Samstag, 24. Oktober 2020
Klopapier-Lied
Ich befinde mich in der einzigartigen Situation, dass ich für Sie da draußen ganz alleine testen kann (schon mal für die dritte Welle), welche Klopapierstrategie insgesamt die vernünftigste in "der aktuellen Situation" ist. Und da ich insgesamt in den letzten Tagen sehr angestrengt bin und Frau N. auch, gebe ich Ihnen sehr freundlich mit auf den Weg, dass ich die Diskussion, die Deutschen würden jetzt alle Regale leerkaufen, weil irgendein Blogger ein paar Hundert Leute auf die Idee bringt, man müsse jetzt Klopapier horten, für zu spät halte. Die Deutschen horten bereits Klopapier, und daran bin ganz sicher nicht ich schuld.

Ich halte mich für sehr vernunftbegabt. Ich habe in formaler Logik promoviert (naja, und anderen Dingen, aber formale Logik war ein Teil davon), und das gibt mir immer eine gewisse Grundsicherheit, wenn die Frage geklärt werden muss, ob etwas logisch sei oder nicht. Und wenn meine Kenntnisse versagen, gibt es ein dreiminütiges Telefonat mit Frau N., das wir wiederkehrend in beide Richtungen führen. Es beginnt immer mit "Hallo, ich brauche kurz einen Realitätscheck", dann schaltet die Andere alle verfügbare Ratio ein, man schildert Problem und Lösung, üblicherweise sagt man dann "Ja, super, so machen", und dann weiß man, dass ein anderer vernunftbegabter Mensch das auch so lösen würde, und dann macht man das halt. Das funktioniert seit vielen Jahren mit gutem Ergebnis.

Manchmal ist es allerdings so, dass es gar nicht hilft, wenn man selber so furchtbar vernünftig ist, da alle um einen rum sehr unvernünftig sind. Das erfuhr ich zu Beginn des ersten Lockdowns.

Sie alle erinnern sich, vielleicht waren Sie sogar Teil des Problems: Es gab kein Klopapier mehr. Ich dachte initial, als das Thema sich abzeichnete, kurz darüber nach, was das für mich bedeutet, und kam zu dem Ergebnis: Nichts. Es ist so, dass ich bislang keinen Tag meines Lebens mit der Organisation von Klopapier beschäftigt war. Ich mache samstags einen großen Wocheneinkauf, und wenn ich das Gefühl habe, es könnte an der Zeit sein, dann kaufe ich Klopapier. Mit diesem System fahre ich seit 26 Jahren mit eigenem Haushalt sehr gut. Es gab nie einen Engpass, und ich hatte nie signifikante Vorräte. So kam es also, dass plötzlich das Klopapier im Supermarkt des Vertrauens ausverkauft war, und ein kleiner Check sagte mir, dass es diese Woche noch keinen Handlungsbedarf gebe. In der nächsten Woche war es auch ausverkauft, ich war aber noch immer entspannt, riet aber dazu, die Nase hochzuziehen oder am Pulli abzuputzen, also eigentlich das zu machen, was so ein 11Jähriger eh macht, wenn keiner guckt.

In der Woche drauf wurde ich langsam hektisch. Also steuerte ich verschiedene Supermärkte an, ohne Erfolg, und stand dann später aufgelöst in der Stammapotheke, in der ich immer recht viel Geld für Pflegeprodukte lasse und jammerte, was dazu führte, dass die Chefin mir ein 8er Paket Hakle mit Duft und Farbe (naja, was will man machen) überließ. Das fand ich nett. In der kommenden Woche schwante mir langsam, dass ich mit meiner laissez-fairen Art, wir sollten uns doch einfach mal alle in den Griff kriegen und normal sein, an der Stelle nicht weiterkam, denn das Publikum, das diese Botschaft hätte hören sollen, die TP Hoarder, waren ja offensichtlich immer schon sehr viel früher als ich unterwegs. Also ging ich eines Abends in den nächsten Discounter und sprach mit dem Filialleiter. Es war 10 Minuten vor Geschäftsschluss, und meine Frage als berufstätige Mehrfachbelastete war recht einfach: Wann genau muss ich in diesem Scheißladen sein wenn ich für meine Familie Scheißklopapier kaufen will? Ich kann nicht 40 mal am Tag vorbeikommen.

Die Antwort war bestechend einfach: Wenn ich wirklich keins mehr hätte, dürfte ich kurz heimlich mit ins Lager kommen, da stehen natürlich ganze Paletten Klopapier, die nur nicht rausgebracht werden. So geschah es also, dass ich kurz vor Geschäftsschluss mit einem Paket Klopapier unter dem Rolltor hervorkrabbelte, und das, was sich im Anschluss im Laden abspielte (der Filialleiter hatte seine Anweisung "Aber sagen Sie nicht, woher Sie das haben" nicht zuende gedacht), möchte ich gar nicht vorwegnehmen, sollte mein Leben einst verfilmt werden, ist das sicherlich eine Schlüsselszene.

Nun hatte ich also wieder acht Rollen, da es sich aber um ein Verbrauchsgut handelt, musste ich recht schnell wieder los. Dieses Mal fuhr ich morgens um 7.30 los und steuerte sämtliche Supermärkte, die mir einfielen, nacheinander an. Auf der Liste stand Klopapier, Küchenrolle, Taschentücher, frische Hefe, Roggenmehl und Weizenmehl. In insgesamt 8 Läden gelang es mir, zwei Pakete Klopapier, zwei Pakete Weizenmehl und vier Würfel Hefe zu ergattern. Danach musste ich mich hinlegen, es war sehr anstrengend.

Der Mann guckte sehr strafend, dass ich direkt in zwei Läden Klopapier gekauft hatte, was aber an mir wie an Teflon abperlte, denn die Logik, dass es jetzt ja weniger Klopapier gebe, weil ich auch hamsterte, fand ich defizitär. Dann war ja irgendwann alles wieder gut, es gab wieder alles, und jetzt ist alles wieder schlecht. Danke, Deutschland.

Ich habe in den letzten Tagen mehrfach Klopapier gekauft. Und Taschentücher. Und Mehl. Und Hefe. Und ich besitze jetzt sogar zwei Dosen Suppe. Der Mann guckt nach wie vor strafend, aber aufgrund einer hervorragenden Situation ist das nicht nur vollkommen unerheblich, sondern sogar ein perfekter Versuchsaufbau. Es ist nämlich so.

Wir teilen keine Toilette. Es gibt insgesamt 3 Toiletten in verschiedenen Wohneinheiten, eine davon nutzen Ona und ich, eine andere in einer anderen Einheit nutzt der Mann. Zusätzlich kaufen wir unterschiedliches Klopapier. Ich ruhe mich seit 11 Jahren auf dem Argument der natürlichen Geburt aus, wenn ich nur Produkte kaufe, auf denen "extraweich" oder "flauschig" steht, er bevorzugt umweltschonende Produkte, was ich natürlich in der Theorie vollkommen unterstütze, in der Praxis an diesem Ende aber nicht mitgehe. So kommt es also, dass es wirklich überhaupt keine Überschneidung von Klopapiernutzung in diesem Haushalt gibt, außer von Ona und mir, und das ist ja okay, der hat zum Hamstern ja keine Meinung. Ich habe also in der letzten Woche sehr viel flauschig-weiches Toilettenpapier gekauft und fühle mich zwar *in der Sache* irrational, aber logisch richtig aufgestellt, ich will ja nicht wieder die einzige Person in Düsseldorf sein, die nix hat, wenn alle wieder Corona und Noro verwechseln. Corona ist kein Virus des Darmtrakts, möchte ich rufen, aber es hört ja eh keiner zu. Und die, die das wissen, müssen ja hamstern, weil alle anderen sonst alles weghamstern. Ein Teufelskreis.

Mein Mann hat kein Klopapier gekauft, obwohl es welches gab. Ich habe ihn sogar heute aus dem Supermarkt angerufen. Seins war noch da, Rest war weg. Nein, er habe noch sechs Rollen.
Ich wünsche ihm viel Erfolg, werde explizit nicht teilen und beizeiten wieder berichten.

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Freitag, 23. Oktober 2020
Real Men - The End
Gestern und vorgestern habe ich Sie einen kurzen Moment hinter die Kulissen schauen lassen, was ja sonst gar nicht so meine Art ist. Das war auch mal ganz gut so, ich schreibe nämlich lieber "mein Mitbewohner" als "mein Mann", und in einem überschaubaren Zeitfenster werde ich einfach gar nichts mehr dazu schreiben, und dann kann man das einordnen, vielleicht auch, warum ich manchmal ein bisschen angestrengt reagiere, wenn ich so getriggert werde wie durch das Interview mit Frau Ciesek, etc. Da ich mich jedoch ungern durch Leid profiliere und auch gar keines empfinde, ich jammere auf hohem Niveau und auch nur sehr selten, meistens innerlich, schwenke ich einfach an dieser Stelle wieder zu normal und fröhlich (im Rahmen meiner Möglichkeiten). Auf meinen Mann muss auch niemand böse sein, auch der lebt nämlich in seinem eigenen Universum, wo in seinem Männerbüro der Satz "ich muss das Kind abholen" mit einem Mettbrötchen und der Frage "hast du keine Frau" beantwortet wird... Der Gesamtkomplex ist zu vielschichtig, um einen Bösewicht zu definieren. Und ich schrieb ja vor allem über falsche Entscheidungen, die ich getroffen habe. Sie können sich sicher sein, ich sitze nie abends zuhause und weine. Manchmal werfe ich allerdings was.

Was Sie aus der Geschichte hoffentlich mitgenommen haben: Alles kann allen passieren, und die Welt ist, wie sie ist. Und das ist doch auch was. Und jetzt Musik!

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Sonntag, 18. Oktober 2020
Zu viel Information
"Lasst uns doch mal ,freche‘ Interview-Einstiegsfragen an Männer sammeln", fordert Teresa Bücker via Twitter auf, und da würde ich mich ja theoretisch nicht zweimal bitten lassen. Hätte ich als Frau nicht große Angst, dass ich durch permanente Bitterkeit den Alterungsprozess der Haut vorantreibe. Das kann sich die moderne Quotenfrau nicht leisten, und anders als bei Quotenmännern machen graue Schläfen und Falten Frauen ja nicht interessant, sondern alt. Nun gut.

Würde ich jemals in die Situation kommen, dass ich einen führenden Wissenschaftler zu dem den gesamten Erdball in Schach haltenden Pandemiegeschehen interviewen müsste, würde ich mir selbstverständlich auch einen frechen Einstieg überlegen. In etwa so: "Hallo Herr X., das ist Ihnen schon klar, dass Sie diesen Job nur deshalb bekommen haben, weil alte weiße Männer nun einmal nur alte weiße Männer berufen? Was macht das mit Ihnen?" gefolgt von "An einzelnen Stellen im Prozess reagieren Sie unnötig cholerisch. Liegt das daran, dass Sie nur 1,73m groß sind? Oder haben Sie zuhause nicht die Hose an und müssen deshalb im Job so richtig auf den Putz hauen?" vielleicht gefolgt von irgendwas, das nahelegt, dass entweder seine Frau ihn nicht mehr ranlässt, oder er dann nicht wie gewünscht performt. Dann Bogen zurück zur Qualität seiner Arbeit, Kinder können wir weglassen, danach werden ja grundsätzlich nur Frauen befragt, und voila, schon haben wir einen frechen Einstieg und können uns von dort aus um die wirklich wichtigen Dinge im Leben kümmern.

Jetzt wollte ich erklären, dass ich das alles ja aus persönlicher Erfahrung so anstrengend finde, und dann fiel mir ein, dass ich einen großen Showdown vor vielen Jahren hier sogar mal verklausuliert wiedergegeben habe, und durch schlaues Suchen fand ich den Text sogar wieder. Zu meiner großen Enttäuschung (und auch ohne nachvollziehen zu können, warum ich das gemacht habe) musste ich feststellen, dass ich in dem Eintrag zwar die Abläufe und die Stimmung recht gut wiedergegeben habe, dass der alles entscheidende Hauptsatz, den ich in den letzten 9 Jahren nur zu oft zitiert habe, in dem Text allerdings fehlt. Vermutlich, weil mir das alles zu unangenehm und peinlich war. Daher ergänze ich einfach 2020 (wer mich besser kennt, kann den Satz seit Jahren im Chor mitsingen):

"Wie wollen Sie sich denn bitte als Frau am Fachbereich Mathematik durchsetzen??" (Ich wäre die einzige Professorin gewesen). Das war die erste, vorgeschaltete Frage des Kommissionsvorsitzenden zum inhaltlichen Vortrag, nicht hinterher im nichtöffentlichen Teil, die den Ton für die nächsten 90 Minuten ja gut festlegte. Mit der Ergänzung im Hinterkopf dürfen Sie gerne noch einmal mit mir leiden. Was ich 2011 übrigens auch unterschlagen habe, ist, dass das die erste von zwei Situationen in meinem Leben war, in der mir - ich trug eine Feinstrumpfhose - Schweiß aus den Kniekehlen rann, das war der Preis dafür, dass ich nach außen kontrolliert und souverän wirkte. Irgendwo muss es ja raus. (Das zweite Mal war ein zweistündiges Telefonat mit einer großen Kommission im Mutterhaus in New York, die mich dazu bewegen wollte, etwas zu tun, was ich nicht tun wollte. Da konnte man viel lernen: Ich habe regelmäßig den Satz wiederholt "This is not negotiable", woraufhin am anderen Ende Stille herrschte. Ich habe das schnell durchschaut, wenn man selber dann weiterredet, weil man die Stille nicht erträgt, dann verhandelt man ja eigentlich doch. Also habe ich auch geschwiegen. Die längste Pause war fast 90 Sekunden, das ist am Telefon sehr lang, da wird es auch schon mal anstrengend in den Kniekehlen. Die Kniekehlen sind meine berufliche Angstreaktion.)

So, wie kam ich drauf? Richtig. Der finale Verfall des SPIEGEL. Ich habe schon immer SPIEGEL gelesen, im Studium sogar so verrückt auf Papier. In einem Proseminar zum Thema Pressesprache (gähn) habe ich ein Referat über den SPIEGEL gehalten (gähn). Ich hatte jahrelang SPON als Startseite eingestellt. Irgendwann habe ich dann sogar das SPIEGEL+ Abo gekauft. Ja. Hab ich alles getan. Aber da ich ja in der Vergangenheit auch nie die BILD gelesen habe, da ich mich ja höchstens für Journalismus interessiere, nicht für Trash, ist diese jahrzehntelange Freundschaft hier jetzt leider zuende.

Ich hab mich schon länger permanent geärgert. Nicht nur über den SPIEGEL, da ich dort aber am meisten lese, war die Frequenz groß. Mitten im Lockdown die Clickbait Überschrift "Jeder 5. Deutsche hält die Corona Maßnahmen für übertrieben". Beruflich arbeite ich mit Statistik und kommuniziere Ergebnisse. Wenn in einer Umfrage 18% der Befragten sagen, die Maßnahmen gingen ihnen zu weit, 82% sagen, sie seien perfekt oder noch zu harmlos, ist die Botschaft ja nun wirklich nicht, dass jeder 5. unzufrieden ist, es sei denn, man möchte Bambule durch Bias fördern. Und das habe ich in der ganzen Pandemiezeit nicht zu schätzen gewusst. Ich bin sehr für ausgewogene Berichterstattung, für das Anhören aller Seiten, dass die Medien nicht Fox News-gleich Sprachrohr der Regierung sind. Aber das Phänomen, dass sich jede Geschichte noch besser verkauft, wenn Leute darin streiten, schreien oder bloßgestellt werden, hat in den letzten Monaten dazu geführt, dass ich meistens die Bundespressekonferenz gucke und mir den Rest einfach selber denke. Das ist aber auch kein guter Weg, ich bin ja nur inselbegabt. Ganz besonders schlimm ist übrigens die Mechanik, mit der der SPIEGEL neue SPIEGEL+ Abonnenten zu gewinnen versucht. Alle interessanten oder gesamtgesellschaftlich wichtigen Texte sind hinter der Aboschranke, das könnte man ja sogar noch nachvollziehen, aber dann sind die Artikel häufig mit Clickbait-Überschriften versehen, die schlichtweg falsche Informationen oder Fragestellungen vermitteln, die dann zwar hinter der Bezahlschranke wieder geradegerückt werden, das ist aber für die allermeisten Leser gar nicht zu erfahren.

Deshalb lese ich jetzt was anderes. Hera Lind. Gibt es die eigentlich noch?

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