Dienstag, 4. Mai 2021
Tag 1
Nussecken-Quarantäne voller Tag Nummer 1. Und direkt wird offenbar, woran es in den nächsten zwei Wochen hapern wird: Ansprache fürs Kind. 8 Uhr geht die Schule los, eigentlich bin ich morgens nicht involviert, jetzt doch, frühstücken will er nicht, lieber um 9 Uhr in der Pause eine Tomatensuppe, das finde ich alles schwierig, ich will aber ja auch nicht frühstücken, nun gut. Dann Mathearbeit, während ich einen Termin habe, so kann ich weder vorher angemessen beruhigen noch hinterher angemessen mit freuen, dass es gut gelaufen ist. Nachmittags die Nachricht der Lehrerin, sie hat schon korrigiert, er hat alles richtig, ich bin am Telefon, freue mich gerne später mit, wenn ich mehr Zeit habe. Das ist alles sehr unbefriedigend. Der Vorschlag, dass der Herr Papa doch vielleicht via Videokonferenz an seinem Leben teilnehmen könnte, trifft auf beiden Seiten nicht auf Begeisterung, meine Begeisterung, mittags für den Mann ein Essen zu zaubern, trifft wiederum nicht auf mich, also schlage ich ihm vor, ich könne gerne etwas bestellen, ich habe ja auch Hunger aber nun leider keine Zeit, möchte er auch nicht, er hat noch einen Apfel. Wäsche, Küche aufräumen, noch ein Termin, ein bisschen arbeiten, draußen Regen, das Kind telefoniert mit der Switch in der Hand mit seinem Freund. Das hat sich die Generation so ausgedacht. Einfach nur telefonieren ist für alte Leute, zusammen online irgendein Spiel spielen, dabei telefonieren und ganz of "Alter" sagen, das macht man heute so. Ich erfinde in kürzester Zeit eine neue Regel, die da lautet: Medienzeit mit Kind am Telefon ist keine Medienzeit, und schwupps, kann ich wieder telefonieren, das Kind telefoniert auch, wir machen beide Medienzeit, meine ist bezahlt.

Abends die Einsicht, dass man, wenn man um 19 Uhr Feierabend macht, nicht um 18.30 das Essen auf dem Tisch stehen hat, also wird wieder etwas bestellt, dieses Mal vom Mann, ich habe zwei Sommerrollen, die das Kind aufisst, dabei steht das IPad auf der Theke und wir gucken "Mord mit Aussicht", weil das etwas ist, was wir noch nie gemacht haben, und es scheint sich als Ritual schnell einzuschleifen: Wenn Quarantäne, Separierung und 40 Mal über den Tag verteilt "Jetzt nicht", dann essen wir mit Fernsehen, anschließend gibt es ein Eis. Ich darf dabei nicht twittern, das findet er doof. Mittendrin erscheint der Mann in der Schleuse, eine halblustige romantische Szene spielt sich ab, bei der beide sich mit den Händen an die frischgeputzte Fensterscheibe klammern, ich lasse das Eis aus. Ich umgehe Coronakilos, ich will keine Quarantänekilos, ist alles schon schlimm genug.

So wird das also jetzt. Meine Monate sind beruflich immer sehr zyklisch: Ich habe zwei sehr schlimme Wochen und zwei sehr okaye. Der Turnus der zwei schlimmen Wochen ist exakt gestern angebrochen, pünktlich zum Wiedereintritt des Herrn Papa könnte ich dann theoretisch entspannen. Wir werden sehen. Bis dahin wird Ona viel Eis essen, höchstwahrscheinlich jeden einzelnen Abend sagen, dass das Allerschönste, was er mit mir machen könnte, beim Essen Mord mit Aussicht gucken ist, ich werde jeden einzelnen Tag ein unfassbar schlechtes Gewissen haben, vermutlich irgendwann in einem Ganzkörperschutzanzug ins Gartenhaus stürmen und schreien "JETZT MACH ENDLICH EINE SCHEIß VIDEOKONFERENZ, ICH HAB EINEN CALL JETZT!", und dann wird es vorbei sein, bis dahin hat Niedersachsen seine Ferienwohnungen wieder geöffnet, und dann nehme ich den völlig untersporteten Hund und fahre in die Lüneburger Heide. Soweit der Plan.

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Dienstag, 4. Mai 2021
Es gab eine Nussecke
In diesem Beitrag werden Sie auf sehr unflätige Ausdrücke treffen.

Wie schrieb Frau N gerade? Herr Herzbruch hat ein sehr besonderes Verhältnis zu Gebäck. Ich hätte es natürlich auch vorher schon sagen können, aber dann hätte das unsympathisch gewirkt. Heute kann ich jedoch sehr pointiert anmerken: Im Angesicht einer Nussecke setzt auch die letzte Denkleistung aus.

Herr H macht - wie ich - seit 14 Monaten Home Office, das ist natürlich doof, für mich auch, klar, keine Frage, und wenngleich wir zwar aufgeteilt sind auf Haupt- und Nebengebäude, muss man, wenn man immer zuhause ist, auch immer das Geschirr in die Spülmaschine stellen und aufräumen und so, weil ich ja auch gar nicht die Assistentin bin, das kann in Pandemiemonat 15 schon mal nerven. So fuhr er also Dienstag ins Büro, weil er Akten brauchte. Mittwoch fuhr er ins Büro, weil er was kopieren musste (der Kopierer aus meinem Büro steht übrigens im Wohnzimmer), Donnerstag musste er eine Baustelle abnehmen, die neben seinem Büro war, und Freitag hatte der Kollege seinen letzten Arbeitstag. Dass er dafür nach Essen fährt, hatte er vergessen, zu erzählen, umso größer war meine Empörung, da das mit dem ganzen Kind Job Haushalt ja auch nur dann klappt, wenn ich nicht 4 Tage alles gleichzeitig machen muss... Nun denn. Heute mittag kam der Anruf: Seine Kollegen haben alle 3 positive Schnelltests gemacht. So. Das Level meiner Eskalation können Sie sich nicht gut vorstellen, das entzieht sich auch jeder Vorstellungskraft, es war aber so, dass Frau Novemberregen jegliche Kommunikation mit meinem Mann in ihrer Funktion als Personalchefin und meine viel bessere Hälfte übernahm, während ich die nächsten sechs Stunden über dem Klo hing, weil ich mich so aufgeregt hatte, dass, ach egal.

Jedenfalls ist es so. ALL DIESE PISSER können, wie mein Mann übrigens auch, bestens von zuhause arbeiten, haben aber keine Lust. Sitzen dann also in einem Gebäude, das vor einigen Jahren für 600 Leute gebaut wurde, von denen 300 entlassen wurden, ZUSAMMEN IN EINEM BÜRO, während übrigens von den letzten 300 etwa 250 sowieso im Homeoffice sind, AUS BETRIEBLICHEN GRÜNDEN, entschuldigen Sie, wenn ich laut werde, dann steckt sich einer irgendwo an, dann sind ALLE positiv, weil es so gemütlich ist, alleine ist auch doof, klar, und dann geht einer weg und mein Mann reist extra an, UM EINE BESCHISSENE NUSSECKE MIT DENEN ZU ESSEN. Ich habe dafür keine Worte. Keine Worte. Nach dem Gespräch mit dem Gesundheitsamt gab es dann also eine Videokonferenz zwischen Frau N und Herrn H, in der sie ihm noch mal sehr genau erklärte, was jetzt passiert. Mittwoch hat er den Termin zum PCR Test. Vorher Selbsttest natürlich, wenn der positiv ist, kommt das Gesundheitsamt raus, sonst Hausarzt gegenüber. Solange sind wir alle drei unter Hausarrest, was interessant ist, to say the least. Herr H wohnt jetzt im Gartenhaus und bekommt von mir vermutlich keine Nussecke serviert, das Kind und ich wohnen in der Hauptwohnung (nun gut, das ist ja immer so, aber die Küche, die Küche...) und warten den Test ab, der Wintergarten ist die Schleuse, in der wir Dinge transferieren können. Ist der PCR Test negativ, dürfen Ona und ich ab Ergebnis Donnerstag oder Freitag wieder raus, Herr H bleibt allerdings bis zum 14.5. in Quarantäne. Ist der Test positiv, eskaliere ich sehr, aber das verschieben wir auf Donnerstag. Sie machte ihm übrigens noch den schönen Vorschlag, dass er ja leider im Gartenhaus bleiben müsse, er solle aber vielleicht aus logistischen Gründen seine Kreditkarte einfach mir geben. Chie Mihara hat die neue Kollektion draußen. Prost.

Interessant auch die sehr wenig löbliche Vorgehensweise der Kollegen. Samstag getestet: positiv. Nix gemacht. Sonntag getestet: positiv. Nix gemacht. Montag getestet: positiv. Arbeitgeber angerufen, würden jetzt mal einen PCR Test machen gehen. Ich habe Fragen.

Ich kann auch vor lauter Wut gar nicht mehr kohärent schreiben, das tut mir sehr leid, ich hätte gerne einen sehr schwungvollen Quarantänetext verfasst, aber Sie müssen wissen, dass ich heute *sehr* schlecht gelaunt bin, und dass ich ab morgen sehr große Sorge habe. Ich sitze doch nicht umsonst 14 Monate eingeschlossen zuhause. Ich wollte gerne mit allen Mitteln verhindern, dass Ona und ich uns anstecken, und ja, ich weiß, dass man das nicht ausschließen kann und sich viele sehr vorsichtige Leute anstecken. ABER ICH GEHE KEINE NUSSECKE ESSEN IM NEUGEGRÜNDETEN GROSSRAUMBÜRO! Deshalb bin ich wütend.

Das Schöne ist, dass ich ja so sehr am längeren Hebel sitze, wie es nur irgend möglich ist. Ich habe die Küche, und das ist der eine Raum, der zählt. Morgen koche ich Bratkartoffeln mit Spiegelei. Wenn Herr H im Gartenhaus Hunger hat, bringe ich gerne was vorbei, nein, Moment, ich stelle es in die Schleuse. Mag er übrigens nicht so gerne. Übermorgen koche ich Gemüsebolo. Mag er nicht so gerne. Donnerstag Kürbislasagne mit extra Birne. Sie sehen das Muster. Während meiner Vorlesung eben hatte er sich und Ona eine Pizza bestellt (ich wollte keine), die ich annehmen musste (einfaches System: Boten in den Flur lassen, der stellt die Kartons auf die Altpapiertonne, ich hole sie da ab, neben der Wohnungstür). Ich habe sie 3/4 aufgegessen. Dann lieh ich ihm ein IPad, damit er uns dabei zugucken kann, wie wir zum Nachtisch ein Eis essen. Ich esse nie Eis. Nie. Heute gab es Eis.

Ich bin sehr wütend. Und das ist nicht gut. Ich bin insgesamt sehr angeschlagen, wobei ich jetzt gerade gut abgelenkt bin. Ich wollte eigentlich ein neues Tagebuch schreiben, hatte gerade damit angefangen. Und jetzt muss ich mich mit Essensentzugstrafen beschäftigen. Das war alles so nicht geplant. Und danke an Caro und Eric, die für mich eingekauft und die bestellten Zigaretten einfach nicht geliefert haben. Das war ganz groß, ich hab nämlich fucking Hausarrest und nur noch wenig fucking Impulskontrolle.

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Sonntag, 2. Mai 2021
Let it rain
Ich sitze in meiner Küche an der Theke und schaue in den Garten. Ich trage als warnendes Symbol meinen Weihnachtspyjama 2020, Sonne und Wolken wechseln sich ab, was fehlt, ist Regen. Seit Tagen schon droht meine Wetterapp damit, dass es tagelang regnen soll. Tut es aber nicht. Heute wieder. Es sollte regnen, tut es aber nicht. Dabei wäre ich vollkommen bereit, ich bin emotional komplett verstimmt und aus dem Tritt und trage wie erwähnt den Weihnachtspyjama. Ich habe mich darauf vorbereitet, dass es im Pandemiemonat 15 9 Tage grau ist, und da meine App mir den 10. Tag nicht anzeigt, habe ich immer fest daran geglaubt, dass der Frühling dann anschließend wie der Phönix aus der Asche steigt und meine Laune mit in ungeahnte Höhen nimmt. Stattdessen fehlt der Regentag heute, dafür hat die App hinten einen drangehängt. So geht das nicht, das ist Betrug. Ich möchte mit dem Regen schnell durch sein, genau so, wie auch mein Garten mit dem Regen jetzt mal schnell durch sein möchte. Auch dieser befindet sich an einem Kipppunkt. Hyazinthen alle verblüht, dafür blühen jetzt Edelflieder und Herbstflieder, die vielen Schmetterlingsflieder kommen erst im Juli an die Reihe. Wenn es bald mal regnet. Sonst kommt hier gar nix mehr.

Letztes und vorletztes Jahr habe ich versucht, die Pfingstrose auszugraben und zu Kompost zu verarbeiten. Sie steht im Weg. Wie so ein Krebsgeschwür kommt allerdings ein Teil von ihr jedes Jahr wieder raus. Ich verstehe das nicht, und leider fehlt es mir an exekutiver Willenskraft, eine Pflanze auszugraben, die sich gerade aufmacht, zu blühen. Ich habe es schon wieder verpasst, also schreddert sie jetzt meine neue Brombeere, die ich so liebevoll dort gepflanzt hatte, wo ich vermeintlich die Pfingstrose ausgerottet hatte.

Garten verschlanken, das ist nur eine konsequente Fortführung eines aktuellen Prinzips. Privatleben verschlanken. Kontakte verschlanken. Romantik verschlanken, sich selber verschlanken. Frau N sieht mich am Ende der Pandemie wie einen Schmetterling aus dem Kokon gucken, ich bin noch nicht überzeugt. 15 Kilo habe ich in den letzten Wochen und Monaten abgenommen. Ich will nicht sagen, dass es nicht nötig gewesen wäre, aber ich bin schon überrascht. Verzicht auf Zucker und Weißmehl, dafür täglich eine große Portion Sorgen, Anspannung, Homeoffice und Leid, und zack, purzelpurzelpurzel. Das wirkt dann auf dem Tinder Foto super.

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