Dienstag, 7. September 2021
Barbie Doll
Ich möchte Sie an einer Whatsapp Konversation zwischen meinem Sohn und mir teilhaben lassen.

"Ona guck mal, das ist die Kollektion, von der der M. sagt, die sei toll. Was sagst du dazu?"

"Ich finde den hellgrauen und den schwarzen Hoodie, das weiße, schwarze und hellgraue T-Shirt gut."

"Okay."

(3 Minuten Ruhe.)

"Aber ich gehe jetzt eher so in Richtung Vintage Drip und so."

Wenn Sie jetzt sagen: Ah, ja, okay, verstehe, gar kein Problem, hier ist meine Vintage Drip Schublade, da habe ich Dripsachen drin", dann Gratulation. Ich hingegen war kurz ratlos, gab Vintage Drip in einen Suchschlitz ein, war danach noch immer ratlos, dann schrieb ich M. an, der ja Designer ist und alles weiß. Wusste er nicht, recherchierte dann aber ausführlich und hatte Ideen, wie man Basics mit Vintage Thrift mixen kann, damit das Kind denkt, es sehe jetzt cool aus. In der Zwischenzeit kamen dann allerdings 14 Fotos von Outfits, die in sein neues Beuteschema fallen, die schickte ich dann weiter an den Designer, und wir endeten damit, dass ich Jonathan anbot, vielleicht am Freitag das erste Mal in seinem Leben mit seiner Mutter und ihrer Kreditkarte shoppen zu gehen. (Zu Hennes oder so.) Vielleicht wäre es gut, wenn er mal einen Überblick bekommt, was man so trägt, wenn man rausgeht.

Eigentlich bin ich durch die letzten 12 Jahre hervorragend durchgekommen. Die ersten 3 Jahre war es sehr einfach: Ich kaufte erst geringelte Strampler und dann geringelte Oberteile und einfarbige Schlupfhosen. Drei Jahre lang. Immer die gleichen, die waren ja gut und sehr hübsch und qualitativ Spitze. Dann kam leider irgendwann der Punkt, an dem Längen- und Breitenwachstum so weit auseinandergingen, dass es obenrum keine passende Kleidung mehr zu kaufen gab, da alles entweder 20 cm zu kurz oder 20 cm zu breit war. Also machte ich einen Nähkurs, kaufte 20 Meter Ringeljersey und nähte Pullis, T-Shirts und Jacken einfach selbst. Dann wurde das Kind 6 und wünschte sich zur Einschulung, nie mehr in seinem Leben etwas Selbstgemachtes haben zu müssen, ich kaufte im Kaufhaus eine Schultüte und suchte verzweifelt nach Kleidung, die keinen Plastikaufdruck hat und die er trotzdem mag. Streifen wollte er seitdem nie mehr, vielleicht habe ich überreizt. Zu meiner Verteidigung: Wenn eine keine Aufdrucke mag, dann wird es schon recht eng, was so Kleidung für kleine Jungs damals anging. Streifen waren kleidsam und last resort.

Etwa zu dieser Zeit etablierte ich ein Modell, das so aussah: Ich nahm Wünsche entgegen, fuhr alleine ins Kaufhaus, sortierte dann die Sachen zusammen, die mir gefielen, dann fotografierte ich die einzelnen Teile und schickte ihm das Foto, und er schickte Daumen hoch oder runter zurück. Das war eigentlich schön. Schade, dass das vorbei ist. Auf die Idee, ihn gegen seinen Willen mitzunehmen, wäre ich nicht gekommen, das haben wir mit 3 aufgehört, nachdem ich vielleicht den größten pädagogischen Moment meiner gesamten Mutterschaft hatte. Samstag, P&C Düsseldorf, voll, Kasse, Schlange, langweilig, irgendwann leichte Ungeduld im Dreijährigen, der ein paar Meter weiter einen anderen Dreijährigen sah, der sich schreiend auf den Boden legte, das fand er gut, legte sich auch schreiend auf den Boden, und da ich keinen wirklich guten anderen Plan hatte, legte ich mich einfach daneben und schrie auch. Die anderen hörten dann auf, ich irgendwann auch, und dann beschloss ich, lieber einfach alleine Anziehsachen einzukaufen.

So. Nun bricht eine neue Zeit an. Ich bin sehr gespannt, wie sehr wir uns zerstreiten werden, wenn ich meine qualitativen Ansprüche an Kleidung nicht bedient sehe. Polyester mag er nicht, hurra, das habe ich ihm über Jahre außer zum Sport schlechtgeredet, aber gut. Ich habe modisch meine Eltern in der Pubertät und den allermeisten darauf folgenden Jahren sehr herausgefordert, und sie haben mich gelassen, und jetzt habe ich 15 gleiche Hosen und 5 gleiche T-Shirts. Es lenkt sich alles irgendwann in Bahnen, daher gucke ich mal, ob es mir gelingt, mein Kind einer freien Entfaltung zuzuführen. Und bis dahin muss ich noch rausfinden, wo man die Sachen, die er mir als Beispielexemplare geschickt hat, wohl in Düsseldorf kaufen kann. Und dann: Großen Bogen.



Sehen Sie hier: Oversize Shirt mit Man-Print. Die frühkindliche Prägung sitzt doch tief.

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Montag, 6. September 2021
Summer of 69
Okay. Ein emotional sehr anstrengendes Ereignis, Bienenstich zum Beispiel, verarbeite ich überraschenderweise im Traum mit einem Szenario, in dem ich Anwältin bin, einen blauen Hosenanzug trage, als wäre ich die Silberrückin im Zukunftsteam, mein Kollege ist Gregor Gysi und am Ende rollen wir uns wie angekündigt vollkommen entfesselt über den Nadelfilz im Frankfurter Bankenturm. Wir wissen, was das heißt. Zählen wir gemeinsam bis zur Abholung runter.

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Sonntag, 5. September 2021
Bienen! Bad!
Wie ich heute lernte, dass mein Hund nicht nur im Spaß dahergescherzt die Liebe meines Lebens ist.

Der Mitbewohner und ich wollten ein wenig durch den Wald laufen, der Hund wollte ein wenig schwimmen, also fuhren wir nach Gruiten, liefen durch das sehr hübsche Gruiten Dorf und dann in den Wald, wo die Düssel fließt und der Hund schwimmen kann. Dann liefen wir und liefen und liefen und alles war wie bei jedem einzelnen Spaziergang, so ein Hund ist ja auch nix für Leute, die Abwechslung suchen, aber ich suche ja nie Abwechslung, deshalb ist das genau richtig, und dann kamen wir an einem Imker vorbei und wollten Honig kaufen. Wir kamen mit der Frau vom Imker ins Gespräch, sie machen das schon seit 1983, lernten alles über Oxalsäure versus Ameisensäure, mir wurde langweilig, vielleicht war es zuviel Abwechslung, wer weiß das schon, also ging ich mit Fiene ein paar Schritte den Hang hoch, oben auf dem Plateau standen die Bienenstöcke, derer viele. Dann sah uns der Imker, rief, wir sollten ruhig hochkommen, da wären schon andere Besucher, wir liefen hoch und dann fiel mir ein, dass ich ja mal nach einer Bienenattacke zwei Tage im Krankenhaus lag und wollte wieder gehen, der französische Imkergehilfe in voller Schutzmontur winkte Herrn H. zu sich, ich blieb mit Fiene 50 Meter weiter vorne am Ausgang stehen, Herr H ging Bienen gucken, der Hilfsimker machte alle Häuschen auf und puschelte rum und machte wilde Sachen, die anderen Leute und Herr H standen beeindruckt, aber angstfrei (Fehler!) daneben, dann hatten die Bienen keine Lust mehr auf Gepuschel, wurden böse, stachen erst dem einen Mann mehrfach in die Glatze, setzten sich auf das in dieser Situation zum Glück mehr als volle Haupthaar von Herrn H, der - anders als der gestochene Mann - so eben noch ruhig blieb, dann große Panik, fremder Mann und fremde Frau fuchtelten und schrien, die Bienen hatten dann *echt* keine Lust mehr und flogen über die Einflugschneise davon, da standen aber dummerweise Fiene und ich, und dann setzten sie sich auf den Hund und stachen. Wie oft, kann nicht genau rekonstruiert werden, aber sehr klar zu oft dafür, dass wir überhaupt nicht an der Situation beteiligt waren. Nun kenne ich meinen Hund wirklich sehr genau, und ich weiß, dass sie die größte Pussy vor dem Herrn ist, die schon vor Schmerzen schreit, wenn wir nur in die Straße einbiegen, wo der Tierarzt ist, der sie immer impft. Ich sah jedenfalls mindestens vier Bienen an einem Hinterbein, ein paar an dem anderen, eine saß vorne an der Schulter, die ich noch verscheuchte. Der Hund war sehr, sehr pussyhaft, wir flüchteten runter zu dem Häuschen, dort gab es von der Imkersfrau ein Leckerchen, und dann wurde noch ein bisschen bedröppelt geguckt und dann dachte ich, die Situation sei im Griff. Was mich ein bisschen irritierte, im Nachhinein auch etwas verstimmt, war der Imker, der dann auch runterkam und sagte: "Kommen Sie doch einfach im Frühling noch mal, dann sind die nicht so aggressiv." Nun gut. Wir haben also heute gelernt, dass die Bienen sich bereits auf den Winter vorbereiten und deshalb mit allem, was sie haben, ihre Vorräte verteidigen, und dass das einem Imker, der das seit 1983 macht, nicht die Botschaft vermittelt, dass man dann vielleicht nicht so dumme Städter mit zum Stock nimmt und da rumpuschelt, und das Allerwichtigste, was ich heute gelernt habe: Wenn Sie dann das Gefühl haben, dass Sie da gerne nicht Teil von sein wollen, weil Sie allergisch auf Bienenstiche reagieren und deshalb einfach nicht mitgehen und einen kletschnassen Hund bei sich führen: Erkundigen Sie sich unter allen Umständen nach der Einflugschneise. Niemand in der ganzen beschissenen Situation wurde so viel gestochen wie der Hund in der Einflugschneise.

Gut. Wie das nun mal so ist mit echten Hypochondern, ging ich erst mal davon aus, dass alles gut ist. War es auch. Wir liefen 6 Kilometer zurück, etwa 5 Kilometer war der Hund davon im Wasser und spielte. Auf dem letzten Kilometer fing sie sich dann an zu kratzen, als wir in Gruiten Dorf ankamen, bekam sie Pocken um die Augen, dann legte ich einen Zahn zu, und als wir 10 Minuten später am Auto waren, war der Hund vollkommen zugeschwollen und malade. So malade, dass ich zu Herrn H sagte: "Du bist noch nie in deinem Leben schnell Auto gefahren. Heute ist der Tag. Ich zahle alle Knöllchen und wenn der Führerschein weg ist, fahre ich dich ein Jahr lang überall hin."

Dann kam ein zügig gefahrener Ritt zur Tierklinik, die praktischerweise zwar nur 5 Minuten von uns zuhause entfernt ist, aber 30 Minuten von Gruiten, ich saß auf dem Rücksitz und guckte, ob der Hund atmet, dann kamen wir an, sie brachten sie weg, kamen nach 10 Minuten wieder und teilten mit, Fiene würde beatmet und bräuchte eine Infusion, dann 30 Minuten warten, dann kam irgendwann der sehr bedröppelte Hund wieder raus, müsst allerdings noch eine Stunde beobachtet werden. Dazu könnte sie gerne in den Kofferraum, wenn sie das schön findet. Das fand sie schön, hyperventilierte dort aber so, dass ich sie doch wieder reinbrachte, dann war sie kurz wieder weg, dann war sie ruhiger, wir blieben, noch mit dem Zugang im Bein, 30 Minuten im Wartezimmer sitzen bzw. liegen, dann kamen irgendwann wieder Leute und checkten die Vitalfunktionen, wofür sich der Hund praktischerweise unterm Stuhl verkroch, und dann durften wir wieder fahren, weil wir ja nur 5 Minuten Anreise haben, dann kann sie auch hier liegen. Ich zahlte die Rechnung, wir fuhren nach Hause, der Hund fraß bereitwillig ein Rinderohr und schlief dann ein. Wir öffneten ein Glas Haaner Honig und tauften es - wenn man die Klinikkosten draufrechnet - Skifreizeit.

So war das. Die Info mit der Einflugschneise. Die war wichtig.

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Two inch
Dieses neue System mit dem freien Wochenende bekommt mir ganz hervorragend. Es stellt sich heraus, dass ich wohl ab Freitagmorgen zukünftig in völliger Euphorie sein werde. Freitag aufwachen und Euphorie, dass gleich Wochenende ist, Samstag aufwachen und Euphorie, dass jetzt Wochenende ist, Sonntag aufwachen und Euphorie, dass immer noch Wochenende ist. Heute wachte ich um 6.45 auf (da schellt üblicherweise nebenan Jonathans Wecker) und war ein bisschen traurig, dass ich nicht arbeiten darf, wenn ich nämlich exakt eine Stunde lang drei kurze Sachen machen würde, könnte ich dann sehr entspannt in den Montag starten, und dann fiel mir ein, dass ich ja erwachsen bin und das große Motto Entspannung lautet, und wenn es zu einem weiteren sehr entspannten Tag beiträgt, kann ich ja einfach selber entscheiden, eine Stunde zu arbeiten. Außerdem musste ich ja noch eine Maschine Wäsche ruinieren, win win (rotes Kleid mit mehreren Ringelshirts gewaschen, jetzt rosa Ringel).

Freitag trank ich viel Cremant mit einem Modedesigner. Ja, einem richtigen, aber der Sorte, die mir vorher gar nicht so präsent war. Ich kenne (nicht persönlich) die Sektion Coco Chanel und Karl Lagerfeld, das ist vermutlich auch de Kohorte, die mir als erstes einfällt, wenn das Wort fällt. Und dann kenne ich (doch persönlich) noch den ein oder anderen Menschen, der an irgendeiner HSK Modedesign studiert hat und jetzt Röcke in kleinen hippen Läden verkauft und mit Kohleofen seine zugige Altbauwohnung heizt. Jetzt kenne ich noch eine dritte Variante: Ich weiß nicht, ob Ihnen das so klar war, aber irgendjemand muss ja auch die T-Shirts für all die Ketten mit den vielen Filialen entwerfen. Oder - in diesem Fall - Röcke und Anzüge.

Ich hatte alle Fragen. Alle. Und ich habe viel gelernt. Da ich so aufgeregt war, dass ich jetzt alles erfahren kann, was ich schon immer wissen wollte, habe ich ein Feuerwerk an Fragen absondert und leider zwar alle Antworten verarbeitet, mir aber nicht genug gemerkt, um das interessant aufschreiben zu können. Ich denke aber, die wichtigsten Infos für Sie sind die folgenden drei Punkte:

1) Sandalen mit Socken geht jetzt, wegen der Prada Show letztes Jahr.
2) Italien ist das Bangladesh Europas.
3) Wenn Sie Größe 40 tragen und eine Hose in Größe 40 anprobieren, die Ihnen nicht gut passt, was Sie traurig macht, weil Sie die so schön finden, nehmen Sie zur Sicherheit noch mal eine weitere in Größe 40, die kann nämlich dann doch passen. (Sehr lange Erklärung zu den Nähten und dem Effekt, wenn eine Näherin bei jeder Naht 2 Millimeter zugibt. Ergibt alles sehr viel Sinn, war ich nur nie drauf gekommen.)

Meine lebenslange Frage, warum blaue Jeans immer weiter sind als schwarze Jeans wurde beantwortet (Elastizität nimmt mit zunehmender Pigmentierung ab), und in der jetzigen und der letzten Marke, für die er designte, sind alle Teile ab Größe 42 "Schmeichelgrößen", heißt, dass der Weitenzuwachsschritt größer ist als in den Größen darunter.

Irgendwann hob ich meinen Arm, er sah (ja, ich fühlte mich *sehr* beobachtet kleidungstechnisch) einen sehr smarten Abnäher am Ringelwollpulli und sagte: "Oh, der Abnäher ist smart. Das ist nicht irgendein Pulli." Ich stimmte zu, wir besprachen meine favorisierte Marke nicht irgendeiner Kleidung (fand er toll), dann sprachen wir über günstige und teuere Mode, dann sprach ich über Jeans und mein Konzept, eine zweistellige Anzahl gleicher Jeans zu haben, wenn man einmal zufrieden ist, dann kann man ja auch einfach jeden Tag die angenehmste Jeans tragen, dann lehnte er sich nach vorne, sah mir fest in die Augen und sagte mit sanfter, tiefer Stimme: "Und wenn die eigentlich 2 inch zu lang ist?" und dann ging ich nach Hause.

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