Sonntag, 16. August 2020
Pending


Als Musikerin alter Schule bin ich ja Perfektionistin, und dann muss man einsehen, dass man etwas gerade nicht kann, weil man es seit 8 Jahren nicht gemacht hat. (Jetzt können Sie natürlich sagen: Haben Sie gestern ja auch nicht, aber gestern kam es auf Schnelligkeit an, für den Überraschungseffekt). Ich hatte eine wirklich überragend lustige Idee für den heutigen Beitrag des Musikblogs, das wäre ein Feuerwerk geworden, doch nach 22 gescheiterten Versuchen und mit babyweichen Fingerkuppen links sieht es jetzt so aus, dass ich aufgebe und (einhändig) lieber doch schreibe als musiziere, während die linke Hand sich in der Eistonne ausruht.

Ich habe aber auch noch nicht wirklich Themen für dies hier, als ich das letzte Mal regelmäßig hier war, gab es ja sogar die SPD noch, so lange ist das schon her. Ich glaube ja fast, dass ich ein vollkommen anderer Mensch bin als vor 10 Jahren, aber im Rahmen einer sehr soliden Midlife Crisis kann ich ja versuchen, einen Teil des alten Ichs wieder hervorzukramen. Was ich gestern und heute jedoch bereits sehe, ist, dass manche Sachen doch über Jahre stabil bleiben. So habe ich auch nach Jahren der Pause keine Lust, mir eine Überschrift auszudenken. Ich könnte natürlich immer einfach das Datum hinschreiben, aber das wäre auch ein wenig aufwändig. Oder ich nummeriere wieder, meine mathematische Ausprägung ist jedoch dagegen, da ein Zählsystem ohne Regelmaß und Ziel ja auch nicht viel Sinn macht. Vielleicht vertage ich das auch einfach erst mal, womit wir zur zweiten Beobachtung kommen: Ich hab ja noch nie beim (hier) Schreiben nachgedacht, sondern renne einfach drauflos und gucke, was passiert. Das wird auch so bleiben müssen. Dinge schreiben, über die ich vorher nachdenken muss, ist ja das, was ich mit dem Bloggen prokrastinieren möchte, und dann muss ich mir schon wieder etwas Neues ausdenken, womit ich das Bloggen prokrastinieren kann, um im zweiten Schritt das Arbeiten zu prokrastinieren.

Wo ich auch noch unentschieden bin, ist der Modus des Schreibens. Als ich vor vielen Jahren hier begonnen hatte, war ich ja erfolgreich ausgewandert, schrieb tagaus tagein nur Kleinbuchstaben außer am Satzanfang und hatte gar keine Umlaute auf der Tastatur vorgesehen. Das war einfach, anständig Deutsch schreiben wäre nämlich so umständlich gewesen, dass ich einfach alles klein und ohne Umlaute schrieb, was Viele von Ihnen doof fanden, aber versetzen Sie sich doch mal bitte in meine Lage! Heute ist das anders. Ich bin wieder so ein angepasster Teil der deutschen Gesellschaft geworden, dass alle Endgeräte mit qwertz ausgestattet sind, und den größten Teil meines Lebens spreche und schreibe ich Deutsch. Die Faulheit ist allerdings geblieben, so schreibe ich im privaten Kontext nach wie vor klein, was inzwischen aber regelmäßig (theoretisch, ich kann kein gutes System erkennen, außer immer da korrigieren, wo es absolut nix zu korrigieren gibt) von den diversen Endgeräten autark geändert wird. Dann hat man also einen Satz mit 10 Substantiven, 8 davon klein, zwei groß. Das ist auch kacke.

Es gibt hier also einen ganzen Haufen an Baustellen, der erst einmal wegentschieden werden muss, bevor es überhaupt losgehen kann. Und davor steht ja noch die allerwichtigste aller Fragen: Worüber eigentlich? Job will ich nicht, Kind will ich auch nicht (das war übrigens initial der Grund, warum ich einst aufgehört habe. Wenn an Themen nix mehr übrig ist, wird es dünn), und was mach ich denn mit den Farben? Ich weiß nicht, wie ich je auf grün gekommen bin, das ist jedenfalls 2020 nach gelb die vorletzte Farbe, die ich täglich sehen möchte. Meine Farbe ist Pantone Ether, auch ein Wortgebilde, das die appelsche Autokorrektur nicht schätzt.

Politik fanden Sie immer doof, außer Bildungspolitik. Da muss ich aber leider sagen, dass ich das Land für verloren halte, und das ist auch keine Haltung, die man länger diskutieren kann. Alltagsbeobachtungen habe ich leider keine mehr außer "Pimmelnasen, überall sind Pimmelnasen", auch dieses Thema ist damit final besprochen.

Ich bin ein bisschen ratlos, aber guter Dinge, dass es sich fügen wird. Sonst schubsen Sie doch mal was an, vielleicht geh ich ja mit.

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Freitag, 14. August 2020
Das mit den Überschriften war ja immer das Allerschlimmste
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Montag, 8. Juni 2020
Ich möchte mit Ihnen über Schule sprechen
So, das könnte etwas länger werden, ist aber okay, wenn man nur alle zwei Jahre was schreibt, gilt keine Längenbegrenzung. Vielleicht erinnern Sie sich noch an uns, Mutter Vater Kind, Kind ist inzwischen 11, spielt Handball wie ein Irrer und hat ne 1 in Latein. Zur groben Einordnung. Seinen Start am Gymnasium hat er sehr gut hingekriegt, so gut, dass wir uns nicht sicher waren, ob das in der Form gut ist, da er bis heute keine Arbeit schlechter als 1 geschrieben hat und sich vielleicht sehr unter Druck setzt, vielleicht aber auch nicht, das haben wir noch nicht fertig diskutiert. Andererseits vertraue ich fest darauf, dass er früher oder später seiner faulen Ader, die er sicherlich von beiden Elternseiten mitgekriegt hat, ein wenig mehr Raum geben wird, und dann wird alles sehr gut und sehr normal werden. Immerhin ist bereits jetzt Coolness in Frisur, Sprache und Körperhaltung in der Wichtigkeitshierarchie mit der schulischen und sportlichen Leistung auf einer Ebene. Da hatte ich ja die Hoffnung, noch etwas mehr Zeit zu haben, aber nun gut. Bis Enter Corona alles sehr im Lot.

Als am 16.03. die Schulen in NRW geschlossen wurden, war die Freude erst einmal groß. Also seine. Und ja, ich weiß, dass jede einzelne Familie unterschiedlich ist, dass jede einzelne Familie mit anderen Dingen zu kämpfen hat, und dass Corona übrigens auch für Menschen ohne Familie eine große Belastung darstellt. Das alles ist mir total klar. Meine Familie ist überhaupt kein Abbild der Gesellschaft, und deshalb kann ich es auch einfach so sagen: Für uns ist die Situation total okay. Wir haben die Zeit bis hierher sehr gut umgekriegt, und wir sind uns total darüber im Klaren, dass wir an vielen Stellen privilegiert sind. Wir wohnen sehr großzügig und haben eigene Wohneinheiten für jeden, der hier wohnt, können uns also im Dreierhomeoffice so aus dem Weg gehen, dass man sich gar nicht sehen würde, wenn man nicht muss. Natürlich sehen wir uns doch, zum Beispiel im Garten, wo ein Handballtor aufgebaut wurde, man hysterisch begonnen hat zu gärtnern, wir machen wieder Gemüse für LOHAs, haben Hund und Katze, die uns beschäftigen, und kommen einfach sehr gut klar. Ich sehe viele Familien, wo es deutlich anstrengender ist, und das tut mir aufrichtig leid. Hier ist aber nahezu alles entspannt.

Schule war von Beginn an etwas, was mich sehr erstaunt hat. Es passierte nämlich exakt gar nix. Tagelang. Keine Kontaktaufnahme auf keinem Kanal, die Meldungen vom Ministerium lösten bei unserem volldigitalisierten Rektor immer eine Mail an die Eltern aus, die standardmäßig so aussieht: Brief in Word getippt (kein Briefbogen), dann offenes Word an Mail angehängt. Damit ist aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein Gespräch über digitale Lernformen auf Augenhöhe führen, schon recht gering.

Dann begannen einzelne Lehrer, den Eltern Arbeitsblätter zu mailen, die dann ausgedruckt und bearbeitet werden sollten und abschließend in einen Ordner geheftet wurden. Kontrolle und Feedback, sobald die Schulen wieder Regelunterricht haben. Das hat genau eine Woche gut funktioniert, danach begann Jonathan, den Sinn anzuzweifeln. Wenn sich das doch eh keiner anschaut, muss er es ja auch nicht machen. Er wisse ja auch gar nicht, ob das richtig ist, was er sich dazu denkt, und was soll ich sagen? Weiß ich auch nicht. Also fasste ich folgenden Entschluss: Ich muss wählen zwischen "mach das einfach so, wie du möchtest" und "wir haben jetzt jeden Tag ganz viel Streit, wobei ich noch nicht einmal wirklich verargumentieren kann, warum du das machen sollst, ich finde das nämlich Quatsch", also haben wir gemeinsam beschlossen, dass er nix macht, es sei denn, er möchte was machen.

Parallel suchte er sich übrigens Dinge, die er tut. Zum großen Leid des Hundekinds joggt er jetzt sehr ausführlich, noch nie war der Hund so durchtrainiert. Er hat unzählige Gartenprojekte, hat eine Rezeptsammlung alkoholfreier Cocktails geschrieben (jawohl, ich unterstütze das, Sekt draufkippen kann ich ja immer nachholen), und hat gut verstanden, dass der, der 0 statt 10 Stunden arbeitet, vermutlich auch der ist, der die Waschmaschine anwirft und die Spülmaschine ausräumt. Ich kann übrigens nur sagen: Da wächst eine sehr patente Generation heran, die das alles von die Pike auf lernen durfte. Machen Sie was draus!

Ich kürze etwas ab, um die Wochen nicht in Echtzeit nachzuerzählen. Nach den Osterferien kam eine neue Lernplattform, wo die PDF Arbeitsblätter mit Lösung jetzt hochgeladen werden. Okay. Noch nicht perfekt, aber okay. Dort werden auch die Antworten von den Kindern hochgeladen, allerdings nicht korrigiert. Kein Feedback. Lediglich die Information "bestanden". Nach wie vor kein Kontakt zu Lehrern. Nichts. Keine Videokonferenzen, kein Feedback auf bearbeitete Aufgaben, wenn Fragen gestellt werden, gibt es keine Antwort. Die Aufgaben werden vollkommen willkürlich eingestellt, letzte Woche gab es bis Donnerstag 22 Uhr gar nichts, keine einzige Aufgabe, für kein einziges Fach, und dann kommen nachts 5 lange Aufgaben, die Freitag abgegeben werden sollen.

Jonathan macht die Aufgaben inzwischen jeden Tag zu festen Zeiten mit seinem Freund gemeinsam, so es denn welche gibt. Sie stellen sich die Handys auf den Schreibtisch und gucken sich via Facetime beim Mathemachen zu. Die Mutter seines Freundes sitzt daneben und beschult sie. Sie macht das gerne und kann sich die Zeit nehmen, anders als wir, wir kriegen das beruflich nämlich nicht unter. Auch dafür sind wir sehr dankbar, denn auch wenn ich denke, dass es total egal ist, was er gerade lernt (ja, wirklich), sehe ich, dass es ihm gut tut und er sich jeden Tag darauf freut, seinen Freund zu sehen. Nach 10 Wochen bekam er übrigens die allererste Mail aus der Schule, von seiner Biolehrerin, die ihn darauf hinwies, dass das sehr wohl auffalle, wenn J. und er dieselben Fehler abgeben würden. Daraufhin musste ich mich erstmals in meinem Leben in Schuldinge einmischen, und zwar in Form einer sehr deutlichen Mail an die Lehrerin. 10 Wochen lang gibt es überhaupt keine Interaktion mit den Schülern, und wenn die sich dann alleine zu helfen wissen und einen Weg finden, für sich mit der Situation umzugehen, wird das noch für schlecht befunden. Und jetzt kommt ein Satz, den ich inzwischen sehr oft gesagt und geschrieben habe, und nein, der gilt nicht für alle Schulen, und nicht für alle Lehrer. Aber in unserem Fall gilt der vollumfänglich.

"Sie vermitteln kein Wissen, also werden Sie auch keins überprüfen."

Die Sportlehrerin bildet die Note dieses Halbjahres aus folgender Aufgabe: Lernt, ein Rad zu schlagen und schickt davon ein Video. Jonathan möchte das nicht, ich möchte das auch nicht. Den pädagogischen Wert sehe ich nicht. Gerne können wir die täglichen Leistungen seiner Laufapp schicken, oder die Handynummer seines Handballtrainers. Der ist übrigens auch im Lockdown zu uns in den Garten gekommen, um mit großem Abstand Kraftübungen mit Ona zu machen, damit er im Training bleibt. Ich will ja nicht sagen, dass die Sportlehrer jetzt die Kinder besuchen sollen. Aber ein Video von einem Rad? Ich denke nicht.

Die ganze Reaktanzwelle löste dann gestern die erste Mail ever der Kunstlehrerin aus, er hätte jetzt noch eine letzte Chance, ein fehlendes Bild abzugeben, denn heute würden die Noten gemacht und das Bild sei notenrelevant. Wir haben das besprochen. Mit allergrößter Sicherheit wird er keinen künstlerischen Beruf ergreifen, daher ist es für sein weiteres Leben nicht mehr relevant, ob er einen Farbverlauf mit einem Spachtel ziehen kann. Ich finde es absolut wichtig, in der Schule mitzumachen und sich zu bemühen, aber wir sind halt gar nicht in der Schule, sondern zuhause und gehen damit um, dass die Welt so ist wie sie ist. Und dann ist für mich das höchste Gut, dass er klarkommt, Dinge macht, die ihm Spaß machen und im besten Fall dennoch sinnvoll sind, und die er bewältigen kann. In dieser Familie ist niemand, der einen Farbverlauf mit einem Spachtel ziehen kann, und dann muss das leider warten, bis irgendjemand das in der Schule erklärt oder zeigt.

Und nein, es geht mir nicht um Noten. Noten sind egal. Es geht einzig und allein um Folgendes: Ich bin vollkommen zufrieden damit, wie Jonathan sein Leben in der Krise organisiert und bewältigt. Sport, Kreativität, Mathe, Latein, alles wird gemacht und abgedeckt. Alles ist fein. Ich akzeptiere allerdings nicht, dass das benotet wird. Solange kein Wissen vermittelt wird - und ein PDF Arbeitsblatt ist keine angemessene Form der Wissensvermittlung für 11Jährige, die monatelang alternativlos angewendet werden kann - wird kein Wissen abgefragt. Sehr einfach.

Darüberhinaus muss klar sein, dass es total wichtig ist, dass die Kinder Stoff, Aufgaben, Beschäftigung bekommen. Keine Frage. Das zweifle ich nicht an. Im Gegenteil. Solange das aber so niederschwellig wie in unserem Fall stattfindet, ist es aber auch nicht mehr als ein Angebot zur Beschäftigung. Dann wünsche ich mir aber auch, dass hin und wieder jemand sagt "Mensch, das hast du toll gemacht", und nicht "bestanden".

Ich hätte noch etwa 1000 Sachen zu sagen, vielleicht bricht sich das noch Bahn, vielleicht nicht. Als kleine Abschlussanekdote sei gesagt, dass die letzte Schulmail wieder einmal ankündigt, dass demnächst ein Konzept für das Lernen auf Distanz erarbeitet werden wird. In other words: Man hat noch nicht angefangen, ein Konzept für das Lernen auf Distanz zu erarbeiten. Und das nach wieviel Wochen? Soll ich das auch mal benoten?

(Disclaimer: Ich weiß, dass hier sehr viele Lehrer mitlesen, die entweder

a) einen total tollen Job machen, mit ihren Schülern im Austausch stehen, sich Gedanken über Aufgaben machen, Videounterricht anbieten und sich sogar Gedanken zu einem Konzept machen. Danke dafür. Macht weiter, eure Arbeit ist systemrelevant!

oder b) die gerne einen tollen Job machen würden, die aber von ihren Schulen/Eltern/Kollegen dazu genötigt werden, keinen Videounterricht zu machen, keine Anrufe zu tätigen, kein wasweißich... Auch die Stories gibt es. Das Schöne an unserem System ist ja, dass man sich hervorragend gegen Dinge positionieren kann. Herr Laschet zuckt die Schultern, weil Schule Sache der Kommunen ist, die gucken auf die Schulen, die Rektoren gucken auf die Lehrer, und alle zusammen gucken ratlos auf das fehlende Konzept. Und dabei gibt es auch in unserer Stadt Beispiele für 5. Klassen, die nahtlos und hervorragend Kontakt gehalten haben und die Kinder nicht unterwegs verloren haben. Auch da: Danke. Ich kenne die Gründe nicht, warum wer was nicht macht. Ich kenne ein paar krude Geschichten aus dem privaten Umfeld, aber ich will mir gar nicht anmaßen, das zu bewerten. Aber bitte: Dann bewertet uns auch nicht.

Danke.)

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