Donnerstag, 19. November 2020
Lady in waiting
Dass Frau N. und ich schwer einen an der Murmel haben und zudem eine etwas besondere Beziehung zueinander, das ist ja weitläufig bekannt. Langjährige Leser werden sich erinnern, dass ich schon sehr früh befürchtete, dass wir irgendwann zu einer großen Person verschmelzen würden.

Irgendwann war es fast soweit, allerdings verschmolzen wir nicht, sondern wir erfanden ein kleines Körpertausch-Spiel. Das klingt verrückter, als es ist: Manchmal sind Aufgaben für Menschen schwierig, die wieder viel einfacher sind, wenn man nicht emotional involviert ist. Und dann ist es natürlich super, wenn man jemanden hat, zu dem man sagt: "Mach du das mal."

Und so machen wir das jetzt. Erster Anwendungsfall war 2014, als ich den Entschluss gefasst hatte, aus der Wissenschaft zu flüchten, es aber vorher noch einen Ruf abzulehnen galt. Das wollte ich zwar dringend machen, aber irgendwie kam es nicht dazu, dass ich die Mail schrieb. Ich putzte das gesamte Haus, strich das Arbeitszimmer, strich das Kinderzimmer, lackierte mir jeden Tag alle Nägel neu und schrieb keine Mail, bis Frau N. irgendwann sagte, ich solle diese Mail jetzt schreiben, sonst würde sie das tun. Das war der Anfang der Körpertauschgeschichte. Sie kriegte das Passwort zu meinem Mail-Account, schrieb die Mail und parierte die Antwort, ich machte eine Woche lang digital detox, und das Thema war erledigt.

Dann kam Frau N. vor geraumer Zeit in eine schwierige Situation, und ich konnte mich revanchieren. Ihre Situation war deutlich schwieriger und etwas nachhaltiger, und sie wiederholte sich vor drei Monaten. Auch da sprang ich wieder ein.

Jetzt muss man dazu wissen, dass ich es hasse, zu telefonieren. Es gibt eine kleine Handvoll Menschen, mit denen ich es liebe, zu telefonieren, dazwischen gibt es nichts. Ich habe extra ein Unternehmen gegründet mit einem Partner, der gerne telefoniert. Anders wäre es nicht gegangen. Aber nun war es so, dass über Monate jeden einzelnen Tag telefoniert werden musste, und zwar von Frau N., die das sehr schwierig fand, also übernahm ich das, was insofern eine gewisse Ironie in sich birgt, dass Frau N. es ja *liebt*, zu telefonieren. Da es sich um teils sehr komplizierte medizinische Inhalte handelte, die wiederum bei Frau N. und allen anderen N.s zu großer emotionaler Anspannung führten, war die gesamte Geschichte für alle Beteiligten sehr anstrengend. Es gab auch wirkliche humoristische Höhepunkte, Präsenztermine zum Beispiel, die wahrgenommen werden mussten und die wir gemeinsam absolvierten, ohne genau erklären zu können, warum wir genau gleich heißen, unvergessen auch die Sorge, dass irgendwann anderen Familienmitgliedern auffallen könnte, dass es plötzlich mehr Schwestern gibt als in den letzten 46 Jahren, nicht zuletzt mein Total Makeover im Wohnzimmer, wo ich an allen Orten, an denen man stehen könnte, Post Its mit dem Namen von Frau N. hängen hatte, damit ich mich nicht irgendwann aus Versehen mal mit dem eigenen Namen am Telefon melde... Insgesamt eine interessante Zeit, im Biolekschen Sinne.

Nun entspannte sich vor etwa drei Wochen die Situation, ich schlief wieder gut, Frau N. schlief wieder gut, und seit gestern Morgen ist die Welt wieder etwas komplizierter. Ich muss wieder telefonieren, jetzt allerdings unter erschwerten Bedingungen. Die Gegenseite hatte angerufen, es müsse dringendst ein Gespräch geführt werden, was erst mal mittel ist, aber seitdem werde ich geghostet. Gestern um 12 sagte die Sekretärin, der Chef würde im Laufe des Tages anrufen. Frau N. und ich, die ja mit Frau C. ein virtuelles Büro betreiben, sahen uns bis etwa 20 Uhr gegenseitig beim Warten zu, es rief aber niemand an. Heute morgen ging die Sekretärin nicht ans Telefon, ich hatte mir aber eine Durchwahl erschlichen, dort wurde ich unwirsch auf 14 Uhr vertröstet, ich strickte eine Socke, dann eskalierte ich vor Anspannung, angerufen hat niemand.

An mir hängen viele Leute, die alle zuhause sitzen und warten, dass dieses Gespräch passiert. Aber es passiert halt nicht. Und dabei sind die Inhalte zeitkritisch. Schön ist das nicht, aber mit uns hat die Gegenseite auch nicht gerechnet. Ich bin ja mitunter aktivaggressiv. Morgen fahre ich hin. Trotz Corona. Mit FFP2. Und dann erkläre ich dort, dass es zwei Dinge gibt, die ich nicht gut kann. Telefonieren und warten. Und sie haben Pandoras Box geöffnet. Ich hatte nämlich vorher schon Weltschmerz, und dem möchte ich mich wieder widmen!

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Es sind Arzttelefonate, stimmt‘s?
Mittlerweile ein Horror für mich, vor allem, wenn es um Diagnosen geht. Leider hatte ich niemanden, der bei Nacht statt mir in der Notaufnahme anruft und sich nach dem Verbleib erkundigt. Ich finde eure Idee billiant.

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Ist sie!

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ich bin sehr neidisch. so eine tolle symbiotische freundschaft hätte ich auch gerne! :-)

haben sie sich eigentlich bei den bloggers kennengelernt oder kannten sie sich schon früher?

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2009. Hier. Wir wollten nur überzählige Windeln transferieren. Jetzt hab ich den Salat.

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