Freitag, 21. August 2020
Interjektion
Ich habe mir selber eine 35-Stundenwoche verordnet, und dann darf man freitags morgens auch mal außer der Reihe bloggen, wenn die Ereignisse das hergeben. Das Thema Schule ist ja ein rutschiges Gebiet, und bevor sich alle warmlaufen (ich bleibe allerdings auch sehr an der Oberfläche, ich denke, ich habe zu Schule "in der aktuellen Situation" alles gesagt, jetzt sitze ich einfach und warte ab, was um mich herum passiert), halten wir es doch einfach zeitlebens in diesem Medium wie folgt: Wann immer ich mich despektierlich über eine bestimmte Zielgruppe äußere, egal ob implizit oder explizit, meine ich natürlich nur einen Ausschnitt, nämlich den, den ich kenne. Natürlich gibt es in jedem Set ganz hervorragende Kandidaten, zum Beispiel Sie, fühlen Sie sich bitte ganz persönlich ausgenommen. Und ja, ich weiß, dass es ganz hervorragende Lehrer und Erzieher gibt, ich kenne sogar welche persönlich.

Gestern Abend hat die Schule ihre neu erworbenen Kompetenzen getestet: Mail schreiben wie normale Leute, also mit Text in der Mail, nicht leer mit angehängtem Word Dokument. In dem Textkörper wurde die Frage gestellt, ob Eltern Lust hätten, sich zu engagieren und bei dem Testen via Rachenabstrich zu helfen. Ich möchte das auch 12 Stunden später einfach unkommentiert stehenlassen. Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich mich im Rahmen der Ausbildung meines Sohnes noch nie für irgendwas engagiert habe. Ich habe an dem kollektiven Osterhasenbacken nicht teilgenommen, da war ich beruflich eingespannt. In der Grundschule gab es die schöne Tradition, dass die Eltern einmal im Monat die Klassenräume inklusive allem, was man sich vorstellen kann, putzen kamen. Ich habe mich ein paarmal weggeduckt und irgendwann der Klassenlehrerin einen freundlichen Brief geschrieben, dass ich das leider zeitlich wirklich nicht abbilden könne, 12 Urlaubstage im Jahr zu nehmen, um in der Schule meines Kindes die Fenster zu putzen, ich könnte mich aber sehr gerne als Sponsor für einen professionellen Fensterputzer anbieten. Das habe ich netter formuliert, und seitdem wurden die Fenster in Onas Grundschule auf meine Kosten gereinigt. Auch das lasse ich mal unkommentiert stehen.

Zu dem ganzen Themenkomplex sei übrigens gesagt, dass ich ja einst aufgehört habe, über Jonathan zu schreiben, weil ich ihn nicht sinnstiftend fragen konnte, ob das okay ist. Jetzt kann ich das, und ich lasse mir Geschichten von ihm autorisieren, so auch diese hier. (Die Verhandlung war hart, sollte doch ein Instagramprofil verlinkt werden, um die lang ersehnte Karriere als Influencer doch noch Wirklichkeit werden zu lassen. Ich habe mich dagegen entschieden.)

Kommen wir zurück zur Schule, genauer gesagt zur Grundschule. Dort habe ich mit meinem Mann folgendes System festgelegt: Ich gehe nicht zu schulischen Veranstaltungen, und zwar genau so lange nicht, bis ich ein Anschreiben von der Lehrerin bekomme, in dem Grammatik, Interpunktion und Orthographie tipptopp ist. Ich wähnte mich (zurecht) für die Dauer der gesamten Grundschulzeit in Sicherheit, und mit Perlen wie Kenntniß und Packet hatte der Mann keine gute Verhandlungsgrundlage.

Einmal musste ich wirklich hin, das konnte ich mir nur schlecht verkneifen, da ich die (wie gestern erwähnt) aktiv-aggressive Rolle gut spiele, mein Mann jedoch Großmeister in passiv-aggressiv ist, was man ja nicht brauchen kann. Und das kam so.

Der Sommerurlaub, als Jonathan 8 war, ging wie eigentlich immer außer "in der aktuellen Situation" mit dem Auto nach Spanien, Fliegen ist aus Umweltgründen ja nicht so sinnvoll. Das dauert lange, deshalb braucht man ein Hörbuch, und da man das Kind endlich groß genug hatte, nicht mehr ausschließlich und immer das Lied mit dem Hähnchen zu hören, fiel die Wahl auf die Känguru Chroniken von Marc-Uwe Kling. Jonathan hat sich sehr schnell alle (teils nicht mehr so weltliteraturartigen) Känguru Teile zueigen gemacht und fand sich grundsätzlich in der Gedankenwelt des kommunistischen Kängurus gut zurecht.

Eines Tages kam er freitags von der Schule und erzählte, er habe heute eine Demo veranstaltet. Auf meine Frage, wogegen denn demonstriert worden wäre, antwortete er "Hitler", ich nahm meinen Terminkalender und strich schon mal alle unwichtigen Termine, um Zeit für das Lehrergespräch zu schaffen. Montags fand ich dann in seiner Postmappe die Einladung zu einem Gesprächstermin, allerdings nicht von der Lehrerin, sondern von der Leiterin der OGS. Wobei das eigentlich keinen Unterschied macht. Ich ließ mir die Situation noch einmal genau erklären ("In der großen Pause bin ich auf den Schulhof gegangen und habe zum Spaß gerufen DE-MO DE-MO, dann sind ein paar Kinder hinterher, dann sind alle 120 hinterher, und dann hat eine Erzieherin gefragt, wogegen wir denn demonstrieren, und dann hab ich überlegt, was das schlechteste ist, was ich kenne, und dann hab ich Hitler gesagt.") und nahm gemeinsam mit meinem Mann den Termin wahr, um bestmöglich beide Eltern zu verbrennen.

Ich kürze an dieser Stelle ab, da das Gespräch auch in Minute 3 bereits so entgleiste, dass mein Kopf aus Selbstschutzgründen das meiste nicht mehr weiß. Es begann mit der Problemstellung, das Kind spreche nicht altersangemessen (zitiertes Beispiel: anderes Kind "Das ist mein Auto!" - Ona: "Meins, deins, das sind doch alles bürgerliche Kategorien."), was ich als Zitat aus einem Stück Literatur enttarnte, die Fragestellung, wie denn genau ein Achtjähriger zu sprechen habe, um altersangemessen zu sein, fände ich jedoch sehr interessant, gefolgt von meinem von langer Hand vorbereiteten Satz "Das nächste Mal bestellen Sie mich doch bitte erst dann ein, wenn mein Sohn FÜR Hitler demonstriert", gefolgt von einem hart unter der Gürtellinie platzierten "Leider ist ihr Sohn ja nur ein Einzelkind", gefolgt von Gesprächsabbruch durch Aufstehen und Gehen. Mich persönlich hat das nicht getroffen. Das Einzelkind hat einen Hund, der mehr wiegt als die allermeisten 11Jährigen, wir kommen klar. Aber man muss auch wissen, wann ein Gespräch beendet ist. (Wir haben die Übermittagsbetreuung dann privat geregelt.)

Sie sehen: Ich engagiere mich nicht in der Schule. Ich putze nicht, ich backe nicht, ich diskutiere nicht, ich möchte kein Amt (anders als mein Mann, der sammelt alles ein, was er an Aufgaben finden kann, das Universum ist also wieder im Gleichgewicht) und ganz, ganz bestimmt mache ich keinen Rachenabstrich.

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"Leider ist ihr Sohn ja nur ein Einzelkind"

Die sind doch schon mit einem Ona, der aus den Känguruh-Chroniken zitiert und Demos gegen Hitler veranstaltet, offensichtlich überfordert. Was würden die denn machen, wenn noch ein oder zwei Geschwister auf diese Schule gingen?

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Vielleicht müssten wir dieses Problem ignorieren und traurig sein, dass drei von denen die Welt im Alleingang hätten retten können... Naja, ich würde denken zu spät. Ich habe Rücken.

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Ona führt übrigens einfach eine Familientradition weiter. Ich bekam meinen ersten Tadel in der ersten Klasse, und zwar wegen Insubordination. Auf einem Wandertag hatte ich mir durch Organisation eines Sitzstreiks Gehör verschafft, da alle Schnitzeljagd machen wollten, nur der Lehrer nicht. Mein Demokratieverständnis ist leider 1982 bereits erschüttert worden.

(In dem anschließend folgenden Lehrergespräch, zu dem meine Eltern auch gemeinsam gingen, sagte der Lehrer übrigens: „Sagen sie ihr das nicht, aber die wird ihren Weg machen.“ Gesagt haben sie es erst 2010. Und little did he know...)

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Lebt Ihr Grundschullehrer noch und haben Sie ihn mal wiedergesehen?

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schön, dass sie wieder da sind. da fehlte was ...

grossartige geschichten, übrigens.

die eine erinnert mich an die tierschutztante, die oft und gerne mails verschickte, allerdings mit ohne text oder sonstwas. der "inhalt" war nicht nur im betreff, das betreff war der inhalt. ein klitzkleinwenig gewöhnungsbedürftig, übrigens.

und in die grundschule einbestellt wurde ich auch einmal. aus, wie ich meine, ähnlichen gründen wie sie, also ob des altersunangemessenen verhaltens oder so, aber lesen sie doch selber: https://gastgeberin.blogger.de/stories/754634/

man macht was mit.

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@arboretum: Nein, leider nicht, denke auch nicht, dass er noch lebt, er war schon damals was älter...

Und @kelef: Danke. Sehen wir es vorerst als kleines Aufbäumen. Mal schauen, wohin es trägt ;-)

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Schöne, schlimme Geschichte.

Zu meiner Schulzeit gab's das nicht, dass Eltern in der Schule irgendetwas aushelfen mussten - reinigen, streichen, nicht mal Kuchen für irgendwelche Feste. (Keine Feste.) Das halte ich auch für Unsinn. Und jetzt an meiner weiterführenden Schule gibt es das auch nicht - der Elternbeirat veranstaltet allerdings ein Sommerfest und freut sich tatsächlich über Kuchen und vor allem Kuchenverkaufsfreiwillige, aber da macht immer nur ein kleiner Teil mit.

Känguru-Sprüche kenne ich von der 6. Klasse: Wer das Hörbuch kennt, hat große Vorteile beim Vorlesewettbewerb übrigens.

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Danke! Ich muss zugeben: Als mir der Vorschlag mit dem Fensterputzer einfiel, war das Ziel Absolution, im Sinne von "Oh, das ist nett, wir verstehen das alles, aber das können wir ja gar nicht annehmen. Hier ist Ihre Medaille, ab morgen putzen wir einfach selbst", aber so war es irgendwie nicht. Ich war selber erstaunt. Wenn man schlecht oder gar nicht verhütet, muss man sich vorher fragen, ob man die nächsten Jahre Muffins backen möchte. Kaufen ist gesellschaftlich ja nicht akzeptiert. Aber dass ich mal den Reinigungsdienst für ein öffentliches Gebäude zahlen müsste, war mir nicht klar. (Wir haben übrigens auch 7 Euro im Monat zum Toilettenpapier zugezahlt. In Düsseldorf. Der ärmsten Kommune Deutschlands.)

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