Freitag, 5. Februar 2021
Cake
Bis zum Beginn des Sommersemesters ist es nur noch erschreckend kurz, daher begebe ich mich schon mal vorsichtig wieder in einen gewissen Lehrmodus. Bei Frau N. hatte ich gestern angedroht, dass ich die Entstehung des "Manfred sein Auto"-Genitivs erklären könnte, und das stieß auf Interesse, also mache ich das schnell:

Hier haben wir zu tun mit der Grammatikalisierung einer ehemals ganz anders gemeinten syntaktischen Konstruktion, die quasi "umgedeutet" wurde. Zumindest am Rhein. Da sagt man nämlich "das ist Manfred sein Auto" statt "das ist Manfreds Auto" oder "das ist das Auto von Manfred". Im Niederländischen ist es gleich, da ist es "Manfred zijn auto" und wird vermutlich beantwortet mit "Manfred? Een Duitser??"

Was jedenfalls einst passierte, ist, dass Sätze wie "gestern ist Vater sein Haus abgebrannt", in denen "sein" ein Possessivpronomen ist, so wie in "Oma hat mir mein Portemonnaie geklaut", falsch interpretiert wurden. Und jetzt kann man sich das so vorstellen, dass einfach ganz viele Leute "Vater sein Haus" analog interpretieren zu "Klaus" in dem Satz "gestern ist Klaus abgebrannt", und dann dauert es noch ein paar Jahrzehnte, dass man "Vater sein Haus" als normale Possessivkonstruktion benutzt und dann eben auch "das ist Vater sein Haus" sagen kann. So war das. Etwas komplizierter ist die Possessivkonstruktion, die man häufig im Raum Solingen hört, nämlich "Mampfrettn sein Auto", wo das possessive "sein" auch noch ergänzt wird durch den rheinischen Genitivmarker -n. Übergeneralisierung vermutlich. Der Solinger möchte sehr präzise sein, daher vermutlich auch das mit den Klingen.

Ansonsten habe ich jetzt also tatsächlich wieder ein kleines nebenberufliches Hobby, und ich muss sagen: Bei aller Inbrunst, mit der ich einst aus dem akademischen Betrieb ausgeschieden bin, kann ich sagen: In der Form ist das okay. Ganz low key, wenig Arbeit und wenig Ehr, aber das passt ja zeitlich dann gut zu meinem echten Broterwerb, der ja eher viel Arbeit, wenig Ehr ist. Vielleicht freue ich mich sogar. Ja, wahrscheinlich freue ich mich. Eventuell. Meine Mutter hat jedenfalls einen Kuchen gebacken.

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Der Herzbruch ihr neuer Job klingt doch super. Herzlichen Glückwunsch!

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*Neben*job bitteschön. Dankeschön. Und in Ihrer alten Heimat müsste man auch Herzbruchn ihr neuer Job sagen, oder vertue ich mich da?

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Bin kein echter Plattkaller, da meine Eltern beide aus anderen Regionen stammten. Flüchtlingskinderschicksal!

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Sie haben aber auch alles mitgenommen!

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Sehen Sie. Deswegen konnte aus mir auch nur ein Matrose ohne Hafen werden.

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Die Frage die sich mir nun stellt ist nun welcher Kuchen?
Schön haben sie den text damit eingerahmt. Am Anfang in der Überschrift und im letzten Satz. Und nun stelle ich mir jeden möglichen Kuchen vor.

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Seit meine Mutter alt ist, backt sie nur noch Kirschstreusel. Ich fürchte, irgendwer hat ihr mal gesagt, das sei der beste Kuchen. Als ich Kind war, gab es immer Rührkuchen. Marmor, Nuss, Zitrone. Ach, das war toll...

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Und wenn Sie sie bitten, mal wieder einen ihrer wunderbaren Zitronenkuchen zu backen, was passiert dann?

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Dann macht sie das, ich bin aber nicht gut darin, um Sachen zu bitten, also macht sie Kirschstreusel. Manchmal wünsche ich mir was anderes, das backt sie dann auch...

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Vielleicht backt sie auch kirschstreusel weil sie im Alter ja mehr Zeit hat und ein Rührkuchen ja „nur“ schnell zusammengerührt ist und somit nix besonderes.
Ich liebe Rührkuchen aber meine Kinder mögen lieber Apfelkuchen und Brownies.
Oder das ist halt ihr lieblingskuchen.
Nun gut zukünftig habe ich ein Bild vor Augen, wenn Sie über den Kuchen Ihrer Mutter schreiben, danke :)

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Dass ich gerade einen Orangenkuchen backe, liegt wohl an Ihnen bzw. Ihrem Posting.

Oh, der Wecker klingelt, Zeit für die Stäbchenprobe.

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Frau N hält ja ihr Ohr an den Kuchen, um zu hören, ob der Kuchen fertig ist. Ich habe es selbst gesehen.

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Mit mir reden Kuchen nix, nicht einmal Niederländisch.

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Der stumme Orangenkuchen ist trotzdem außerordentlich gut geworden, was mich außerordentlich freut, denn mein alter Gasbackofen hat nur Unterhitze und heizt sehr ungleichmäßig.

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Herzlichen Glückwunsch zum titelgebenden neuen Hobby und danke fürs Erklären. Viel Spaß beim Kuchenessen!

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Es handelt sich im Falle von Niederländisch und Deutsch nicht um zwei klar abgrenzbare Sprachen, sondern um ein sog. Dialektkontinuum. Das heißt, dass es nirgendwo eine physikalische und gleichzeitig sprachliche scharfe Grenze zwischen den Ländern und Sprachen gibt, sondern es gibt quasi eine Art Nachbarschaftsähnlichkeit, zwei Orte und deren Varietäten sind immer mit einander verwandt. Die beiden Extreme - die Standardsprachen - sind zwar recht weit voneinander entfernt, aber die einzelnen Varietäten untereinander alle nicht. Daher können wir ohne Probleme davon ausgehen, dass die Entwicklungen rechts und links der Grenze parallel, nahezu gleich, stattgefunden haben, da es nie zwei strikt getrennte Sprachen gab in der Region. (Klar: Wenn in Venlo und Kleve Leute Hochsprache sprechen, ist das was anderes, das ist aber ja eher ein Phänomen der Neuzeit. Wenn beide ihren NL und D Dialekt sprechen, sprechen sie fast gleich.)

Ah, und es gibt sogar eine Vorlesung zum Thema Dialektkontinuum. Hab ich mir auf die Schnelle nicht angucken können, daher keine Gewähr, aber ich habe ein gutes Gefühl...

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Der zweite Mann meiner Mutter, aus Willich stammend, sprach Dialekt. Für uns - meine Mutter ist in Thüringen groß geworden und ich bis dahin ohne Dialektberührung - klang das tatsächlich oft eher wie Niederländisch (das wir natürlich auch nicht beherrschten).

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Erstmal danke für die Erklärung!
Aber woher weiss man, dass es sich um die beschriebene Entwicklung handelt und nicht, dass die Leute zu oft über die nahe Grenze gefahren sind und das aus NL eingeschleppt haben? Ist die Ähnlichkeit zufällig?

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Ich habe gerade eine wirklich lange Antwort hierauf geschrieben und dann aus versehen verloren, und leider bin ich eingespannt und kann nicht noch mal neu denken.

Deutsch und Niederländisch sind in den Extremen zwar zwei "Sprachen", allerdings bilden sie ein sogenanntes Dialektkontinuum. Das habe ich gerade toll erklärt, jetzt ist es weg, jetzt müssen Sie sich das (für heute) selbst erarbeiten. Zum Beispiel hier . Hab ich nicht geguckt, daher keine Gewähr, aber ich habe ein gutes Gefühl. Hier geht es um die Romanischen Sprachen, aber das Konzept ist das gleiche: Lokale angrenzende Dialekte sind immer miteinander verwandt, egal, ob NL oder D. Daher: Ob im D oder NL entlang der Grenze: Das ist eigentlich eine Suppe, die Unterscheidung der beiden Sprachen (also die Einteilung des einen Dialektes zu einen Sprache und des anderen Dialektes zur anderen Sprache) ist ein rein theoretisch-politischer. Kein sprachlicher.

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Hier ist jetzt totales Kommentarchaos entstanden, was daran liegt, dass ich eigentlich was anderes theoretisch hochkonzentriert mache, was wiederum dazu führt, dass ich gar nix richtig mache. Ein Drama. Naja, jetzt wissen Sie demnächst ganz viel über Dialektkontinua, das ist ja auch schön.

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Ich freue mich achon über den Begriff "Dialektkontinuum", hat sich also gelohnt!
Habe ich das richtig verstanden: Im Niederländischen ist das 'zijn' korrekte Hochsprache, während es im Deutschen "nur" Dialekt ist?

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Ja, exakt. Das NL ist da also in der Entwicklung einen Schritt weiter und hat das als Standardkonstruktion übernommen. Im Deutschen ist es nur regionaler Dialekt. Das ist aber in sehr sehr vielen Fällen so gelaufen. In 200 Jahren könnte das auch in Deutschland anders aussehen. Zum Beispiel, wenn wir eine Bundeskanzlerin hätten, die das immer sagt, und dann machen das alle zum Spaß nach, und irgendwann ist Spaß halt Ernst, und schwupps. Sprachwandel.

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Oder, von hinten aufgezäumt, das Niederdeutsche mit allem Pipapo und Eigenheiten ist in den entsprechenden Teilen Deutschlands, beginnend vor 400 Jahren oder so, als Standardsprache und Schriftsprache abgelöst worden, während es in den Niederlanden nie abgelöst worden ist.

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Im Prinzip ist es ja ein Raum-Zeit Kontinuum. Da sind Dinge im Fluss, die wenigsten Sachen passieren bewusst. Es verschieben sich halt kontinuierlich Teile im System.

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Ich finde das alles super spannend. Mein Dialekt kommt ja aus dem badischen Odenwald und ich höre Ähnlichkeiten sowohl im Alemannischen / Schweizerdeutschen als auch im Kölschen - oft hatte ich schon die Frage, wie gut mich NiederländerInnen verstünden, spräche ich im Dialekt. Danke für den Link!
(Vor einiger Zeit hatten Sie im Rahmen des Podcasts glaube ich einen Link zum Talk einer Linguistin (ich hoffe, ich benenne alles korrekt) in der es um Untersuchungen vom sprachlichen Verständnis von Zeit und Abbildung von Geschlecht in Wörtern ging, den ich leider verloren habe. Dürfte ich unverschämterweise noch einmal darum bitten? Keine Eile und nur wenn es sich ergibt.)

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Ich weiß nicht, ob es genau der Vortrag war, aber zumindest ganz nah dran ;-)

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Sehr spannend, danke für die Ausführungen!
Und den Sprachwandel kann man ja gut an den eigenen Kindern verfolgen :-)

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Wobei ich Sprachwandel im Wortschatz ja im Vergleich sehr unspektakulär finde, der geht zu schnell, ist zu offensichtlich und zu "normal"... So Prozesse, wo einfach Konstruktionen fälschlich uminterpretiert werden, finde ich persönlich am spannendsten. Aber das ist ja auch nur noch Hobby alles, eigentlich noch nicht mal, das ist schlecht genutzter Festplattenplatz ;-)

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Hier finden Sie ja dankbares Publikum für Ihre Altdaten :-)

Verstehe, dass neue Konstruktionen interessanter sind als Wortschatz, aber die brauchen wohl länger um sich durchzusetzen - ob wir das noch erleben?

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Wir erleben ja ganz viele andere spannende Sachen gerade: Brauchen ohne zu (passiert etwas zeitlich vorversetzt auch in E und NL), weil plus Hauptsatz, der langsame Wegfall von Kasusmarkierungen. Das ist hochspannend, und wir sind live dabei. Daumenregel: Wenn Sie denken, Leute benutzen etwas *immer* falsch, dann sind Sie einer großen Sache auf der Spur!

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Brauchen ohne zu? Mir fehlt da offensichtlich ein Stück Grammatik...

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"Wenn Sie denken, Leute benutzen etwas *immer* falsch, dann ..." Genau so einfach und selbstverständlcih läuft es. Das bloggigste Beispiel, das mir im Deutschen einfällt, ist der die das Blog. *duck and cover*

Außerdem heißen Berliner Krapfen Pfannkuchen. :-)

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@brauchen ohne zu
im Sinne von "ich muß nicht"?
Ich brauch nicht arbeiten - oder wie genau muß man sich das vorstellen?


Die Krux bei der Grammatik-Sache ist leider - wenn Kinder und Zuwandernde ständig die Grammatik falsch hören und (woher sollen sie wissen, daß es Mist ist? hängt ja leider kein Mascherl dran) daher falsch lernen, reproduziert sich Müll noch sehr viel schneller.
Da werden dann Menschen "gefeiert", daß sie die "Sprache beherrschen", statt daß man da mal bisserl korrigiert.
Ich bin teilweise echt schockiert, mit welchem Deutschniveau in den obersten Schulklassen gute Noten zu bekommen sind (und das setzt sich dann auf den Unis fort).

Ich kenne durch die Arbeit ein paar "hier Aufgewachsene", da gruselt es mich, zu wissen, daß sie die volle Schullaufbahn hier hingelegt haben und niemand kam auf die Idee, die "wilden Hund" mal zu korrigieren.
Fast hätte ich jetzt gesagt, dank des Lockdowns bluten mir aktuell in den Öffis die Ohren weniger, nur leider verschlimmer der auf lange Sicht das Problem noch.



Aktuell meine Lieblingshaßanglizismuskonstruktion aus dem dt. TV: ich bin fame udgl.
Jessas.... das hat man davon, wenn die Leute kein Grammatik-gefühl mehr haben, und statt Adjektiven Nomen verwenden. Würden die Hälfte dieser Leute ihre 5 Gehirnzellen zur Über-setzung nutzen (aber da ist das nächste Problem - ungefiltert nachplappern), kämen sie eventuell auf den Schwachfug, aber leider sieht man die Entwicklung beim "Wort des Jahres" etc.

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Ah, danke! Mein Hirn hat offensichtlich auch Kurzarbeit. Ich dachte an "Ich brauche einen Schnaps" und konnte da beim besten Willen kein "zu" unterbringen.
Wobei "brauchen" für mich ja den Sinn von "benötigen" hat: Ich brauche einen Hammer, sonst kann ich den Nagel nucht einschlagen. Für meine rheinländische Freundin heißt es "verwenden": Ich brauche einen Hammer, um den Nagel einzuschlagen, keine Zange.
Deutsch ist schon faszinierend.

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In die Kerben von "das ist mir". *grusel*

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Ah, im Sinne von „Das gehört mir“? Das ist Hilfsverb zu Vollverb. Passiert auch manchmal. Schön auch (mein Nackenhaaraufsteller) „kann ich mal die Butter?“...

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Ja bzw. "das ist meins". Die Indefinitpronomen leben! ; )

Stimmt - die halben Modalkonstruktionen sind aber noch wilder geworden, seitdem die Werbung damit angefangen hat!
In meinen Augen maximal stupide, denn wie kann man von Menschen (vor allem Kindern aber auch zugewanderten) erwarten, in ordentlichen ganzen Sätzen zu sprechen, wenn die Werbung suggiert, wie "geil" so ein Quatsch nicht ist?!

Eventuell spuckt später mein Kopf noch den seltsamenen Slogan aus, der mich jahrelang die Wand hochtrieb. War in der Art "So muß Technik".
Oder wars eh genau so? Jedenfalls zum Kotzen und ich war mir nicht zu blöde, den Satz gerne auch zu vervollständigen, wenn ich den anderswo (bei mir war die Werbung stumm geklickt) ertragen durfte. Bisserl passiv-aggressive Bewältigung ; )

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Gegenpunkt: Die Grammatikalisierung von Hilfs- zu Vollverben beobachten wir in sehr vielen Sprachen, Modalverben immer vorne weg. Brauchen fällt da auch rein, need und NL hoeven sind auf dem Weg schon weiter. Oft nimmt die Werbung ja Prozesse, die schon im Gang sind, auf und macht sie damit erst mal bewusst. Danone mit „weil er ist gesund“ war so ein Beispiel. Wir würden das auch ohne die Werbung so sagen heute, aber es wär nicht so transparent und auffällig gewesen...

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Na ich weiß nicht, ob sich die Werbung so sehr die Sichtbarmachung an ihr Mäntelchen heften kann, als vielmehr die Verrohung, die man damit der Sprache antut.
Werbung will vor allem provozieren und kreiert dafür auch mal Mist, der davor noch gar nicht salonfähig war.

Ich schätze tatsächlich Werbungen (mehr und) sehr, die nicht nur korrekte, sondern auch schöne Sprache verwendet.
Gilt auch für Bilder. Ich denke da an ein Möbelgeschäft, daß seit Jahren (massiv und teils sehr unangenehm) provoziert.
Und da ziehe ich tatsächlich einen dicken Strich zwischen Schrott und was früher Benetton gebracht hat.
(Deren Werbung würde heute auch kaum noch wen aufregen).

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zu weiter oben: Treffer! Genau der war‘s, Danke!

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Ich komme aus Ostwestfalen und bei uns hieß das: "Eine Taube fliecht über unser Haus seinen Dach." Ich bekomme arges Heimweh nach früher, jetzt, wo ich das hier schreibe...

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"das ist mir"

In Hessen und wohl auch in Rheinland-Pfalz ist das umgangssprachlich schon seit sehr langer Zeit üblich.

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Meine Schwester, die seit 40 Jahren Kölsch spricht, sagt das auch...

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Ich kenne das seit Teenager-Tagen aus Berlin.
(Wobei "ick liebe dir" jetzt für mich in Kategorie Dialekt fällt - auch, wenn mir der Dativ in den Ohren schmerzt ; ).)

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