ich nach Schritt 1, 2 und viel Ibuprofen noch einschlafen, hervorragend, und dann dauerte es fast 24 Stunden, bis ich wieder aufstand, zur Apotheke ging, sehr viel sehr nährstoffreiches Essen kaufte und langsam wieder in die hiesige Welt zurückkehrte.
Von Herrn Buddenbohm erhielt ich die Information, er habe in Helen Macdonalds "Abendflügen" eine sehr ansprechende Beschreibung einer Migräne gelesen, ich selber möchte mich allerdings erst einmal wieder sehr weit von dem Thema entfernt aufhalten, gehe ich ja nicht davon aus, mich in den nächsten 12 Monaten abermals damit beschäftigen zu müssen.
Wenn man 24 Stunden weg ist, kommt man wieder und erwartet, dass irgendwas passiert ist, wir verzeichnen derzeit Zeiten, in denen permanent was passiert. Aber nein. Nichts ist gelöst, niemand tritt zurück - ich möchte bald stellvertretend für Maas und AKK zurücktreten, irgendjemand muss doch mehr machen als sagen "Wir alle tragen die Verantwortung" - Corona ist auch immer noch, abends erzählte das Kind mir sogar vom ersten positiven Test des Schuljahres in seiner Klasse (am ersten Schultag), und abends spät traute ich mich sogar, mich flackernden Bildern auszusetzen und ließ mir von Norbert Röttgen, der wirklich den großen Vorteil mit sich bringt, dass er zu jedem Zeitpunkt sehr präsidial wirkt, die parlamentarische Demokratie noch mal neu erklären. Gut, dass ich wieder wach war, sonst hätte ich das alles nie gewusst. Es ist nämlich so (und der gesamte Rest ist ein Zitat aus der Erinnerung): Es geht in der Politik ja nicht darum, dass Regierungen Anträge des politischen Gegeners annehmen, das ist nicht der Sinn von Politik. Es geht allein um das Regierungshandeln, DAS (sehr präsidial laut werden denken) ist der politische Punkt.
Nun gut, ich hatte das in der Schule damals alles ganz anders gelernt, aber für eine Person, die von sich behauptet, sehr gut in Mustererkennung zu sein, ist es vielleicht abermals naiv, zu denken, es sei auch anders. Ich war nur eventuell überrascht davon, dass eine andere Person, die dafür bezahlt wird, über verschiedene Positionen nachzudenken und diese auch zu hören, das einfach mal so sagt. Ich merke mir das dann jetzt mal und werde einfach die nächsten Monate eine Petition vorantreiben, die die gesamte Opposition aus dem Bundestag entfernt, zumindest aus dem Amt für Besoldung, denn es geht ja nur um Regierungshandeln, dann brauchen wir ja auch nichts anderes mehr. Ist auch echt teuer, so eine Opposition.
Letztendlich haben die Onkels Laschet und Röttgen dann doch noch eine abgestimmte Sicht der Dinge präsentiert, die mir sehr gut gefällt. Ich kann wieder gucken und essen, aber mein Kopf fühlt sich noch ein bisschen roh an, da habe ich die Welt gerne schön, unkompliziert und friedlich. Wer wird denn jetzt, in einer Situation, in der Menschen um ihr Leben kämpfen und die Regierung alles daran setzt, diese zu retten (eventuell aber auch nur dann, wenn wir Laschet wählen, das war gestern unklar) sich mit Wahlkampf und politischen Schuldzuweisungen beschäftigen? Das ist ab.so.lut unmoralisch, das gehört sich nicht, wir helfen jetzt den armen Menschen, dann ist Wahl und DANN muss das Vergangene aufgearbeitet werden. Wenn diese ganzen linken Parteien (können wir hier eigentlich auch schon Antifa sagen, ich habe das immer sofort im Ohr) jetzt auch noch über Schuld sprechen wollen - nein. Das führt doch jetzt zu nichts, da hat die Regierung auch überhaupt gar keine Zeit für, machttaktische Spielchen. Pfui. People first. Für mich fein, ich wusste auch lang vor dem Fall von Kabul schon, wen ich alles nicht wähle, zum Beispiel Menschen in derzeitiger "Verantwortung".
Und weil man ja immer mit etwas wirklich, wirklich Schönem abschließen soll, teile ich hier noch einmal das allerschönste Migräne-Recovery Video, das ich je gesehen habe, gespielt von meinem Karmatier.
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Montag, 16. August 2021
It's a shame
herzbruch, 19:01h
Ach ja. Nachdem ich im Laufe von 2021 ja äußerst unsicher war, ob das dominierende Gefühl in mir dieses Jahr Wut oder Trauer ist, kommt jetzt ein sehr ambitionierter Wettbewerber hinzu: Scham. Das Tolle an Scham ist ja, dass sie so ein versatiles Gefühl ist, bestens anwendbar bei sich selber, gerne aber auch bei anderen Personen, vielleicht sogar passend für eine ganze administrative Einheit oder - im Vorgriff auf September - ein gesamtes Land. Ich plane, mich in der nächsten Zeit vollumfänglich zu schämen, und das sogar völlig unabhängig von der Frisur.
Ich habe ein schönes neues Wort gelernt, das - ähnlich wie die Scham - auch sehr versatil ist und auf verschiedene Themengebiete angewendet werden kann, gefunden auf Twitter bei Birgit Schmeitzner: Politiksimulation.
Ich selber habe ja eine sehr naive Vorstellung von Politik, und die sieht so aus: Ich habe ein Weltbild und eventuell eine Vision, vielleicht sogar ein bisschen Lebenserfahrung und kenne mich in irgendwelchen Themen gut aus, dann werde ich Politikerin, weil ich gut bin in Plakatekleben werde ich dann Ministerin, da gestalte ich dann was immer gerade in dem Land gestaltet werden muss, im Zweifelsfall gibt es sogar eine Krisensituation, nehmen wir mal rein hypothetisch eine Pandemie oder einen vermurksten NATO-Einsatz, und da ich aufgrund meiner Kompetenzen dafür ausgewählt wurde, die Verantwortung zumindest in Teilen dafür zu übernehmen, mache ich das dann nach bestem Wissen und Gewissen, und dann, wenn ich was gemacht habe, wovon ich als Fachfrau überzeugt bin, dass es richtig ist, weshalb meine Partei oder Koalition das dann übrigens auch mitträgt, dann stelle ich mich anschließend vor irgendwelche Kameras und erkläre der Bevölkerung, warum ich das jetzt gemacht habe und warum das total vernünftig ist. Und weil ich ja gut nachgedacht habe und zu vernünftigen Ergebnissen gekommen bin, kann ich das dann gut erklären, und dann verstehen einige Bürger*innen mich und wählen mich einfach wieder. So stelle ich mir das vor.
Eine leise Stimme in mir flüstert aber - zumindest, seit ich das Wort kenne - ständig "Politiksimulation". Und die sieht so aus:
Ich bin jung, habe mich irgendwie durch ein Studium geschleppt, parallel habe ich Plakate geklebt, und mein größter Wunsch ist "Bundestagsabgeordnete sein". Am Ende des Studiums habe ich mich eventuell so bewährt, dass ich statt Karl Lauterbach einen sehr guten Listenplatz bekomme, und schwupps, bin ich im Bundestag. Oder im Landtag, ist ja egal. Da ich in Düsseldorf wohne, eigentlich lieber im Landtag. Da ich vielleicht noch weiter aufsteigen möchte, schreibe ich entweder selber eine sehr schlechte Doktorarbeit, oder ich lasse eine schreiben, das ist ja viel einfacher, und dann gehe ich von Gremium zu Gremium, gucke, dass ich bei möglichst vielen Leuten einen gut habe, und irgendwann kommt mein Moment und ich werde Ministerin für das, was noch frei ist. Im Prinzip ist ab dann alles sehr gut, ich kann mich durchonkeln, was jetzt allerdings nicht passieren darf, ist eine Krisensituation, das wäre doof. Dann tritt die ein, ich habe aber ja weder die eigene Erfahrung, noch kann ich sinnvoll bewerten, was andere Leute mir erklären, also brauche ich ein Leitsystem für meine Entscheidungen, das sehr niederkomplex ist. Ich orientiere mich im Großen und Ganzen an drei Parametern: 1) Parteiräson (wahlweise Koalitionsräson), 2) Abgrenzung vom politischen Gegner und 3) Was will die Wählerin wohl genau jetzt von mir hören. Und danach entscheide ich einfach alles weg. Partei und Koalition sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden, der politische Gegner ist höchstens unterrascht, und bei den Bürger*innen gibt es ja eigentlich nur zwei Herausforderungen: A) Ich muss irgendwie kohärent erklären können, warum die Schulen genau bei einer Inzidenz von 165 geschlossen werden sollen, obwohl wir eigentlich mal 35 gesagt hatten, da müsste es ja bestenfalls ein begründetes Argument für geben, und B) wenn der Wind sich dreht, muss ich mich eben geschmeidig und flexibel zeigen und vielleicht erst einmal einen Antrag des politischen Gegners ablehnen (aus Grund 2) und mich dann hinstellen und fordern, dass das jetzt alles schnell gehen muss, das sei ja alles eine große Katastrophe (aus Grund 3). Onkel onkel onkel. Politiksimulation.
Wenn es dann gut läuft, lässt der politische Gegner den Elfmeter liegen, niemand liest den echten Antrag und ich komme bei lauter werdenden Stimmen, die an das ursprüngliche Versagen erinnern, durch mit dem Argument "stimmt ja gar nicht". Ganz häufig funktioniert das sogar. Wenn es schlecht läuft, haben wir in den eigenen Reihen so unangenehme Leute mit Meinung und Rückgrat, die dann auf diesen ebenso unangenehmen Sozialen Medien einfach sagen, was Sache ist, mit denen muss ich dann hinterher reden, so geht's ja nicht. Mit dem hier zum Beispiel. Wenn es ganz schlecht läuft, rasen wir mitten in einer Krise auf eine Wahl zu, das ist dann der Moment, an dem meine Kolleg*innen das nächste Level freischalten. Jetzt muss ich also gleichzeitig die Parteiräson einhalten UND mich in Durchsetzungskraft, Empathie oder irgendwelchen anderen Parametern von den Kolleg*innen unterscheiden. Niedersachsen macht alles auf? Okay, ich mach alles zu. Auf der gleichen Datenbasis, wohlgemerkt, aber das ist egal, meine Bürger*innen wollen lieber alles auf haben. Baden-Württemberg verhängt eine Ausgangssperre? Dann muss ich stattdessen Testpflicht für alle im Küchenstudio einführen, im Prinzip sollte das auch wieder ganz einfach sein. Dummerweise versteht die Bevölkerung dann nicht mehr, was ich mache, aber wenn ich einfach ein Theaterfestival eröffnen gehe, dann hab ich ja wieder alle mit Kulturhintergrund besänftigt. So einfach ist das.
Und so spielen wir also Politiksimulation, das kann eigentlich jede*r, es geht ja zu keinem Zeitpunkt um irgendwelche Inhalte, Menschen, Krisen, Humanität oder - Gott bewahre - Logik. Und wenn man die Performance der Simulanten dann mit echten Berufen vergleicht, ist der Job eventuell viel zu gut bezahlt.
Glauben Sie nicht? Tja, hätte ich auch nicht geglaubt.

Ich habe ein schönes neues Wort gelernt, das - ähnlich wie die Scham - auch sehr versatil ist und auf verschiedene Themengebiete angewendet werden kann, gefunden auf Twitter bei Birgit Schmeitzner: Politiksimulation.
Ich selber habe ja eine sehr naive Vorstellung von Politik, und die sieht so aus: Ich habe ein Weltbild und eventuell eine Vision, vielleicht sogar ein bisschen Lebenserfahrung und kenne mich in irgendwelchen Themen gut aus, dann werde ich Politikerin, weil ich gut bin in Plakatekleben werde ich dann Ministerin, da gestalte ich dann was immer gerade in dem Land gestaltet werden muss, im Zweifelsfall gibt es sogar eine Krisensituation, nehmen wir mal rein hypothetisch eine Pandemie oder einen vermurksten NATO-Einsatz, und da ich aufgrund meiner Kompetenzen dafür ausgewählt wurde, die Verantwortung zumindest in Teilen dafür zu übernehmen, mache ich das dann nach bestem Wissen und Gewissen, und dann, wenn ich was gemacht habe, wovon ich als Fachfrau überzeugt bin, dass es richtig ist, weshalb meine Partei oder Koalition das dann übrigens auch mitträgt, dann stelle ich mich anschließend vor irgendwelche Kameras und erkläre der Bevölkerung, warum ich das jetzt gemacht habe und warum das total vernünftig ist. Und weil ich ja gut nachgedacht habe und zu vernünftigen Ergebnissen gekommen bin, kann ich das dann gut erklären, und dann verstehen einige Bürger*innen mich und wählen mich einfach wieder. So stelle ich mir das vor.
Eine leise Stimme in mir flüstert aber - zumindest, seit ich das Wort kenne - ständig "Politiksimulation". Und die sieht so aus:
Ich bin jung, habe mich irgendwie durch ein Studium geschleppt, parallel habe ich Plakate geklebt, und mein größter Wunsch ist "Bundestagsabgeordnete sein". Am Ende des Studiums habe ich mich eventuell so bewährt, dass ich statt Karl Lauterbach einen sehr guten Listenplatz bekomme, und schwupps, bin ich im Bundestag. Oder im Landtag, ist ja egal. Da ich in Düsseldorf wohne, eigentlich lieber im Landtag. Da ich vielleicht noch weiter aufsteigen möchte, schreibe ich entweder selber eine sehr schlechte Doktorarbeit, oder ich lasse eine schreiben, das ist ja viel einfacher, und dann gehe ich von Gremium zu Gremium, gucke, dass ich bei möglichst vielen Leuten einen gut habe, und irgendwann kommt mein Moment und ich werde Ministerin für das, was noch frei ist. Im Prinzip ist ab dann alles sehr gut, ich kann mich durchonkeln, was jetzt allerdings nicht passieren darf, ist eine Krisensituation, das wäre doof. Dann tritt die ein, ich habe aber ja weder die eigene Erfahrung, noch kann ich sinnvoll bewerten, was andere Leute mir erklären, also brauche ich ein Leitsystem für meine Entscheidungen, das sehr niederkomplex ist. Ich orientiere mich im Großen und Ganzen an drei Parametern: 1) Parteiräson (wahlweise Koalitionsräson), 2) Abgrenzung vom politischen Gegner und 3) Was will die Wählerin wohl genau jetzt von mir hören. Und danach entscheide ich einfach alles weg. Partei und Koalition sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden, der politische Gegner ist höchstens unterrascht, und bei den Bürger*innen gibt es ja eigentlich nur zwei Herausforderungen: A) Ich muss irgendwie kohärent erklären können, warum die Schulen genau bei einer Inzidenz von 165 geschlossen werden sollen, obwohl wir eigentlich mal 35 gesagt hatten, da müsste es ja bestenfalls ein begründetes Argument für geben, und B) wenn der Wind sich dreht, muss ich mich eben geschmeidig und flexibel zeigen und vielleicht erst einmal einen Antrag des politischen Gegners ablehnen (aus Grund 2) und mich dann hinstellen und fordern, dass das jetzt alles schnell gehen muss, das sei ja alles eine große Katastrophe (aus Grund 3). Onkel onkel onkel. Politiksimulation.
Wenn es dann gut läuft, lässt der politische Gegner den Elfmeter liegen, niemand liest den echten Antrag und ich komme bei lauter werdenden Stimmen, die an das ursprüngliche Versagen erinnern, durch mit dem Argument "stimmt ja gar nicht". Ganz häufig funktioniert das sogar. Wenn es schlecht läuft, haben wir in den eigenen Reihen so unangenehme Leute mit Meinung und Rückgrat, die dann auf diesen ebenso unangenehmen Sozialen Medien einfach sagen, was Sache ist, mit denen muss ich dann hinterher reden, so geht's ja nicht. Mit dem hier zum Beispiel. Wenn es ganz schlecht läuft, rasen wir mitten in einer Krise auf eine Wahl zu, das ist dann der Moment, an dem meine Kolleg*innen das nächste Level freischalten. Jetzt muss ich also gleichzeitig die Parteiräson einhalten UND mich in Durchsetzungskraft, Empathie oder irgendwelchen anderen Parametern von den Kolleg*innen unterscheiden. Niedersachsen macht alles auf? Okay, ich mach alles zu. Auf der gleichen Datenbasis, wohlgemerkt, aber das ist egal, meine Bürger*innen wollen lieber alles auf haben. Baden-Württemberg verhängt eine Ausgangssperre? Dann muss ich stattdessen Testpflicht für alle im Küchenstudio einführen, im Prinzip sollte das auch wieder ganz einfach sein. Dummerweise versteht die Bevölkerung dann nicht mehr, was ich mache, aber wenn ich einfach ein Theaterfestival eröffnen gehe, dann hab ich ja wieder alle mit Kulturhintergrund besänftigt. So einfach ist das.
Und so spielen wir also Politiksimulation, das kann eigentlich jede*r, es geht ja zu keinem Zeitpunkt um irgendwelche Inhalte, Menschen, Krisen, Humanität oder - Gott bewahre - Logik. Und wenn man die Performance der Simulanten dann mit echten Berufen vergleicht, ist der Job eventuell viel zu gut bezahlt.
Glauben Sie nicht? Tja, hätte ich auch nicht geglaubt.
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Sonntag, 15. August 2021
Chasing Cars
herzbruch, 02:53h
12 Stunden mit Menschen draußen in hohen Schuhen, davon 5 (!) Stunden Karaoke, das macht müde. Die Stimme hat immerhin 4 1/2 Stunden gehalten, dann war mitten im Lied Schluss. Nach etwa 1 1/2 Stunden waren alle Lieder durch, die ich singen wollte, danach suchte ich in dem 176 Seiten PDF nur noch aus nach dem Kriterium ?kenn ich zumindest?, und ohne es zu ahnen fand ich auf diese Weise ein neues deprimierendes Karaoke Lied, welches ich ab sofort immer singen werde: Chasing Cars. Das lag mir nicht nur stimmlich, es holte mich auch emotional sehr ab, ich möchte sagen ich bebte, und auf dem Rückweg bat ich Frau N. um eine weitere Karaoke Session zu zweit, vielleicht geh ich auch einfach alleine, und dann singe ich 5 Stunden lang Creep und Chasing Cars im Wechsel und danach ist alles wieder gut.
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