Sonntag, 23. August 2020
Part of the Process
Es gibt die verschiedensten Arten, einen Blogpost zu beginnen und eine davon ist, jemand anderen den ersten Satz formulieren zu lassen. Ich kann diese Methode allerdings nicht unbedingt empfehlen, es sei denn, man kann sich 100% darauf verlassen, dass der Lieferant weiß, was einen Satz ausmacht. Zumindest auf Laienebene, auf Profiebene sind wir uns da nicht so sicher. Ich habe mal ein ganzes Hauptseminar unterrichtet über die Frage, was ein Wort ist. Man meint ja, das wär ja total klar, aber in kritischem Gespräch mit mir wären Sie sicherlich sehr schnell verunsichert und würden sich wünschen, jemand würde zu dem Thema ein Hauptseminar anbieten. Je mehr man über ein Thema weiß, desto weniger absolut formuliert man, weil die allerwenigsten Sachen in der Tiefe ausnahmslos sind. Und wenn man das mal zu Ende denkt, dann hat man sehr viel Respekt vor Herrn Drosten, dass der überhaupt noch was sagt. Perspektivisch.

Insgesamt nimmt die Zahl der Vorkommnisse, in denen ich über mein gelerntes Themengebiet spreche, zunehmend ab. Ich denke, dass ich mich in 10 Jahren ganz entspannt zurücklehnen kann, wenn jemand mir von Nominativobjekten erzählt. (Neulich noch einmal in einen größeren Diskurs mit einem geschätzten Lehrer aus dem Internet gegangen, und ja, ich verstehe ja sehr gut, dass in der normativen Welt es naheliegend und für die SuS sogar verständlicher ist, ein Prädikatsnomen in die Logik der Objekte einzureihen, aber - und ich schreibe es noch einmal auf, danach werde ich bis an mein Lebensende zu dem Thema schweigen - es gibt sehr viel kontrastive Literatur über Objecthood, also was ein Objekt (was ja in erster Linie eine semantische Kategorie ist, die nach außen durch irgendwas markiert wird, sei es Kasus oder Position im Satz, etc.) in den Sprachen der Welt so ausmacht, und es gibt über die Gesamtheit der noch so kleinen Pisselssprachen sehr wenig, was alle gemein haben. Außer eine einzige Sache. Und jetzt muss ich kurz laut werden um dann für immer dazu zu schweigen: EIN OBJEKT KANN NIEMALS IM NOMINATIV STEHEN. (Der geschätzte Lehrer wusste das übrigens alles selbst. Aber sind ja nicht alle informiert).

So. Es ist raus. Thema erledigt. Wenn irgendwann noch mal irgendein Lehrer kommt und meinem Kind was anderes erzählt, dann nehme ich mir den zur Seite, oder besser noch, schicke ihm den Link zu diesem Post, und dann weiß der Bescheid. Generell scheinen Lehrer jetzt ja minütlich verrückter zu werden. Gestern erheiterte ich Sie mit der Geschichte, dass die Schule fragte, ob Eltern Rachenabstriche nehmen könnten. Heute - ich war gerade in einer Videokonferenz mit honorigen Menschen aus dem Internet - erreichte mich eine weitere, vertiefende Email. Der Rektor hatte sich die Mühe gemacht, das noch einmal zu erklären, hätte diese Bitte doch viele Fragen aufgeworfen. (Nein, er mailt nicht selber, jemand anderes kopiert seinen Text in eine echte Email). Es sei jedenfalls so, dass er das noch mal erklären wolle, wie es dazu kam, und es sei so, dass seine Lehrer ihn dringend gebeten hätten, diese Mail zu schreiben, weil seine Lehrer, nicht er, das so wollten. An anderen Schulen würde das System Eltern-testen-ihre-Lehrer hervorragend funktionieren, deshalb wollten alle außer ihm diese Mail.

Man muss ja schon ein bisschen Arsch in der Hose haben. So wird das mit der Respektsperson nichts mehr. Wenn er das will, soll er das machen, wenn er das nicht will, soll er das nicht machen. Manchmal ist es so einfach. Das konnte ich heute morgen schon in einem anderen Kontext erklären. Ich übernehme ja bezogen auf die Ausbildung meines Kindes keinerlei Ämter, aber wenn es so richtig um was geht, zum Beispiel im Handball, stehe ich sogar morgens auf und übernehme ein Amt. Oder lasse mich für ein Amt schulen, so wie heute. Ich bin nämlich jetzt Coronafachgehilfin. Oder Beauftragte, aber ich zweifele die Sinnhaftigkeit des Auftrags noch an, daher möchte ich lieber in einer assistierenden als in einer verantwortlichen Position sein. Und ich möchte jetzt auch wirklich niemanden reinreiten. Aber ich durfte mal aus der Nähe beobachten, wie Hygienekonzepte entstehen und muss leider sagen: Wenn man nicht mindestens 50 Folgen Podcast, egal von wem, gehört hat, kann man sich bitte besser eine andere Aufgabe suchen. Wenn dann noch immer darauf verwiesen wird, dass Situationen im Einzelfall mit gesundem Menschenverstand gelöst werden sollen, wo es doch an genau dem schwer zu mangeln scheint, erwacht die Projektmanagerin in mir. Und wenn dann noch die ganze Zeit gesagt wird "also hier wäre es jetzt theoretisch besser, wenn die Leute XY machen würden, aber das ist so ja bestimmt überhaupt nicht zu überwachen", dann ist es Zeit für eine Wortmeldung.

Ich stehe ja schon ein paar Jahre im Beruf, und ich beschäftige mich auch schon länger mit der Aufzucht von Nachwuchs. Eine Sache ist universell gültig: Wenn ich mich vorne hinstelle und das Scheitern direkt mit reinformuliere, dann gebe ich dem Anderen ja keine Chance, nicht zu scheitern. Wenn ich sage "Hier müssten die Kinder theoretisch eine Maske tragen, wenn sie durchlaufen", dann habe ich gesagt "In der Praxis werden hier keine Masken getragen." Man könnte ja auch einfach sagen: "Hier müssen Masken getragen werden" und dann guckt man mal, was passiert.

Wenn wir in fünf Jahren alle wieder ohne Maske rausdürfen und die Rückatmung uns nicht mehr so schlimm am Denken hindert, dann können wir in der Reihe der Dinge, die in der Coronakrisenzeit so offenbar über das Land, die Politik, die Bildung und die Gesellschaft geworden sind, bitte ganz oben mit aufnehmen: Deutschland ist nicht das Land der Projektmanager.

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Objekt und Nominativ
… ach – dann reisen Sie doch mal nach Deutsch-Südwest. Dort kennt man nur noch der Nominativ. Früher muss wohl dort auch der Dativ in Gebrauch gewesen sein – zumindest findet man ihn in putzigen Gasthausnamen: Hirschen, Salmen, Pfauen etc.

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Der Verlust von Kasusmarkierung ist in den germanischen Sprachen regelhaft. Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn das passiert. An deren Stelle tritt dann Satzbau, dann ist es vorbei mit „Den Hund schlägt der Mann.“ Ist ja auch gut so, Gewalt ist keine Lösung.

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Den Hund schlägt der Mann/
weil er das so kann.
Der Mann schlägt den Hund/
das ist auch nicht so gesund.

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Bitte noch mal über die Metrik schauen.

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Ich bin mit meinen Knittelversen der Gryphius des Bloggens. Kanonisierung später.

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Naja, Knittelvers ist natürlich eine sehr mächtige Ausrede. Was will man da noch sagen.

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Bitte nicht schlagen, aber hier, 1, 2, 3, Welthit. Metrik astrein! (Hätte es gern passend im Stil von "Shake Dog Shake" gemacht, war aber zu faul, meine Gitarre und Zeug rauszuholen.)

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Auch wenn ich von der Metrik ja nicht zu 100% überzeugt war, ist eine Vertonung mit derartigem Verve (oh Verve, super, Überschrift im Sack) natürlich nicht mehr angreifbar. Ich werde jedoch perspektivisch darüber nachdenken müssen, ob meine inzwischen ja langsam ins Pseudolinguistische abdriftenden Exkurse die Leser zu sehr triggern. Was ich damit eigentlich sagen möchte: Danke.

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Der Anfang des Welthits erinnert mich übrigens an einen anderen Welthit, der auch sehr gut gepasst hätte als Überschrift, da habe ich eine große Chance liegen lassen. Da Sie sich ja abgewendet haben (ich durchaus auch, aber später) stellt sich an diesem Punkt die Frage, ob die Triphop Anmutung zufällig gewählt ist. Teardrop ist in meinem Kopf direkt neben All Mine abgelegt.

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Manchmal gabeln sich Wege, da geht der eine so und der andere den less trodden way. Haben wir schon über Hauntology geredet? Daher das Knistern. Und, wichtiger, kennen Sie diese/s/n Mash-Up?

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Ja, kannte ich, hatte ich aber natürlich auch vergessen. Danke. Ich leide aber bei solchen Dingen. Ich hab mein halbes Leben lang Mixed Tapes gemacht, und bis heute werde ich sehr angespannt, wenn nach irgendwas nicht das kommt, was 2000 kam. Ich hab‘s gerade ausgemacht. Nach dem 3. Wechsel gerät mein innerer Ordnungssinn gefährlich ins Wanken (von Teardrop zu Roads finde ich übrigens jedes Mal ok, andersrum Katastrophe).

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Bei mir stehen plötzlich Platten nicht mehr nebeneinander. Weiß auch nicht, wer die nachts durchenianderbringt. Die mit dem roten Cover stand immer genau da! (Es gibt spannendere, weil ungewöhnlichere Mash-ups, die sehr unterschiedliche Sachen unerwartet gut zusammenbringen. Es gab mal einen, der MIA mit Jesus and Mary Chain kreuzte.)

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Ist nicht das Japanische für seine Nominativobjekte bekannt?

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Ich wollte ja dazu nun schweigen.

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Die Münsteraner sind ja mit Ketzern nicht zimperlich, da schweige ich lieber auch.

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Aber ich bin ja eine rheinische Frohnatur, da muss man sich nicht zurückhalten.

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Thema erledigt, ich weiß
Aber was ich neulich nicht anbringen konnte: Bei den Sätzen "It's me" und "It is I" und Varianten davon ging es mir nicht um die stilistische Angemessenheit. Beides ist korrekt, klar, je nach Sprachebene, und das erste sehr viel häufig korrekter. Nein, es geht mir um die Analyse: Soll das eine wirklich ein Objekt sein und das andere ein Prädikativ (=Schulgrammatikbezeichnung)? Das lediglich am Kasus aufzuhängen scheint mir oberflächlich. Und sonst sehe ich keinen Unterschied zwischen den Konstruktionen. Außerdem: Wenn "me" Objekt ist, dann Objekt nach copular verb, nicht schön; wenn Prädikativ, dann nicht im Nominativ, auch nicht schön. Einfach eine Ausnahmeerscheinung?

(Semantik als Begründung gegen das Nominativobjekt gefällt mir wenig, eher so etwas Konkretes wie die fehlende Umformung ins Passiv, was bei Objekten ja wohl meist geht.)

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Ich muss sie einen ganz kurzen Moment mitnehmen in meine Schule der Sprachwissenschaft, damit wir über die gleichen Dinge reden. (Und alle anderen kommen wieder, wenn ich über Twitter einen Link geschickt habe, es gibt nichts zu sehen). Und ich bleibe bei dem Hundehaubeispiel.

Wenn ich Semantik sage, dann meine ich inhaltlichen Relationen von Elementen in der echten Welt zueinander, in den einzelnen Sprachen dann halt "kodiert" in unterschiedliche grammatische Strukturen. Das kann in manchen Sprachen durch einen Oberflächenkasus ausgedrückt werden, wie z.B. im Deutschen, oder durch die Position von Komplementen im Satz, wie z.B. im Englischen. Die zentrale Sortierfunktion ist das (Voll-)Verb, das semantische Rollen eröffnet, die dann wiederum durch syntaktische Rollen ausgefüllt werden. Es gibt Korrelationen zwischen semantischen und syntaktischen Rollen, so sind Rezipienten meist Dativ, etc... (Und ja, ich komme zum Punkt, aber ich bitte um Verständnis, ich bin lange Jahre auf 90 min geeicht.)

Nehmen wir jetzt zum Beispiel das Verb "schlagen", das eröffnet zwei semantische Rollen, nämlich die des Schlagenden und des Geschlagenen. Das ist erstmal noch sprachübergreifend. Wie das dann in der einzelnen Sprache grammatisch umgesetzt wird, ist ganz unterschiedlich. Im Deutschen gibt es Kasusmarkierung, also wird das so gelöst: Schläger Nominativ, Geschlagener Akkusativ. Im Aktivsatz. Im Passivsatz Geschlagener Nominativ, Schläger im Sinn. Da im Englischen die syntaktischen Rollen nicht markiert werden können, zählt da die Reihenfolge der Komplemente. Subjekt = Schläger, vor dem finiten Verb, Objekt = Geschlagener, nach dem finiten Verb, Diathese gleich wie im Deutschen. Im Deutschen können wir im Aktivsatz die Rollen qua Position vertauschen, im Englischen nicht, da dann "der Hund schlägt den Mann" dabei rauskommt.

Aus dem Absatz bitte merken: Das finite Verb verteilt semantische Rollen, die dann lediglich syntaktisch kodiert werden. Wie ist das jetzt bei Kopulaverben? Hier ist die Beziehung zwischen den Komplementen vollkommen anders, als bei "lexikalischen" Verben, also Verben, die selber eine Bedeutung mitliefern. Ein normales lexikalisches Verb hat eine Art Aktionsrichtung: Mann schlägt Hund: Mann >> Hund. Eine Kopula hat das nicht, hat keine unterordnende Bedeutung, sondern sie schaltet einfach nur zwei Dinge gleich. Frau = Botschafterin, Hund = doof, etc. Es gibt keine semantische Beziehung unter den Komplementen außer Gleichsein (und gleich haben wir die Kurve gekriegt).

Und das meine ich mit semantisch. Das Verhältnis zwischen A und B ist ein völlig anderes als bei Vollverben, und die fehlende Passivierbarkeit, ist da nur ein Symptom (generell können nur transitive Verben passiviert werden, und dazu gehören viele nicht.) Und wenn wir uns jetzt fragen, ob das zweite Komplement einer Kopulakonstruktion ein Prädikativ oder ein Objekt ist, ist die Antwort: Eine Kopula eröffnet keine semantischen Objektrollen, weil die immer eine Aktionsrichtung des Tuns ausdrücken, und das gibt es in diesem Fall ja gar nicht. Es gibt auch keine Möglichkeit, einen semantischen Unterschied zwischen beiden zu ermitteln, da sie halt gleichgeschaltet sind (der Morgenstern ist der Abendstern). Somit kann kein Objekt vorliegen, da es keine Objektbedeutung bzw -funktion gibt. Und jetzt kommen wir noch zu der sprachlichen Universalie: Da das, was wir ein Objekt nennen, immer Ziel der Verbbedeutung aus Blickrichtung des Subjekts ist, und die einzelnen Oberflächenkasus ja durchaus eine semantische Verbindung auch ausdrücken, gibt es halt keine Sprache, in der ein Objekt im Nominativ ist. Der Nominativ ist das Agens (oder je nach Verbklasse halt eins der zig anderen), und das ist immer und überall da der Fall, wo Kasus markiert ist. Und davon gibt es halt nur eins, es sei denn, man hat eine Kopulakonstruktion, dann gibt es zwei gleichgeschaltete. Und an dem Punkt muss man dann sagen, wäre es ja sinnvoller, von zwei Subjekten zu sprechen als einem Objekt.

Und ganz zum Schluss noch Me oder I: Es muss grammatisch logisch I heißen, aber theoretische Grammatiker finden, dass es halt so heißen muss, wie die Leute es sagen. Und da in allen anderen Fällen außer der Kopulakonstruktion das zweite Komplement ein Objekt ist, findet hier ein Analogieprozess statt und die Leute sagen oft Me. Und irgendwann ist es dann halt auch in den normativen Grammatiken Me, weil das ist, was alle sagen. Und das ist dann auch gut so.

Nächste Woche: Warum im Deutschen das zu-Komplement bei brauchen verloren geht ;-)

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Oh, Sie meinen: Wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen - das gildet so nach und nach nicht mehr?

Und können wir für übernächste Woche dann das mit dem erinnern noch mal thematisieren? Ich habe das Gefühl, da geht bei vielen Leuten auch immer häufiger die Reflexion verloren.

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Was meinen Sie genau? Diese schlimme Sache mit dem „Ich erinnere die Situation ganz genau“? Ja, das ist richtig, jetzt wo Sie es sagen. Luisa Neubauer sagt das zum Beispiel gerne, das könnte das Ganze beschleunigen. Soviel ist klar: Wenn es rollt, dann rollt es, da kann auch der Duden nichts mehr gehen tun.

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Ja exakt dieses unreflexierte Erinnern. Statt sich selber an etwas zu erinnern, erinnert man Tage oder Situationen . Ich habe das zunächst als Hamburger Schnöselsprache wahrgenommen, Helmut schmidt sprach stets so, ich fürchte aber, es rollt halt wirklich weiter landeinwärts. Gibt es dazu denn wissenschaftliche Untersuchungen, wie und weshalb so etwas entsteht und welche grammatikalischen Irrläufer sich besonders gut verbreiten?

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Mit Genuss und Belehrung gelesen.

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"Belehrung" hoffentlich nur im Wortspielsinne. Ich kann aber auch lehren ganz ohne Worte, zum Beispiel zum Thema Rekursion.

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