Freitag, 3. Dezember 2021
I told you so (again)
Puh, Precht bringt wirklich die unangenehmste meiner Seiten zum Vorschein: Schadenfreude verbunden mit Überheblichkeit verbunden mit I told you so. Dennoch konnte ich mir heute morgen nicht verkneifen, etwas sehr Lästerliches zu twittern, hatte meine Podcastapp mir doch ungefragt die neue Folge von Lanz und Precht serviert, ich hörte ein bisschen zu (wie Unfall, inzwischen ist es wie Unfall), wie Precht erklärte, dass die ganze Corona Thematik einfach insgesamt viel zu komplex ist und dass das keiner mehr verstehen kann (Veto: Doch), und dann wollte er vermutlich demonstrieren, dass sogar er als großer Philosoph, der immerhin alle griechischen Buchstaben kennt, daran scheitert, und dann wollte er auf Griechisch buchstabieren, sortierte Buchstabenabfolgen falsch (PHI Chi Psi), erfand neue Buchstaben (Sigmata oder Sigma und Ta, ich bin mir nicht ganz sicher), und dann hatte ich dieses unangenehme Gefühl von Schadenfreude verbunden mit Überheblichkeit verbunden mit I told you so und nahm fix auf, was ich 1990 in der Schule gelernt habe.

Nein nein, verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich Menschen nur dann klug finde, wenn sie in der Lage sind, sich 24 Buchstaben in der richtigen Reihenfolge zu merken. Das kann jede*r. Ich möchte aber appellieren (das ist jetzt ja neu, wir appellieren dauernd), dass wir eine Unterscheidung zwischen dem Gebrauch von vielen komplizierten Wörtern und klugem Inhalt machen, das - Obacht, kluges Wort - korreliert nämlich nicht. Nun kann ich also noch ein wenig mein I told you so Gefühl auskosten, da ich ja neulich schon mal leichte Kritik an der Philosopheninszenierung in diesem Land geübt hatte. Einmal vor der Welle, Sie werden verstehen, dass das ein gutes Gefühl ist. Dann kam so ein unsägliches Gespräch im Fernsehen, das ich jetzt mal nicht verlinke, da ich nicht denke, dass das einer Empfehlung entspricht, die ich aussprechen möchte (zwei Priviligierte diskutieren, dass weniger Priviligierte mal nicht so empfindlich sein sollen, also eine konsequente Verlängerung eines von Prechts Podcasts, in dem mir vor Wochen schon mal sehr sauer aufgestoßen ist, dass ihn so Sache wie Gendern und Indianerhäuptling und Co nicht interessieren, er meint es ja nur gut, und dann sollen die Anderen sich mal nicht so anstellen, wie soll er sie denn sonst nennen, ohne sein persönliches Sprachgefühl zu verletzen??), das brachte dann eine gewisse mediale Aufmerksamkeit mit sich, zum Beispiel (leider hinter Bezahlschranke) hier oder so schön ungebremst hier oder, fast noch ungebremster hier, und damit ist jetzt hoffentlich die Entmystifizierung der großen deutschen Denker eingeleitet. Mal gucken, wie Lanz aus der Nummer wieder rauskommt, wenn Precht sich jetzt konstant weiter selbst entthront, das wäre ja sehr ungünstig, wenn man hinterher in die Geschichte eingeht als der Moderator, der sich von Deutschlands dümmsten Philosophen öffentlich die Welt erklären lässt. Und abschließend, denn ich plane nicht, mich noch weiter über dieses Thema zu echauffieren, machen ja inzwischen genug andere Leute mit, ich suche mir ein neues Hobby, sei gesagt: Wenn Herr Precht seine eigenen über die Folgen verteilten Thesen zur Komplexität der Pandemie, zur Masse der für ihn nicht mehr nachvollziehbaren Datensätze und zur Desinformationsdramatik durch mediale Gestalten mal konsequent zusammenführt und zuende denkt, dann kommt er hoffentlich zu dem Ergebnis, dass er besser mal nix mehr sagt. Es gibt nämlich eine ganze Menge von Menschen in Deutschland, die (zum Beispiel) die medizinische Situation auch in ihrer Komplexität sehr gut durchdringen, und die die Daten in ihrer Masse verstehen, zum Beispiel, weil sie sich den ganzen Tag damit beschäftigen, so wie er mit, naja, egal. Und vielleicht sollten einfach die mal einen Podcast machen. Oh wait.

Ich habe übrigens auch durchaus darüber nachgedacht, warum ich mich über Precht und Flaßpöhler so furchtbar echauffiere, ungeachtet der Tatsache, dass sie teilweise einfach widerlegbare falsche Dinge sagen, die in "der aktuellen Situation" (2022 lasse ich die Gänsefüßchen weg. Nach fast 2 Jahren macht man sich ja nur noch lächerlich mit so Gänsefüßchen) sicherlich nicht hilfreich sind und die Lage eher verschärfen als glätten. Da ist noch ein anderer wunder Punkt getroffen, fürchte ich. Wie Sie wissen, habe ich ja etwas studiert, was alle können, nämlich Sprache, und wenn das alle können, können auch alle mitsprechen. Körper aufschneiden und Organe entfernen oder zur ISS fliegen und Experimente machen, jaaaa, das ist echte Wissenschaft, das ist ja auch voll schwierig, aber wenn sich eine Sprachwissenschaftlerin hinsetzt und mal 5 Gründe gibt, warum wir gar nicht mehr über das Gendern sprechen müssen, schwupps, kommen sofort 5 Jurastudenten vorm ersten Staatsexamen und sagen "Sie wissen ja gar nicht, wovon Sie sprechen". Ääääh, doch. Und mit der Philosophie scheint es mir ähnlich zu sein. Denken kann man gut oder mittel, das ist Typsache, und wenn man gut ist, sich ein paar sehr schlaue Wörter und eine gute Frisur zulegt und dann wirklich viel Glück hat, schwupps, ist man Deutschlands Fernsehphilosoph. Und das schmerzt, insbesondere in den Ohren einer Person, die 12 Jahre lang die Frage nach dem Beruf beantwortete mit "Ich bin Sprachwissenschaftlerin" und als Antwort bekam "oh, das finde ich auch interessant, ich spreche Englisch und Spanisch."

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Als ich die Lanz-Precht-Folge über das Impfen gehört habe, bin ich fast in mein Bügeleisen gefallen. Ich musste mich nämlich nach vorne beugen um die Stelle am Ipad zurückzuspulen um sie nochmals zu hören. Seither sind die beiden Dampfplauderer nicht mehr meine Bügelbegleiter. Zu gefährlich.
Der Artikel in der FR hat mir sehr gut gefallen. Er entprechtet gewaltig. Die Erotik fehlt am Arbeitsplatz? Ich glaub, es hackt!

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Ja, und wenn Frau keine Erotik vom Chef am Arbeitsplatz will: Soll sie sich mal nicht so anstellen. Das ist alles nicht mehr zu ertragen. Unterirdisch. Flaßpöhler in dem selben Gespräch: Im Holocaust nicht immer nur auf die Opfer gucken, die sollten sich mal besser mit den Tätern beschäftigen, hätte ja jeder so seine Gründe immer. Meine Güte. Was muss man denn noch alles sagen, um abgesetzt zu werden? Ich fürchte ja, dass viele einfach gar nicht verstehen, was für einen unsäglichen Mist die reden, weil Frau Flaßpöhler ja Sprechakt sagt, wenn sie Satz meint. Wenn man sie versteht, bleibt man jedenfalls fassungslos zurück.

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die sollten sich mal besser mit den Tätern beschäftigen

Diese Aussage zeigt, dass da jemand nicht sehr belesen ist: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden von Harald Welzer. Das Buch erschien 2009.

Es hat seine Vorteile, keinen Fernseher zu besitzen, ich bekomme weder Talkshows noch solche Flachpfeifen mit. In der Mediathek schaue ich mir so etwas auch nicht an. Wem man aber jederzeit zuhören kann, ist wiederum Prof. Dr. Harald Welzer. Ich habe ihn bereits einige Male live erlebt und nun auch einmal digital bei der Schader-Stiftung: Einigkeit und Recht auf Gleichheit. (Erst gibt es eine Einführung in die Veranstaltung, ab etwa Minute 19 geht es los.)

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Ah, Es klingt absurd, aber die Opfer sollen sich mit den Tätern beschäftigen, damit man auch die Gegenseite versteht. Sinngemäß. Ja. Das Dümmste, was man so gehört hat zu dem Thema, offensichtlich getrieben von dem ungefilterten Wunsch, einfach mal was zu sagen, was man anders sieht. Zum Brechen.

Und ja, Welzer finde ich auch okay.

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Stellt sich mir die Frage, ist das reine Ignoranz und Dummheit oder eine Marketingstrategie der Dame?

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Sie denkt, Philo geht so.

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Sehr zu bedauern
auch Germanist:innen: Wie, du studierst deine Muttersprache? Also ich spreche die ja einfach, höhöhö...
Ich bewundere ja sehr, dass Sie das ertragen, ich muss gestehen, ich lese und höre mir nichts an, was meinen Anspruch an Kompetenz in dem jeweiligen Bereich nicht erfüllt. Für Geschwurbel fehlt mir einfach die Zeit und die Geduld. Und wenn ich nette Zitate großer Philosoph:innen suche, dann lese ich im Zitatenschatz. Precht und Flaßpöhler fallen für mich in dieselbe Kategorie wie Bastian Sick: gefährliches Halbwissen gepaart mit wenig Reflexion und mangelnden Analysefähigkeiten. Ich hoffe, das war jetzt nicht zu gehässig...

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Der Vergleich mit Bastian Sick ist sehr schön. Der hat ja ebenfalls auf einem Level weit unter ?wissenschaftlich relevant? genau die Punkte getroffen, die Laien interessant finden und verstehen, weil man kein Vorwissen oder Handwerkszeug braucht. Das ist ja alles schön, über Sick hab ich mich auch nie geärgert (anders als über den Verein zum Erhalt der Deutschen Sprache, wie er früher hieß), weil der ja nicht wehtut. Der ist von den Medien aber auch nie als theoretischer Meinungsführer hochgejazzt worden und hat (meines Wissens) auch keine potenziell gefährliche reaktionäre Ideen verbreitet?

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Ah, Sie machen Musik. Und was machen Sie beruflich?
Aber es spielt ja auch jeder Hampel, Enkel & Co ein Musikinstrument. Ahja? Irgendjemand muss denen aber das Blockflötenspielen beigebracht haben.

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