Sonntag, 4. April 2021
If
Sie können mich ja jetzt alle für hysterisch halten, ich lebe damit. Aber ausgelöst durch eine gewisse Grundunentspanntheit in den letzten Wochen, dem Bewusstsein, dass einem auch wirklich sehr doofe Dinge im Leben passieren können und dann nicht zuletzt noch einem Tweet habe ich heute auf dem kleinen Dienstweg meinen Nachlass geregelt. Also eher, was ich zurückließe, wenn der Gatte und ich aus Versehen beide Covid-19 hätten und beide ins Krankenhaus müssten (oder vor einen Baum führen. Oder vom Meteoriten getroffen würden). Finden Sie makaber? Beileibe nicht. Ich prävisualisiere, das mache ich in schwierigen Situationen so, und das gibt mir die innere Ruhe, dass ich ja dann genau weiß, was passieren würde, wenn X. Tritt X nicht ein: Umso besser. Träte X doch ein, wäre das dann für mich ein Problem, für alle anderen aber nicht, und das beruhigt mich ungemein.

Stellen wir uns also kurz vor, Vater und Mutter Herzbruch wären beide zeitgleich krankenhauspflichtig malade. Wäre Ona positiv aber fit, bliebe er erst eine Zeit zuhause, unter Beobachtung der geimpften Oma, die ja nebenan wohnt und sich mit Vorsichtsmaßnahmen kümmern könnte, bis er nicht mehr ansteckend wäre. Dann käme Frau N ins Spiel, die Kind und Hund (und meine Schuhe, die hat sie geschickt mitverhandelt) abholte und erstmal versorgte, bis wir entweder fit sind, oder halt nicht, und dann versorgt sie halt immer. Sie prävisualisiert bereits einen Umzug, man braucht dann ja mehr Platz, aber wir sind gut versichert. Und die Biokiste müsste zweimal die Woche kommen, mein Kind isst große Mengen. Die Eingangsfrage beschäftigte sich übrigens nur mit dem Kind, allerdings kam zwei Stunden später noch der Hinweis, dass der Hund dann aber auch ihrer sei. Nun gut. Es tut mir leid, Internet, der tolle Hund ist bereits weg. Der Kater würde bei der Oma bleiben, die haben ein ähnliches Aktivitätslevel und verstehen sich seit vielen Jahren sehr gut.

Damit ist das jetzt alles geklärt. Und ich kann ein weiteres Stück entspannen. Meistens ist es ja auch so, dass die Dinge, deren eventuelle Folgen man haarklein durchplant, dann auch gar nicht eintreten. Und das wäre ja super.

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Samstag, 3. April 2021
I'm speaking
Ich wollte einen langen Beitrag über den Talkshow-Auftritt von Melanie Brinkmann schreiben, aber ich habe keine Lust. Nach 20 Jahren im Job habe ich keine Lust mehr. Ich habe zig solcher Situationen erlebt, ich habe gegengehalten, ich habe jahrelang geübt, wie man ruhig das Wort behält, ich habe mich fulminant gegen alte Männer in Diskussionsrunden verteidigt, um dann hinterher in der Mittagspause am Buffet zu stehen und zu hören, dass hinter mir darüber diskutiert wird, ob ich wohl im Bett auch so feurig sei, bin "Mädchen" genannt worden, bin ironisch "Frau Professor" genannt worden, bin abfällig "die junge Kollegin" genannt worden, bin von Berufungskommissionsvorsitzenden gefragt worden, wie ich mich als Frau denn durchsetzen wollen würde, und alles in allem macht mich das nur noch müde. Mit 25 habe ich noch vehement behauptet, dass das Problem vermutlich bald erledigt sein wird, weil die Fossile ja jetzt aussterben, aber jetzt bin ich 44, und die Situation ist unverändert. Schade.

Vor zwei Wochen war mal wieder mein regelmäßiger Gremientermin, bei dem diese Art von Verhalten den sehr wenigen Frauen in der Runde gegenüber ganz üblich ist. Bereits in der Check-In Runde war klar, dass ich mal wieder einen längeren Wortbeitrag leisten werden muss, als späte Reaktion auf den Kollegen, der die Runde mit der anekdotischen Information begann, grundsätzlich nicht mehr mit so hormonellen und zickigen Frauen arbeiten zu wollen, und ich habe meine Gelegenheit zur Validierung seiner Theorie genutzt. Anschließend haben mehrere Damen mich angeschrieben, um zu fragen, was denn so meine Tips in solchen Situationen sind.

Ich habe keine. Ich kann nur sagen, was ich in 20 Jahren gelernt habe. Ich lasse mir in einer fachlichen Diskussion nie das Wort abschneiden. Und das ist meines Erachtens der wichtigste Schritt. Wenn ich unterbrochen werde, sage ich "Ich rede noch", wenn das nicht hilft, sage ich "Stop", und wenn das nicht hilft, hebe ich die Hand und sage "Stop". Das funktioniert immer, der Trick ist aber, dann nahtlos weiterzusprechen, das musste ich üben. Und nicht das Wasserglas zu nehmen, wenn man nämlich zittert, wirkt das auch wieder unsouverän. Keine offene Flanke bieten.

Männer, die hier mitlesen, sind bestimmt alle toll, daran habe ich keinen Zweifel. Die würden das nie machen. Die zwei Männer, mit denen ich am allerengsten zusammenarbeite, habe ich übrigens beide kennengelernt in einer Situation, in der sie mir ungebremst und sehr bestimmt zur Seite gesprungen sind und einem Fossil ordentlich eine mitgegeben haben. Sollten Sie irgendwann mal daneben sitzen, wenn eine Frau in einer professionellen Situation dafür belächelt wird, dass sie auch mal kurz etwas sagen möchte: Das ist Ihr Moment. Sie wird keine Hilfe brauchen. Aber sie freut sich über Allianz.

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Freitag, 2. April 2021
Mein lieber Herr
Das mit den Überschriften fand ich ja schon immer das Alleranstrengendste am ganzen Bloggen. Mittelfristig brauche ich da eine andere Lösung. Eigentlich wollte ich ja immer einfach ein Lied hinschreiben, welches ich an dem Tag aus irgendeinem meist unbemerkten Zusammenhang in den Kopf gespült bekam, aber wie das so ist, ist natürlich auch der Ohrwurm intrapandemisch noch viel anstrengender als sonst. Es ist ja einfach absolut alles intrapandemisch viel anstrengender als sonst.

Heute morgen wachte ich um 7 Uhr auf und sah mich mit einem großen Problem konfrontiert. Ich hatte einen Ohrwurm, von dem ich allerdings nur 1/4 Takt überhaupt zu fassen kriegte. Ich wusste, dass das Lied ein französisches ist, sehr bekannt, dass es sicherlich sehr viel Spaß machen würde, das zu singen, weil es mich irgendwie anregt, und ich erinnerte mich, dass es zwei Frauen gab, die das Lied in einer französischen Show gesungen haben. Beide im Etuikleid, eines schwarz, eines weiß.

Nun habe ich ja vor einiger Zeit das System, einfach immer alles nur noch bei Twitter zu erfragen, statt selber nachzudenken, von Frau N abgeguckt, aber in diesem Fall sah ich da wenig Hoffnung. Ich drehte mich also auf die andere Seite, ich habe Rücken, und dachte nach. Irgendwann kamen zwei Namensbestandteile hinzu. Ein Name einer Sängerin endete auf d, einer, eventuell der gleiche, aber vielleicht auch nicht, hatte ein Doppel-L. Ich drehte mich auf den Rücken und überlegte, ob ich überhaupt irgendeine französische Sängerin kenne und kam zu dem Entschluss, dass ich keine einzige französische Sängerin kenne. Dann fiel mir allerdings ein, dass es wohl so war, dass eine der beiden, oder vielleicht beide, auch eher eine Schauspielerin als eine Sängerin war, nach einem kurzen Check war aber klar, dass ich ja überhaupt nur zwei Schauspielerinnen auf der ganzen Welt namentlich kannte, nämlich Heike Makatsch, und zwar deshalb, weil ihre Patentante bei unserem Dorfmetzger arbeitete und vor 20 Jahren mal erzählte, dass sich auch eine erfolgreiche deutsche Schauspielerin nur eine Einzimmerwohnung in London leisten kann, und Jodie Foster. Und Liza Minelli, stimmt, die kannte ich auch, und plötzlich war mir klar, dass das Lied, das ich suche, so ähnlich war wie Mein lieber Herr aus Cabaret, aber eben auf Französisch und ganz anders. Aber irgendwas mit Herr auf jeden Fall. Die Frage, ob es eventuell reichen könnte, den aufkommenden Ohrwurm mit dem exzessiven Hören von Cabaret zu bekämpfen, habe ich realistisch sofort wieder verworfen.

Um 7.45 Uhr war ich entsprechend angestrengt und genervt. Dann kam noch eine Anfrage des Kompagnons, ob wir uns um 8 eben mit geteiltem Bildschirm zusammenschalten könnten, die ich mit einer sehr bestimmten Einordnung des Wochentags beantwortete (als ungläubige Selbständige teile ich meine Tage intrapandemisch nur noch auf in "kann um 8 telefonieren" und "kann nach 10 telefonieren"), und dann dachte ich weiter nach.

Ich fand keine unterbewussten Bruchstücke mehr, nahm also um 8 Uhr eine sitzende Position ein und entschied, den vielleicht nicht unanstrengendsten aber hoffnungsversprechendsten Weg einzuschlagen. Ich googlete "französische Schauspielerin" schloss dann ein paar Namen noch aus, die anscheinend berühmt sind, und suchte minutenlang nach Namen, die ein ll und ein d haben.

Ich kürze ab. Das ist das Lied. Milord. Gesungen von einer kleinen und einer großen Frau, die große ist Marion Cotillard. Beide tragen ein Etuikleid. Warum mein Hinterkopf mir Edith Piaf nicht angeboten hat, ist natürlich nicht bekannt. Ich schaute mir das Video zweimal an, dann kam das Kind in mein Schlafzimmer und fragte schlaftrunken "Warum hörst du das rote Pferd auf Französisch?", dann drehte ich mich um und sang ein bisschen Cabaret Stücke leise im Kopf.

Ich habe nachgedacht. Manchmal hilft das, Herr Laschet.

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