Dienstag, 1. September 2020
Safe and sound
Man kann ja nichts mehr planen, insbesondere in der aktuellen Situation. Ich hatte mir zum Beispiel ein Thema überlegt, über das ich heute schreiben könnte, das ein bisschen weniger selbstreferenziell ist. Ich bin eigentlich kein Fan von zuviel Selbstreferentialität, habe sogar mal eine Stelle verlassen, weil mir zuviel - ich glaube, ich nannte es - selbstreferenzielle Scheiße kommuniziert wurde. Wenn man über Kind, Job, Familiensituation und Politik nicht schreiben möchte, bleibt ja insgesamt nicht mehr viel, wovon man Ahnung hat, und ehe man sich versieht, schreibt man über die eigene Menstruation. Dafür noch mal in aller Form Entschuldigung, Sie waren sehr tapfer.

Heute wollte ich über Lady Di schreiben, ich bin ja gerne jemand, der, das sagt man jetzt immer so, vor der Welle ist, das wäre vorgestern gewesen, gestern war ihr Todestag, das wäre also in der Welle gewesen, und ich komme heute, das ist deutlich nach der Welle. Nun gut. Ich sollte natürlich auch noch die Geschichte mit der Autoanalogie erzählen, da sehe ich aber heute schwarz. Ich muss nämlich auch ein wenig feiern. In der aktuellen Situation gibt es viele Verlierer, keine Gewinner und ein paar, die mit einem blauen Auge davon kommen. Ausgenommen sind natürlich Lehrer. Kleiner Spaß. 2019 habe ich mich beruflich mal richtig was getraut, und da ich mich immer ganz gut auf mich selbst verlassen kann, fiel mir das eigentlich auch leicht. Sich was trauen ist ja eigentlich auch nur Statistik, und darin bin ich gut. Eine Pandemie hatte ich allerdings im Businessplan so nicht abgebildet, und da gerät man schnell auf rutschiges Eis. Nach vielen Monaten größter Resilienz (noch so ein neues Modewort), in denen der Kompagnon und ich gelernt haben, dass man nach "ich kann wirklich nicht mehr" noch mindestens Luft für 4 Stunden hat, ist heute der Tag gekommen, auf den wir monatelang gehofft haben. Nicht immer optimistisch. Aber, wie sagte schon Nina Ruge immer: Alles wird gut. Eine Reihe von Parametern, die noch gut hätten werden müssen, damit es gut wird, sind nahezu zeitgleich alle an ihren Platz gefallen, und seit etwa 16 Uhr am heutigen Tag kann ich offiziell sagen: Alles wird gut. Interessante Beobachtung: Es gibt Menschen, die heulen dramatisch viel mehr, wenn alles gut geht, als wenn alles schlecht geht. Und um meine Euphorie direkt wieder zu dämpfen, habe ich in meinem virtuellen Büro sehr sehr angestoßen, dann Gemüse püriert für den Hund, leider aufgrund schlechter Mustererkennung WIEDER DIE SCHEISS WEISSE WAND OHNE LATEXFARBE DRAUF komplett in püriertes Gemüse getunkt, daraufhin Ona zum Training gefahren, reingefallen auf "ich geh noch mal eben rein, ich muss noch mal wo hin, gib mal den Schlüssel bitte", mich dann über mich selber gefreut, dass ich ihm nicht den Autoschlüssel auch mitgegeben habe, sonst wäre der nämlich auch drinnen gewesen und wir draußen, dann wirklich sehr lange im Auto gesessen und gewartet, bis die Türe wieder auf war, und dann ging der Kofferraum nicht mehr zu. Bei so neumodischen Quatschautos ist das ja leider nix, was man einfach mal so schwungvoll mit der Hand macht, nein, es gibt eine Taste oder einen Knopf auf dem Schlüssel, beides funktioniert nicht mehr. Soviel dazu. (elegante Überleitung)

Das Auto, in dem Lady Di im Tunnel verunglückt ist, wird ja auch deutliche Einschränkungen in der Kofferraumfunktionalität gehabt haben. Gestern war sie 23 Jahre tot, und ich merkte, wie alt ich langsam werde, ich musste nämlich nachrechnen, ob ich da noch zuhause gewohnt habe. Hab ich nicht, ich lag dennoch in meinem Kinderzimmer im Bett, als meine Mutter morgens entsetzt die Tür aufriss und brüllte "Lady Di ist tot". In unserer kleinen virtuellen Bürorunde wurde gestern diskutiert, wo man genau war, als Lady Di tot war, und jede Beteiligte konnte es noch genau sagen, inklusive der Informationsketten mit anderen Leuten. Ich erinnerte mich zudem noch an meine leichte Reaktanz, als Elton John, jetzt nicht zwingend meine Musikrichtung, ihr dann das einst für Marilyn Monroe geschriebene Lied umwidmete. Ich war mir damals nicht sicher, wie okay ich das fand, vermutlich nur mittel. Insgesamt war mir das alles ein wenig zu viel, zuviel Ansprache, zuviel heulen, zuviel Drama, alles in das eine Lied eingebaut, das ja sowieso eigentlich einer anderen Dame gehörte.

2001 wussten wir wieder alle, wo wir waren, das wurde gestern direkt mit abgeprüft. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals jemanden getroffen hätte, der nicht sehr genau wusste, wo er am 11. September war, mit wem, was er gerade tat. Ich saß in meiner kleinen Einzimmerwohnung und spielte Examensvorbereitung, natürlich mit Fernseh. Irgendwann schellte das Telefon, meine Sandkastenfreundin war dran, und dann starrten wir mit dem Telefon am Ohr schweigend stundenlang auf Peter Klöppel. 10 Tage später zeigte Sheryl Crow der Welt auf dem Tribute to Heroes Benefizkonzert, wie es richtig gemacht wird und sorgte mit ihrem Beitrag dafür, dass ich mich beim Gucken übergeben musste. Jetzt können Sie gerne das Lied schlecht finden, Sie können auch Sheryl Crow schlecht finden, ich bin weit entfernt von Fan, das steht hier alles ja gar nicht zur Diskussion. 10 Tage nach einem Anschlag dieser Kategorie, mit der Verstörung, der allgemeinen Angst, die alle hatten, diesem unbändigen Gefühl, dass nichts mehr so wird, wie es vorher war, mit den Tausenden von Toten, mit den unzähligen Rettungskräften, die ihr Leben gelassen haben, sich alleine in ein Studio mit Kerzen zu setzen und nur mit minimaler Klavierbegleitung das Lied zu spielen und dabei die Fassung zu bewahren, ist meines Erachtens eine nahezu übermenschliche Leistung. Wie gesagt, ich habe mich beim Gucken übergeben. Und der Effekt wirkt nach, das ist das einzige Lied, das mich so trifft, weil ich weiß, wie getroffen ich war, als ich es das erste Mal hörte. Mal gucken, ob Take Five das über die Jahre auch entwickelt, Candle in the Wind ist da jedenfalls weit von entfernt. Und nein, es ist nicht der unterschiedlichen Dramatik der Umstände geschuldet, glaube ich zumindest.

Soviel zu trauriger Musik. Aber heute ist ja ein anderer Tag. Heute wird alles gut, heute wird getanzt.

... comment

 
Das wird eine sehr schöne Tradition, dass ich vor lauter Tanzen das Ende vergesse, aber dafür hat man ja die Kommentare. Ich wollte nämlich abschließend sagen, dass sich wenige Menschen 2001 vorstellen konnten, dass die Welt irgendwann wieder normal wird, altnormal oder neunormal sei dahingestellt. Ich hatte damals ein Büro neben den Räumen der katholischen Theologie und bin noch monatelang einmal in der Woche mindestens evakuiert worden, weil alle in vollkommener Panik waren. Jetzt ist es 2020, und vielleicht ist es so, dass noch vieles nachwirkt, internationale Flugreisen, mal so als Beispiel... dennoch ist das normal für uns jetzt normal. Und das wird mit Corona auch so sein. Neunormal, mittelnormal, altnormal, in 20 Jahren denken wir hoffentlich daran zurück, wie sehr wir als Gesellschaft für einen Moment aus dem Takt geraten sind. Damals, 2020.

... link  


... comment
 
Weil ich übers Radio eingeschlafen war, habe ich das in tiefer Nacht gehört, als die ersten Meldungen reintröpfelten. Und das ist dann diese irreale, entrückte Siutation im Zwischenbereich von schlafen und wach, wenn man sich nicht sicher ist, ob man etwa noch träumt. Lady Di verunglückt in Paris, das glaubt man ja nicht - obwohl ich das bei Grace Kelly ja schon erlebt hatte. Solche Leute sollen doch gefälligst in Watte gepolsterten Kutschen herumfahren. Sind doch keine Rockmusiker im überfüllten Tour-Bus. Vielleicht hat jede Generation so eine Sisy, Gracia Patricia und Lady Di, die "schöne Leich", wie es in Wien heißt, als royale Heiligenfigur. Die Reaktion in England mit diesem Blumenmeer vorm Palast und dem Schweigen der Queen fand ich allerdings beeindruckend. Verstörend auch.

... link  

 
ah, Grace Kelly, die hatte ich vergessen, aber das habe ich auch nicht wirklich mitgekriegt, das Fürstentum war deutlich zu klein. Meine Erinnerung aus 1982 war Helmut Kohl und die Reaktion meiner Eltern. Und das in den prägenden Jahren... da kann Merkel noch vier Amtszeiten länger machen. Bundeskanz* wird in meinem Kopf zeitlebens automatisch ergänzt werden um *lerhelmutkohl.

... link  

 
Zur Kohlergreifung hatte man uns vormittags in die Aula zusammengetrommelt, damit wir live im Fernsehen das Ende einer Ära sehen konnten. Schimm.

... link  

 
Ihr l klemmt ;-)

... link  

 
"Schimmi hätte das verhindern können", lautete der ganze Satz.

... link  

 
ah so, ihr i hätte das verhindern können klemmt.

... link  

 
Mir ist so, als habe ich die Nachricht vom Tode Lady Dianas nachts im Radio gehört, aber die Erinnerung daran ist nicht so präsent wie die an 9/11. Da bin ich auf dem Heimweg von der Schlangenfarm auf der Autobahn hinter einem Panzerwagen der US Army hergefahren. Es war unheimlich, weil mir in dem Moment klar wurde, dass es Krieg gibt.

... link  


... comment
 
Meinen Di-Day habe ich an anderer Stelle schon ausführlich rekapituliert.

... link  


... comment
 
mir war egal, als sich kurt cobain erschoss, mir war egal, dass diana die abfahrt versägte, so wie mir egal war, als sich take that trennten. bei aller liebe zur popkultur, aber.
bei 9/11 war ich im alten marktkauf in bielefeld bethel und sah die bilder zwanzigfach in der fernsehabteilung, wo mehrere menschen stehenblieben. an der kasse stand ich dann wie immer mit menschen mit epilepi-lederkopfschutz und zerschnittenen unterarmen.

... link  


... comment