Sonntag, 29. August 2021
Sie. 38,90?
Sollten Sie sich übrigens fragen, wie genau Kunst entstehen kann: Ich habe das für Sie einmal aufgenommen. Auf dem Tinguely-Schiff, das gestern und heute in Düsseldorf lag, trat ich soeben erstmals in meiner neuen Rolle als Impresaria von Düsseldorfs berühmtesten Künstler Eric von Jordan auf. Da das Feuilleton nicht mein Genre ist, belasse ich es bei der Information, dass das Schiff wirklich furchtbar viel Spaß machte, es gab sehr viel zu sehen und fürchterliche Geräusche, die wir per Knopfdruck auslösen konnten, der Spaß wird sich Ihnen von ganz allein erschließen. Am Ende konnten Besucher mit Tagesfreizeit noch eine Flaschenpost tauschen, also eine eigene Botschaft mittels mittelgutem Material herstellen und diese gegen eine andere Botschaft in einer Flasche tauschen, und ich hatte folgende Vision: Da ich als rechtsschreibende Linkshänderin ja sehr weit weg bin von der aktiven Malerei, teilen der Künstler und ich uns einfach eine Botschaft, er malt was, ich schreibe was. Den Titel des Werkes hatte ich vorab festgelegt: "Sie. 38,90?."

Er ließ sich sehr bitten, dann allerdings fand der Künstler einen Bärchenstempel, es ging vollkommen mit ihm durch,
aber sehen Sie selbst, am Ende wurde er sogar entdeckt und hätte beinahe Kunst im Wert von 138,90? verkauft. Schreiben durfte ich übrigens nichts mehr, ich habe mit Müh und Not noch ein Imp: Herzbruch signiert, bevor das Werk in der Flasche verschwand. Bis zur großen Ausstellung in Bonn im November werden wir das Geschäftsmodell noch verfeinern.

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The State that I am in
2021. Jeden doofen Blogeintrag beginne ich mit 2021 und was da jetzt schon wieder alles neu ist, ich langweile mich schon fast selbst damit. 2021 sammele ich ja neue Wörter und Konzepte, okay, Exponentialfunktion kannte ich schon, geschenkt, Kipppunkt fand ich ein sehr schönes neues Wort für ein altes Konzept, zudem noch mit drei P, Politiksimulation habe ich neulich ja schon ausführlich verbloggt, und jetzt, so traurig es ist, kommt noch "moralisch verletzt" hinzu. Auch das ist ein Konzept, von dem ich finde, dass man es 2021 hervorragend brauchen kann. "Staatsversagen" ebenso. So lautet der Titel einer Folge von Inside PolitiX mit Thomas Reichart, ZDF.

Seit geraumer Zeit mache ich beruflich vorwiegend, und das sind viele Stunden in der Woche, nichts anderes, als Medienberichterstattung zu verstehen. Ich konsumiere schlechten Journalismus, bis sich mir alles dreht und hochkommt, und zum Runterkommen gucke ich zum Einschlafen noch schnell die Regierungspressekonferenz. Ich habe viel Leid gesehen, rege mich viel auf, möchte regelmäßig einzelne Medien verbieten und drohe manchmal, zynisch zu werden. Und dann kommt hin und wieder so ein richtig schönes Stück Journalismus, und dann bin ich für einen Moment wieder geheilt. Reichart hat das geschafft, für zwei Tage habe ich jetzt gut geschlafen in dem Gewissen, dass die Dinge auch mal vernünftig und unaufgeregt eingeordnet werden. Auch dann, wenn eine gesamte Regierung ihren Job nicht mehr machen möchte.

Besonders angenehm finde ich, dass nicht die Frage nach der Übernahme von Verantwortung gestellt wird. Die halte ich nämlich für vollkommen nebensächlich, und das kommt so.

Nichts auf der Welt kann an diesem Punkt die Situation der zurückgelassenen Ortskräfte und deutschen Staatsbürger in Afghanistan ändern. Naja, das stimmt eventuell nicht, ich kenne mich auch überhaupt nicht gut genug aus, um das ernsthaft behaupten zu können. Ich formuliere um: Der Satz "Ich übernehme die volle Verantwortung für das Geschehene" kann an diesem Punkt überhaupt nichts ändern, ebensowenig wie ein Rücktritt von Seehofer, Maas oder meiner Schwester Kramp-Karrenbauer. Die Rufe nach der Übernahme von Verantwortung, die aus vielen Ecken jetzt laut werden, jetzt, an diesem Punkt, müssten für mein Verständnis einmal eingeordnet werden, ich brauche nämlich mehr Information zu: 1) Wie soll diese Übernahme der Verantwortung konkret aussehen und 2) Was soll diese konkrete Ausgestaltung in der jetzigen Situation genau bringen? Vielleicht verstehe ich dann besser, was gemeint ist und wofür es gut ist. Wir sollten übrigens nicht die Übernahme von Verantwortung verwechseln mit dem Gebot der anschließenden Aufklärung des Geschehenen. In meiner sehr auf Effizienz getrimmten Welt erscheint letztere allerdings auch fast überflüssig, ein Lernerfolg ist ja eher nicht zu erwarten.

Ich sehe auch gar nicht mehr als zwei sinnvolle Anwendungsfälle für die Übernahme von Verantwortung im politischen Geschäft. Beide fallen 2021 leider unter das Prinzip Hätte Hätte Fahrradkette. Das erste und vermutlich unwichtigere, zumindest, wenn alle sowieso in den nächsten Wochen nicht mehr planen, irgendetwas außer Wahlkampf zu machen, sieht so aus: Ich bin in verantwortlicher Position, und zwar ganz am oberen Ende der Kette. Bundesminister*in zum Beispiel. In meinem Verantwortungsbereich geschieht ein Fehler, der zu schwerwiegenden Folgen führt, ich verstehe, dass ich in meiner Endverantwortlichkeit diejenige bin, die einerseits dafür gerade stehen muss und die andererseits dafür Sorge tragen muss, dass gerettet werden kann, was gerettet werden muss, trete zurück und überlasse mein Amt einer Person, die retten kann. In einer optimalen Welt ist das eine fachkompetente Person, but well. Das kann natürlich vier Wochen vor der Bundestagswahl nicht mehr stattfinden, soviel ist klar. Und ob die Justizministerin jetzt Innen, Außen und Verteidigung noch "mitmachen" kann, sei dahingestellt.

Der zweite Anwendungsfall für politisch verantwortliches Handeln setzt allerdings eine ganze Weile vorher ein. Nämlich dann, wenn die Vorgängerin einen schlechten Job macht, deswegen in irgendein EU Amt weggelobt wird und mich irgendwann die Kanzlerin morgens anruft und fragt, ob ich nicht vielleicht Verteidigung machen möchte. Oder Bildung. Oder Gesundheit. Oder Verkehr. Führen Sie die Liste bitte selbst im Kopf weiter, es sind noch einige schlecht besetzte Ämter da. An der Stelle trennt sich Spreu vom Weizen, unterscheidet sich Verantwortung von Politiksimulation. Dann würde ich mir nämlich wünschen, dass der oder die Angerufene sagt "Ich muss nachdenken" und sich dann sehr klar vor Augen führt, für welche Entscheidungen, Prozesse und Problemlösungen er oder sie in der Funktion endverantwortlich dasteht, und zwar für ein ganzes Land, manchmal für einen noch viel größeren Empfängerkreis. Und dann ist die Folgefrage doch, ob ich mich selbst für fähig erachte, dieses Amt inhaltlich so auszufüllen, dass ich diese Verantwortung für Millionen von Menschenleben übernehmen kann. Ob ich von mir selber überzeugt bin, genug Sachverstand, Erfahrung und Klugheit auf dem zu verantwortenden Gebiet mitzubringen, dass ich nicht nur nach bestem Wissen und Gewissen nichts falsch mache, sondern sogar noch eine Vorstellung davon habe, was ich in dem Amt bewirken könnte, was Deutschland, die EU und den Rest der Welt nach vorne bringen kann. Und ob ich die Kraft habe, dafür zu kämpfen. Wenn ich all das mit Ja beantworten kann, bin ich vielleicht die richtige Person für den Job. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Gedankengang war, der sich im Kopf von AKK abspielte, als sie das Amt der Verteidigungsministerin angetragen bekam.

Ich meine, es Maas und AKK ansehen zu können, dass sie persönlich Verantwortung in der Form übernehmen, dass sie ihr eigenes Versagen nachts im Bett anerkennen, dass sie verstanden haben, dass sie in ihrer Untätigkeit, die wohl Folge von Fehleinschätzungen war, von mangelndem Gestaltungssinn, von fehlender Kompetenz, auf die zu hören, die die Lage besser verstehen, Menschenleben nicht nur riskiert haben. Dass der Job nicht ihrer war. Wie AKK den Brigadegeneral Arlt nach Ankunft der letzten Soldaten hilflos in den Arm genommen hat, wirft die Frage auf, warum sie nicht Familie mitgemacht hat.

Verantwortung ist etwas, was im Inneren passiert (nicht dem Ministerium, natürlich). Was als eigener Kompass für die Entscheidungen fungiert, die ich treffe, was mich davor beschützen sollte, mich zu übernehmen, besonders dann, wenn ich noch Verantwortung für andere Menschen übernehme. Und was ich im Versagensfall nur noch mit mir selber ausmachen kann. Zumindest vier Wochen vor einer Bundestagswahl.

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Freitag, 27. August 2021
Fun based Weekend
Es ist (zu Beginn des Schreibens) noch nicht einmal 7 Uhr, mein Kind steht unter der Dusche, die Waschmaschine läuft, ich habe Kaffee, arbeite und schiebe sogar schon eine kleine Blogpause ein, da mir gerade auffällt, wie entspannt ich bin. Da Sie mich nur noch unentspannt kennen, werden Sie jetzt verwirrt sein, sich kurz fragen, ob Sie noch einen Kaffee aufsetzen sollten, offensichtlich haben Sie noch Wahrnehmungsstörungen, aber nein, es liegt an mir, ich kann alles erklären, es ist sehr einfach.

Ich war in den letzen Jahren, also eigentlich, seit ich aus der Wissenschaft ausgestiegen bin, beruflich über Gebühr engagiert, und da hat sich mit den Jahren die Wochenendarbeit eingeschliffen. Seit Beginn des Jahres ist es grundsätzlich so, dass ich nicht mit 5, sondern mit 7 vollen Werktagen rechne, und auf Dauer war mir das anscheinend etwas anstrengend. Neulich hatte ich ja beschlossen, mein Leben an mehreren Stellen einfacher zu gestalten, und ein wesentlicher Baustein dessen ist das spaßbasierte Wochenende. Das praktiziere ich bereits seit ein paar Wochen, mit immer größerer Konsequenz, und heute morgen wachte ich um 6 Uhr auf, dachte "aaaaaah", dann fiel mir das spaßbasierte Wochenende ein - ich werde morgen vielleicht einkaufen und ein gesundes Essen kochen, ich habe seit Monaten nicht wirklich gekocht, was an sich okay ist, aber ich möchte gerne wieder mal was Vernünftiges essen, und das koche ich irgendwie besser als der Pizza-Lieferdienst. Sonntag besuche ich das Museumsboot Tinguely und möchte anschließend etwas Interessantes mit meinem Hund draußen erleben - und zack, stand ich auf, machte mir einen Kaffee und begann hochmotiviert mein Tagwerk. Ich habe zu diesem Zeitpunkt bereits Briefe und Dokumente fertig, die auf den 31.08. datiert sind, jetzt mache ich noch ein paar Stunden andere Sachen, also die Sachen, die ich jeden Tag mache, und dann ist Wochenende. Hoch die Hände.

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Mittwoch, 25. August 2021
Mood
Wut, Scham, Trauer, Wut, Scham, Trauer, lassen Sie uns gemeinsam die Hymne 2021 skandieren. Heute habe ich mal wieder schulbezogene Wut, allerdings etwas distanzierter als letztes Mal, da ich selber, besser gesagt mein Kind, anders betroffen bin wegen geimpft. Ich habe heute sehr wenig Zeit im Internet verbracht, doch es wiederholte sich mehrmals: Twitter auf, Eltern verzweifelt, Twitter zu oder Twitter auf, Lauterbach verzweifelt, Twitter zu.

Ich leide mit den Eltern, die sich ratlos fragen, ob jetzt wirklich einfach die Schulen durchseucht werden sollen. Ich hatte vor Jonathans Impfung dazu eine klare Haltung, die hat sich nicht geändert. Geändert hat sich lediglich die eigene Situation, das Kind hat vollen Impfschutz, und das nehme ich wörtlich. Das nächste Wort übrigens, das die breite Masse jetzt fließend verwenden kann, ist ja "Impfdurchbruch", und im Grunde bin ich sehr überrascht, dass eben dieser jetzt so skandalisiert wird, was genau war denn unklar bei der Angabe "Impfstoff XY schützt zu Z Prozent vor Infektion", da stand doch nirgendwo 100, oder? Nichtsdestotrotz muss man da mal optimistisch bleiben, und ja, es gibt unterschiedliche Zahlen aus unterschiedlichen Quellen, keine einzige davon führt jedoch zu dem möglichen Ergebnis, dass Impfen auch nix hilft.

Zurück zu den Schulen. Was mir ja in der gesamten Pandemie so schwer zu schaffen gemacht hat, ist das Gefühl, keine Hoheit mehr über das Wohlbefinden des eigenen Kindes zu haben. Wenn in Leverkusen die Inzidenz unter den Kindern astronomisch ansteigt, kann ich mir sehr gut vorstellen, mit welcher Begeisterung die Eltern sie morgens zum Bus bringen. Oder was immer man in Leverkusen macht, um zur Schule zu kommen. Und das Verrückte daran ist doch: Die Kinder ab 12 können geimpft werden, es gibt viele sehr niederschwellige Angebote, in Jonathans Schule wird sogar vor Ort geimpft. Warum zum Teufel dann noch das Risiko? Und die Zeit, bis auch die Kleinen geimpft werden können, wird auch nicht mehr so furchtbar lang sein, Moderna und Biontech sind in der Phase 3 Studie für Kinder ab 6 Monaten so weit, dass eine Zulassung Ende des Jahres bereits passieren könnte. Das sind in Pandemiezeitrechnung gefühlte 3 Tage. Solange der Schutz noch nicht reingeimpft werden kann, müssen Eltern frei entscheiden können, ob sie die Kinder in Präsenz schicken wollen. Das gleiche gilt bei den Jugendlichen für die Zeit, bis voller Impfschutz gegeben ist. Das ist meine feste Überzeugung. Es ist doch absehbar. Und wir sitzen doch schon 34 Jahre im Homeoffice. Denjenigen, die sich Sorgen machen (ja, Herr Hüther, um mein Kind habe ich sogar Angst) muss die Entscheidung erlaubt sein, jetzt noch durchzubeißen, bis sie ihre Kinder mit einem besseren weil sichereren Gefühl in die Schulen schicken können. Oder irgendwas mit Lüftungsgeräten. Ja. I heard it.

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