Donnerstag, 6. Januar 2022
This is my body
Wenn Sie heute im Karstadt in Düsseldorf waren und sich wunderten, dass im ersten Stock eine schluchzende Frau stand: Seien Sie beruhigt, es geht mir gut. Vielleicht war ich ein bisschen überfordert von der Gesamtsituation, ich finde aber, dass das in einer Pandemie nur angemessen und somit akzeptabel ist.

Eventuell musste ich weinen, weil ich an einem Ständer vorbeilief, an dem es Kragen gab, die zu nichts gehörten. Also einfach ein Blusenkragen, mit Glitzersteinchen drauf, an der Seite so komische Gummizüge, die vermutlich unter den Achseln sitzen, damit man nicht irgendwann einen Fitzel - ich verfüge scheinbar nicht einmal über das Vokabular, dieses Kleidungsstück zu beschreiben - aus dem Pulli herauslugen hat in der Videokonferenz. Das Verb "herauslugen" habe ich jetzt taktisch gewählt, um zu demonstrieren, dass ich abseits des Kragens sehr wohl über Wörter verfüge. Jedenfalls war ich gefühlt in der gesamten Pandemie nicht in Kaufhäusern, doch einmal, ich kaufte Wäsche, und was vielleicht auch dazu beitrug, dass ich weinen musste, war die Erkenntnis, dass ich mich scheinbar in den letzten zwei Jahren auf wirklich allen in einem Vollsortimenter verfügbaren Gebieten so festgefahren habe, dass es dort nichts mehr gibt, was ich kaufen wollen würde. Vielleicht ist das auch eine gute Sache, aber die Kombination von Keinen-Quatsch-mehr-kaufen und Für-die-meisten-Dinge-immer-genau-das-gleiche-kaufen lässt mich eine halbe Stunde durch einen menschenleeren Karstadt laufen (wegen Pandemie, nicht wegen 2G), dann ein bisschen weinen, und dann in die Apotheke auf der gegenüberliegenden Straßenseite gehen, weil Medikamente hermüssen, und zack, Sale meiner Gesichtspflege, 25% Rabatt, und jetzt habe ich schon die Nachfolgetube Tag und Nacht in der Schublade, plus einen Tiegel Bodylotion, und ich musste nicht mit leeren Händen nach Hause. Das war schön.

Vielleicht habe ich auch weinen müssen, weil ich sehr sehr erleichtert war, ich kam nämlich gerade vom Haararzt, der neben dem Karstadt ist und ich musste etwas Zeit überbrücken, und zu meiner vorsichtigen Freude fand der Haararzt im Lichte einer sehr hellen Lampe schneeweißen kleinen Flaum. Wie bei einer Gans. Am Hinterkopf. Da, wo vorher nichts war. Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich laut Blutbild einen guten Eisenwert. Dafür verfüge ich über einen spektakulären Vitamin D Wert von 4 (normal ist 30, whatever that means, aber 4 ist 26 zu wenig und sehr schlecht), und Selen habe ich irgendwie auch nicht mehr. Aber das ist alles nix, was man nicht wieder hinkriegt, und ich nehme jetzt ja keine Eisentabletten mehr, also habe ich in meinem Pillendöschen Raum für Vitamin D und Selen. Insgesamt möchte ich sagen, dass so ein Körper ein hochkomplexes Gebilde ist, und wenn der Deal jetzt ist, dass ich immer alles irgendwie mikromanagen muss, weil nix mehr von alleine klappt, ist das zwar anstrengend, aber ich bin sehr gut in Sachen managen und wenn das am Ende dazu führt, dass ich ganz viele schicke Gänsedaunen auf dem Kopf habe, ist ja alles wieder gut. Wie viele Vitamine und Gedöns kann man schon haben?

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Mittwoch, 5. Januar 2022
Maniac
Ich habe eine Sache verstanden. Das ist ja immer erst mal gut, Verstehen ist der erste Schritt zur Akzeptanz. Ich bin manisch depressiv, allerdings jährlich wechselnd. 2020 alles schön, 2021 alles schlecht, 2022 perspektivisch alles wieder schön. Beruflich war es 2020 und 2021 genau andersrum, 2022 wird ein neues Jahr, welches buchhalterisch schon seit 4 Tagen quasi fertig ist, und jetzt nutze ich die verbleibende Zeit, um darüber nachzudenken, was ich eigentlich wirklich neben dem, was ich bereits mache und was ziemlich genau das ist, was ich machen möchte und was als Broterwerb sehr sinnvoll ist, noch machen möchte. Vor drei Jahren habe ich den Schritt gewagt, zu probieren, was passiert, wenn ich nur noch mache, was die Welt unterm Strich weiterbringt und mir Spaß macht, und erfreulicherweise kann ich im Januar 2022 sagen: Davon lebe ich gut, erst trotz, dann wegen Pandemie. Und wer hier ein paar Jahre mitgelesen hat, weiß, dass dieser Moment der Erkenntnis üblicherweise das erste Symptom einer drohenden Übersprungshandlung ist. Vielleicht kann ich mit meinem neuen Hobby, nämlich Wohnumgebungsneugestaltung, den Prozess noch ein wenig verlangsamen, aber sollte ich demnächst hier en passant fallenlassen, dass ich mich doch noch für ein Medizinstudium eingeschrieben habe, kontaktieren Sie bitte Frau N, dass sie umgehend eine Intervention einleitet. Danke.

Soweit ist also alles erst einmal sehr hervorragend. Ich weiß bis Dezember alles, was ich beruflich mache und was dabei rumkommt, habe ja bereits im letzten Jahr beschlossen, mehr Urlaub zu machen, und dieses Jahr exekutiere ich konsequent. Work hard, play hard. Nach dem großen Warnschuss 2017 hatte ich mir einst ein Modell überlegt und auch bis zum Auftritt der Pandemie durchgezogen: Jeden Monat einen kurzen Urlaub. Meist ganz langweilige Dinge. Mosel, Noordwijk, Mosel, Mosel, Mosel, Groß-Holum (an der Nordsee, da standen 3 Häuser, in Klein-Holum, also auf der anderen Straßenseite, standen nur 2 oder so ähnlich war das), Noordwijk, Mosel, Sie verstehen das Konzept. Das war schön, und in der Regel war es einfach so, dass am Freitag nach der Schule irgendwo hingefahren wurde, dann zwei Tage Meer oder Klamm oder irgendwas in oft zweifelhaften Unterkünften, aber der Erholungseffekt, wenn man sich zwei Wochen vorfreut, dann packt und einfach zwei Tage raus ist, war enorm. Ich weiß nicht, ob ich das in der Form wieder aufnehmen wollen würde, ich habe ja auch ein Sofa jetzt, aber ich hangele mich entlang der Jahreszeiten. Im Frühling fahre ich mit meiner kleinen Schwester, die am Sonntag 60 wird (moment, ich muss weinen, wie konnte das alles passieren?) an die Mosel. Im Sommer fahre ich zu Beginn der Ferien mit Frau Klugscheisser eine Woche irgendwohin, wo es schön ist, und gegen Ende der Ferien irgendwo anders hin mit einer anderen Person, beide Urlaube werden sehr luxuriös und sehr entspannend. Im Herbst werde ich mit Frau N eine Eselwanderung durch die Uckermark machen, was mich im Vorfeld maximal motivieren wird, endlich das doofe Metall aus dem Sprunggelenk operieren zu lassen, sonst muss der Esel mich ziehen. Win Win. Für den Winter habe ich noch keinen Plan, aber vielleicht werde ich zum ersten Mal in meinem Leben im Winter irgendwo hinfahren, wo es warm ist. Vielleicht auch nicht, wenn ich nach draußen gucke, kann man ja auch im Rheinland bleiben. Außerdem hatte ich Weihnachten 2021, das Jahr, an dem ich vom 22. bis 27. Dezember mehr gearbeitet habe als im gesamten November, der werten Familie angekündigt, dass ich nächstes Jahr das System umstelle von Ich-serviere-Weihnachtsgans-für-12-Leute zu 11-Leute-bringen-Sachen-mit-die-wir-hinterher-Buffet-nennen, und außer bei meiner Mutter, die sich das schlecht vorstellen konnte und in Tränen ausbrach, fanden das alle gut. Wobei ich das auch nicht als Vorschlag formuliert hatte.

In der Zwischenzeit werde ich entspannt abarbeiten, viel Zeit auf dem Sofa sitzen, ich werde politikverdrossen sein, das sieht an Frau N ganz herrlich entspannt aus und kommt unterm Strich ja auch aufs Gleiche raus, ich werde mich impfen lassen immer und immer wieder, vielleicht schaffe ich es sogar noch länger, nicht doch noch an irgendwas zwischen Omikron und Omega zu erkranken, mein Kind wird liegen und wachsen, mein Hund wird in seinem EXTRA FÜR SIE DAMIT SIE MIT DEM MITLEID AUFHÖREN KÖNNEN gekauften neuen Premiumhundebettchen liegen und abwechselnd sehr traurig und sehr fröhlich gucken, wie sich in den letzten Tagen abzeichnet, werden jeden Abend plötzlich entweder die einen oder die anderen Nachbarn vor der Türe stehen, wir werden uns weiter täglich testen (meine Güte) und dann, je nach Nachbarn vor der Türe, entweder Mario Party spielen oder Karaoke singen müssen, das ist nämlich scheinbar, was ich mit dem neuen, wohnlichen Wohnzimmer mitgekauft habe, viele Leute, die wegen des Sofas und dem Fernseher kommen und Super Mario oder Karaoke spielen wollen (ächz), und dann ist irgendwann das Jahr um, das Sofa wird bereits durchgesessen sein, aber ich werde zurückblicken und sagen: Das war besser als letztes Jahr.

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Samstag, 1. Januar 2022
2022
Frohes Neues Jahr! Jetzt also schon wieder das nächste, Gott sei Dank. Ich möchte an dieser Stelle den Neujahrsvorsatz eines früheren Kollegen zitieren: Zo min mogelijk huilen, zo vaak mogelijk klaarkomen. In diesem Sinne. Prost.

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