Montag, 16. August 2021
It's a shame
Ach ja. Nachdem ich im Laufe von 2021 ja äußerst unsicher war, ob das dominierende Gefühl in mir dieses Jahr Wut oder Trauer ist, kommt jetzt ein sehr ambitionierter Wettbewerber hinzu: Scham. Das Tolle an Scham ist ja, dass sie so ein versatiles Gefühl ist, bestens anwendbar bei sich selber, gerne aber auch bei anderen Personen, vielleicht sogar passend für eine ganze administrative Einheit oder - im Vorgriff auf September - ein gesamtes Land. Ich plane, mich in der nächsten Zeit vollumfänglich zu schämen, und das sogar völlig unabhängig von der Frisur.

Ich habe ein schönes neues Wort gelernt, das - ähnlich wie die Scham - auch sehr versatil ist und auf verschiedene Themengebiete angewendet werden kann, gefunden auf Twitter bei Birgit Schmeitzner: Politiksimulation.

Ich selber habe ja eine sehr naive Vorstellung von Politik, und die sieht so aus: Ich habe ein Weltbild und eventuell eine Vision, vielleicht sogar ein bisschen Lebenserfahrung und kenne mich in irgendwelchen Themen gut aus, dann werde ich Politikerin, weil ich gut bin in Plakatekleben werde ich dann Ministerin, da gestalte ich dann was immer gerade in dem Land gestaltet werden muss, im Zweifelsfall gibt es sogar eine Krisensituation, nehmen wir mal rein hypothetisch eine Pandemie oder einen vermurksten NATO-Einsatz, und da ich aufgrund meiner Kompetenzen dafür ausgewählt wurde, die Verantwortung zumindest in Teilen dafür zu übernehmen, mache ich das dann nach bestem Wissen und Gewissen, und dann, wenn ich was gemacht habe, wovon ich als Fachfrau überzeugt bin, dass es richtig ist, weshalb meine Partei oder Koalition das dann übrigens auch mitträgt, dann stelle ich mich anschließend vor irgendwelche Kameras und erkläre der Bevölkerung, warum ich das jetzt gemacht habe und warum das total vernünftig ist. Und weil ich ja gut nachgedacht habe und zu vernünftigen Ergebnissen gekommen bin, kann ich das dann gut erklären, und dann verstehen einige Bürger*innen mich und wählen mich einfach wieder. So stelle ich mir das vor.

Eine leise Stimme in mir flüstert aber - zumindest, seit ich das Wort kenne - ständig "Politiksimulation". Und die sieht so aus:

Ich bin jung, habe mich irgendwie durch ein Studium geschleppt, parallel habe ich Plakate geklebt, und mein größter Wunsch ist "Bundestagsabgeordnete sein". Am Ende des Studiums habe ich mich eventuell so bewährt, dass ich statt Karl Lauterbach einen sehr guten Listenplatz bekomme, und schwupps, bin ich im Bundestag. Oder im Landtag, ist ja egal. Da ich in Düsseldorf wohne, eigentlich lieber im Landtag. Da ich vielleicht noch weiter aufsteigen möchte, schreibe ich entweder selber eine sehr schlechte Doktorarbeit, oder ich lasse eine schreiben, das ist ja viel einfacher, und dann gehe ich von Gremium zu Gremium, gucke, dass ich bei möglichst vielen Leuten einen gut habe, und irgendwann kommt mein Moment und ich werde Ministerin für das, was noch frei ist. Im Prinzip ist ab dann alles sehr gut, ich kann mich durchonkeln, was jetzt allerdings nicht passieren darf, ist eine Krisensituation, das wäre doof. Dann tritt die ein, ich habe aber ja weder die eigene Erfahrung, noch kann ich sinnvoll bewerten, was andere Leute mir erklären, also brauche ich ein Leitsystem für meine Entscheidungen, das sehr niederkomplex ist. Ich orientiere mich im Großen und Ganzen an drei Parametern: 1) Parteiräson (wahlweise Koalitionsräson), 2) Abgrenzung vom politischen Gegner und 3) Was will die Wählerin wohl genau jetzt von mir hören. Und danach entscheide ich einfach alles weg. Partei und Koalition sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden, der politische Gegner ist höchstens unterrascht, und bei den Bürger*innen gibt es ja eigentlich nur zwei Herausforderungen: A) Ich muss irgendwie kohärent erklären können, warum die Schulen genau bei einer Inzidenz von 165 geschlossen werden sollen, obwohl wir eigentlich mal 35 gesagt hatten, da müsste es ja bestenfalls ein begründetes Argument für geben, und B) wenn der Wind sich dreht, muss ich mich eben geschmeidig und flexibel zeigen und vielleicht erst einmal einen Antrag des politischen Gegners ablehnen (aus Grund 2) und mich dann hinstellen und fordern, dass das jetzt alles schnell gehen muss, das sei ja alles eine große Katastrophe (aus Grund 3). Onkel onkel onkel. Politiksimulation.

Wenn es dann gut läuft, lässt der politische Gegner den Elfmeter liegen, niemand liest den echten Antrag und ich komme bei lauter werdenden Stimmen, die an das ursprüngliche Versagen erinnern, durch mit dem Argument "stimmt ja gar nicht". Ganz häufig funktioniert das sogar. Wenn es schlecht läuft, haben wir in den eigenen Reihen so unangenehme Leute mit Meinung und Rückgrat, die dann auf diesen ebenso unangenehmen Sozialen Medien einfach sagen, was Sache ist, mit denen muss ich dann hinterher reden, so geht's ja nicht. Mit dem hier zum Beispiel. Wenn es ganz schlecht läuft, rasen wir mitten in einer Krise auf eine Wahl zu, das ist dann der Moment, an dem meine Kolleg*innen das nächste Level freischalten. Jetzt muss ich also gleichzeitig die Parteiräson einhalten UND mich in Durchsetzungskraft, Empathie oder irgendwelchen anderen Parametern von den Kolleg*innen unterscheiden. Niedersachsen macht alles auf? Okay, ich mach alles zu. Auf der gleichen Datenbasis, wohlgemerkt, aber das ist egal, meine Bürger*innen wollen lieber alles auf haben. Baden-Württemberg verhängt eine Ausgangssperre? Dann muss ich stattdessen Testpflicht für alle im Küchenstudio einführen, im Prinzip sollte das auch wieder ganz einfach sein. Dummerweise versteht die Bevölkerung dann nicht mehr, was ich mache, aber wenn ich einfach ein Theaterfestival eröffnen gehe, dann hab ich ja wieder alle mit Kulturhintergrund besänftigt. So einfach ist das.

Und so spielen wir also Politiksimulation, das kann eigentlich jede*r, es geht ja zu keinem Zeitpunkt um irgendwelche Inhalte, Menschen, Krisen, Humanität oder - Gott bewahre - Logik. Und wenn man die Performance der Simulanten dann mit echten Berufen vergleicht, ist der Job eventuell viel zu gut bezahlt.

Glauben Sie nicht? Tja, hätte ich auch nicht geglaubt.


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Donnerstag, 15. April 2021
Geschlossener Brief
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet, sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer,

Sie wollen mich also erpressen? Wirklich? Fantastisch. Ich spiele gern mit.

Ich nenne Ihnen kurz meine Spielregeln: Sie bauen sich ein schönes System, das einerseits grundverkehrt und brandgefährlich ist, das es Ihnen allerdings ermöglicht, sich mit den Wirtschaftsbossen weiterhin prima zu verstehen (Schulen auf, koste es, was es wolle), andererseits durch einen nur mittelgut funktionierenden "Schutzmechanismus" die medizinische mit der sozialen "Verantwortung" so zu verbinden, dass die Eltern, die nicht gut zurecht kommen, wenn die Kinder nicht in der Schule sind (und für die habe ich großes Verständnis) sich das alles hervorragend schönreden können. Wird ja getestet, die Kinder sind sicher.

Als Gegenleistung erwarte ich von Ihnen ein Schlupfloch, durch das ich meinen ureigensten Job, auf mein Kind aufpassen und es nicht in riskante Situationen bringen, machen kann. Denn natürlich können wir das jetzt nicht so machen, dass Sie sagen, die Kinder müssen bis zu einer Inzidenz von 4000 in die Schule, und ich mach das dann. Das sehe ich nicht passieren. Der kleine Umweg über die Testpflicht kam mir zugegebenermaßen sehr gelegen. Ich hätte ja auch lügen können, oder ein Attest besorgen, mein Kind hat eine kleine Schwachstelle, aber nein. So ist es viel besser. Ich halte mein Kind nämlich gar nicht zuhause wegen seiner Niere, so ein Quatsch, sondern weil es vollkommener Unsinn ist, Kinder bis zu einer Inzidenz von 200 in Präsenz zu unterrichten. Das müssen wir schon gut unterscheiden.

Naja, liebe Frau Gebauer, wenn ich Sie in ihrer Pressekonferenz und das Schreiben des Rektors unserer Schule richtig verstanden habe, und ja, hab ich schon, wird mein Kind dann jetzt zur Strafe nicht mehr beschult. Richtig? Weil - so antworten Sie auf die Frage der Journalisten - das theoretisch natürlich möglich sei, praktisch gebe es aber keinen Anspruch darauf. Das ist auch die Auslegung der Schule: Quarantäne wegen COVID -> Distanzunterricht, Absenz wegen Testverweigerung -> Ausschluss vom Unterricht. Das ist ein grobes Foul.

Ich möchte kurz in ein anderes Genre wechseln. Sie sind erschreckend arme Würstchen. Wenn Sie auch nur eine Sekunde lang denken, ich würde mich dann jetzt anders entscheiden, haben Sie sich aber geschnitten. Dann wird mein Kind halt nicht beschult. Das ist Ihre Entscheidung, nicht meine. Und da ich ja Mathe kann, wissen wir, dass wir in Düsseldorf auch maximal von zwei Wochen sprechen. Aber.

Diese Erpressung ist hinterhältig und verachtenswert. Alle Kinder, denen das komplett Alleinelernen schwerfällt, werden so entweder abgehängt, leiden und sind verzweifelt und massiv überfordert, oder die Eltern knicken ein und schicken wider besseren Wissens ihre Kinder doch, weil sie ohne Beschulung Angst vor Nichtversetzung haben. Das haben Sie schlau gemacht. Wissen Sie, wer genau so entscheidet? Tesla, wenn sie nur eine Batterie bauen und die in der Hälfte der Fälle dann absichtlich drosseln.

Sie KÖNNEN Distanzunterricht anbieten, das tun die Schulen nämlich parallel auch für die Quarantäne Kinder. Dass Sie es in 13 Monaten nicht geschafft haben, ein Konzept für diesen Fall zu entwerfen, das etwas weiter über den Tellerrand hinausdenkt als "Bio in der 6b macht Herr Müller", das ist tragisch. Die Aufgabe ist für Fachleute erstaunlich niederkomplex. Dass Sie sich entscheiden, diese Konzeptlücke dadurch zu schließen, dass sie all die Eltern, die das tun wollen, was Christian Drosten, Sandra Ciesek, Karl Lauterbach und nicht zuletzt Lothar Wieler lautstark fordern, in die Situation bringen, dass sie sich entscheiden müssen, ob sie lieber die Gesundheit ihrer Kinder gefährden oder die Chance, schulisch den Anschluss zu halten, macht Sie zu verachtenswerten, kleinen Menschen.

Aber Sie wollen das so machen? Gut. Wir machen das so. Mein Kind bleibt zuhause, ich erlaube keine Tests. Dann halt kein Unterricht. So. Sie sind am Zug.

Und wissen Sie, was ich mir wünschen würde? Auch wenn ich weiß, dass aus vielen verschiedenen Gründen das so nicht sein wird? Ich würde mir und vor allem Ihnen wünschen, dass all die Eltern, die Präsenz bei Inzidenz 199 Mist finden, sich so entscheiden wie ich jetzt. Dann wäre es nämlich auch schon wieder ganz einfach. Wenn die Hälfte der Kinder nicht beschult wird, hahahahaha, ich denke es gerade zuende, möchte aber nicht spoilern. Doch. Ein bisschen spoilere ich doch: Es würde genau zwei Wochen dauern, bis Sie zurückrudern müssten und es natürlich sehr wohl ein Hybridmodell geben würde, selbst, wenn es ja scheinbar dafür kein Konzept gibt. Darum wünsche ich Ihnen das. Damit Sie die Quittung dafür kriegen, dass Sie Eltern erpressen und zu zwingen versuchen, ihre Kinder einer Situation auszusetzen, von der jeder laut denkende Mediziner außer Habdennamenvergessen sagt, sie sei extrem gefährlich.

Und die zweite Hälfte meines Wunsches besprechen wir bei der nächsten Wahl.

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Nachtrag. Vielleicht erinnern Sie sich, dass ich mich ja vor ziemlich genau einem Jahr schon einmal sehr echauffiert habe. Nur noch mal kurz zur Auffrischung des Gedächtnisses.

Just saying.

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Samstag, 20. März 2021
On a totally different note
Ich möchte mit Ihnen über Politik sprechen. Naja, ich weiß, dass das keiner mehr möchte, insbesondere ich nicht, da ich beruflich an einzelnen Stellen mehr Politik erleben durfte in den letzten Monaten, als ich mir jemals gewünscht hätte. Wenn man sich die Gesamtgemengelage ansieht, macht das aber vermutlich keinen Unterschied, ein gewisses Maß an Überdruss gibt es ja allerorts zu beobachten momentan. Ich möchte auch gar nicht über einzelne Entscheidungen oder Prozesse oder gar Entwicklungen sprechen, Sie haben die ja alle live miterlebt und sicherlich ganz eigene Meinungen. Ich möchte vielmehr noch einmal strukturiert aufschreiben, was ich an "dem politischen Amt" an sich so schlecht finde, und natürlich habe ich überhaupt keine Lösungsansätze, und das ist mein gutes Recht, ich habe nämlich gar kein politisches Amt und muss deshalb nix lösen.

Ich habe ja in der Vergangenheit schon zwei drastische Änderungen des politischen Systems vorgeschlagen, die beide natürlich überhaupt gar nicht umsetzbar sind. Eines sollte dazu dienen, den Entwertungsprozess akademischer Qualifikation aufzuhalten, indem wir einfach verbieten, dass Politiker einen Doktortitel tragen, der ihnen beim Plakatekleben die Leiter stabilisiert, but who has the time, man klebt ja Plakate, dann schreibt es halt einfach jemand anderes (Guttenberg) oder ich schreib es selbst aber schlecht (alle anderen). In Pandemiemonat 140 ist mein größtes inneres Anliegen ja gar nicht mehr die Reputation der deutschen Forschungslandschaft, man kann ja nicht alles retten, jetzt wäre eventuell gut, wenn Politik weniger mit Machterhalt und Partikularinteressen zu tun hätte, als mit der Sicherung der Lebensbedingungen der Bürger des Landes. Dazu hatte ich ja einst die zweite Idee, nämlich dass politische Ämter pro Bono geleistet werden sollten, quasi wie Vorstand im Elterninitiativkindergarten oder Gutachter für irgendwelche Gremien. Wenn Politiker nur noch eine Funktion wäre und kein Job, dann könnten alle einfach so entscheiden, wie sie mögen, und am Ende wird man abgewählt und wird wieder Lehrer oder Rechtsanwalt. Klar, funktioniert auch nicht, aber Sie sehen den Punkt. Fähnchen im Winde muss man ja nicht sein, wenn die eigene Existenz nicht von der Gunst der Wähler*innen abhängt.

Heute ergänze ich meine Liste realitätsferner Vorschläge zur Umstrukturierung des politischen Systems um einen weiteren wichtigen Punkt: Minister müssen Fachleute in ihrem Gebiet sein. Und das kam so.

Ich werfe mal das Wort AstraZeneka in den Raum (oder - für die Nordrhein-Westfalen im Raum AntraZeneka). Ich habe zu dem Vorgang eine Meinung, auch die ist allerdings von Partikularinteresse gefärbt, deshalb tut die nichts zur Sache. Dass Herr Spahn in der Causa so furchtbar unter Beschuss geraten ist, hielt ich allerdings, soviel darf ich sagen, für unangemessen, denn: Er konnte das ja gar nicht anders entscheiden, als dem PEI zu folgen. Und an dieser Stelle könnte ich aufhören zu schreiben.

Wäre es nicht so gewesen, dass Karl Lauterbach, ein Mann, bei dem ich nicht unter Verdacht stehe, dass ich ihn vor der Pandemie besonders überzeugend gefunden hätte, in exakt jeder Talkshow der letzten Woche zu verstehen gegeben hätte, dass er sich über die Empfehlung hinweggesetzt und die Impfungen vorerst nicht ausgesetzt hätte. Ob das im Ernstfall so gewesen wäre, ist noch mal eine völlig andere Frage, klar. Denn bislang hat es anscheinend glücklicherweise 12 Monate niemand geschafft, ihn zur Räson zu rufen, auch nicht mit einer gemeinsamen Bundespressekonferenz mit dem Minister, deshalb kann er einfach sagen, was er denkt, ob das als Minister noch so wäre, bliebe abzuwarten. Und das ist ja eine erfrischende Abwechslung. Aber mein Punkt ist der: Er ist vom Fach. Er kann das, was man ihm rät, selber abwägen, einordnen, zu 100 Prozent verstehen und sich dann auch dagegen entscheiden. Ich rutsche kurz rüber in ein politisches Gebiet, das mir näher liegt. Ich wäre ja (meines Erachtens) eine hervorragende parteilose Bundesbildungsministerin. Aus folgendem Grund (und nein, ich würde das im Leben nicht machen, keine Sorge). Ich habe in Deutschland studiert, ich war in Deutschland kurz Doktorandin, und ich habe in Deutschland als Professorin in dem Wahnsinn gearbeitet. Zwischendrin war ich allerdings jahrelang an ausländischen Universitäten beschäftigt, und zwar an denen, die den Ruf haben, bestens zu funktionieren und weltweit ihresgleichen suchen. Ich weiß also, wie ein funktionierendes System aussieht, und ich weiß, wie es in Deutschland aussieht. Ich habe Erfahrung von innen.

Jetzt können Sie sagen "ja, aber auch fachfremde Minister haben ja Berater, die beraten sie dann halt." Ich stelle mir das so vor: Die Bundesbildungsministerin trifft sich bei Sekt und Häppchen mit sechs Universitätsrektoren. Drei sagen ihr, sie solle aus den folgenden TOTAL PLAUSIBLEN Gründen nach links gehen, drei sagen ihr, sie solle aus den folgenden TOTAL PLAUSIBLEN Gründen nach rechts gehen. Die Aufgabe einer Führungsperson der Besoldungsstufe B11 ist dann, anschließend zu sagen, ob die Nation links, rechts oder - tadaaa - geradeaus gehen soll. Und diese Entscheidung muss dann verantwortet werden. Von der Person. Dazu ist allerdings nötig, dass diese Person komplett verstanden hat, worum es geht, jedes Detail durchdrungen hat und mit dem eigenen Hintergrundwissen so lange abwägt, bis sie weiß, was zu tun ist, und das muss dann getan werden, und wenn das dann schiefgeht, muss die Person das verantworten, weshalb es wieder sehr von Vorteil ist, wenn man nicht auf Gedeih und Verderb davon abhängig ist, dass B11 am Monatsende ausgezahlt wird (oder war es am Monatsanfang? Ich weiß es nicht mehr, ist lange her), im Zweifelsfall muss man ja sein Handeln selber verantworten und entsprechend weggehen.

Zurück zu AstraZeneca. Spahn konnte nicht anders entscheiden, denn er hat nicht das Rüstzeug, selber solche Entscheidungen zu treffen. Lauterbach hätte anders entschieden, und es ist für den Punkt total unwichtig, ob das richtig oder falsch gewesen wäre. Ich erwarte von Politiker*innen in einem Amt mit Entscheidungsbefugnis, dass sie in der Lage sind, eine Entscheidung aufgrund ihres Wissens zu treffen, Berater zu verstehen und ohne sich hinter anderen zu verstecken durch Krisen steuern zu können. Ich erwarte auch, dass sie die Verantwortung für diese Entscheidungen alleine tragen. In Unternehmen ist das übrigens nicht anders. In meinem Zwischenspiel als Vorständin lief es exakt so. Man hört sich alle Seiten an und entscheidet letztendlich das, was man für genau richtig hält. Wenn man alles gehört und verstanden hat. Und dann trägt man die Verantwortung für diese Entscheidung. Das Risiko ist übrigens sowohl mit dem Vorstandsgehalt als auch mit B11 abgegolten.

Ich würde mir also für die Zukunft wünschen, und das sag ich mal in Richtung von Robert Habeck, damit der das schon mal durchdenken kann: Ein Kabinett sollte meines Erachtens nicht so gebildet werden, dass man eine kleine Handvoll hochrangiger Berufspolitiker hat, und am Ende sagt einer "Oh, der Jens hat noch kein Amt", und schwupps, ist der Jens Gesundheitsminister. Oder "oh, da ist noch eine Hotelfachfrau ohne Amt, das BMBF ist noch frei, da kann man ja auch nix falschmachen, wegen des Föderalismus". Justizminister sind ja auch irgendwie oft Juristen, wenn ich das richtig verfolgt habe. Und das Verteidigungsministerium könnte ja zum Beispiel eine Frau leiten, die mal bei der Bundeswehr war. Aber jetzt übertreibe ich.

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