Sonntag, 1. November 2020
Tomorrow, tomorrow, I love ya, tomorrow
Ich hoffe, Sie sind bestens vorbereitet, ab morgen ist wieder Corona. Und an dem Punkt habe ich nämlich ein kleines Verständnisproblem. Ich dachte ja, wir hätten auch heute schon Corona, aber das scheint nicht so zu sein. Heute Nacht wurde ich gegen 2 Uhr wach, da eine Gruppe Jugendlicher vor meinem Fenster stand und rauchte, im Gemeindesaal der Kirche ist das wohl verboten, dann geht man halt raus, wenn man auf der Party rauchen möchte. Wenn wir uns Aerosole mal kurz so vorstellen wie Zigarettenrauch in einem Gemeindehaus im Herbst (ich hab den Vergleich irgendwo von irgendwem, der alles besser versteht als ich, gehört und fand den aber sehr nachvollziehbar), dann muss ich auch gar nix mehr weiter erklären, eigentlich.

Es ist ja auch nicht meine Passion, Kirchengemeinden anzuschwärzen, aber dass bei mir nebenan auch im Jahr 2020 heftig in den Mai getanzt wurde, mag daran liegen, dass wir abseits und nicht gut einsehbar größerer Straßen liegen, da ist ja sowieso kein Corona.

Halloweenparties wurden in meinem kindbezogenen Umfeld auch noch schnell eingeschoben, denn "ab Montag ist ja Corona, dann können wir den ganzen November" gäääähn. Okay. Jonathan musste leider mit einem doofen Tonkürbis alleine zuhausesitzen, da ich ihm aber auch logisches Denken zu vermitteln versuche, ist er zumindest darüber informiert, warum das so ist. Schadenfreude ist ja das Allerletzte, dem man in "der aktuellen Situation" Raum geben sollte. Aber ich bin wirklich sehr gespannt auf die Neuinfektionszahlen in zwei Wochen. Wenn alle noch mal schnell alles gemacht haben, weil ab Montag ja wieder Corona ist.

Es hat mehrere Situationen in meinem Leben gegeben, in denen ich das Gefühl hatte, ich müsse an die Vernunft meiner Mitmenschen appellieren. Ich habe das abgelegt. Aber ich möchte eine Beobachtung mit Ihnen teilen.

Deutsche (oder gar Menschen?) machen gerne das, was ihnen gesagt wird. Und wenn gesagt wird, ab Montag muss man sich anders verhalten, weil die Zahlen so schlimm durch die Decke gehen, dann verhält man sich ab Montag eben anders. Dass man eventuell auch noch einen Teil Elend hätte abwenden können, wenn man nicht in den fünf Tagen davor noch viel mehr Kontakte künstlich einbaut, als man jemals im November zusammengekriegt hätte, wenn die Kanzlerin *nicht* gesagt hätte, dass man das alles nicht mehr darf, nun ja, well, das war ja nicht mitkommuniziert. Also: Halloween muss noch gehen, danach ist ja Corona.

Und weil ich schon die christliche Kirche gebasht habe, möchte ich fair verteilen und eine Parallele ziehen. Ich kenne mich bestens im orthodoxen Judentum aus, unter anderem mit den doch immerhin 613 Mitzwot, den Regeln, wie man sich zu verhalten hat. Und was ich ja immer mit einem Lächeln beobachtet habe, ist die Schlauheit, mit der an vielen Stellen das Wort der Regel beachtet wird, nicht aber die dahinterliegende Logik. So darf man als verheiratete Frau zwar seine eigenen Haare keinem anderen als seinem eigenen Ehemann zeigen, eine Perücke, mit der man 1000 Mal heißer aussieht als mit den eigenen Spaghettisträhnen ist allerdings total okay. Oder wenn man am Shabbes nur innerhalb des eigenen Hauses Dinge tragen darf, dann spannt man einfach einen Eruv um die ganze Stadt und erklärt die halt in Gänze zum eigenen Haus, und schon darf man wieder machen, was man will. Oder man darf kein Licht anmachen, man darf aber eine Zeitschaltuhr haben, die Licht anmacht. Rational gesehen eigentlich Quatsch, aber ganz hervorragend an die Regel gehalten.

Im Falle der Mitzwot finde ich das sehr reizend. Im Falle der Halloweenparties, Shoppingexzesse und Kinderpartys am Tag vor Corona kann ich nur die liebe Frau Novemberregen zitieren. Was *ist* mit den Leuten?

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Freitag, 30. Oktober 2020
There is a light that never goes out (The Smiths)
Es ist nicht leicht. Ich bin ja noch nicht einmal Hobbyvirologin, aber ein mathematisch begabter Mensch. Und als solcher möchte ich zumindest eine Augenbraue anlässlich der am Montag in Kraft tretenden, deutschlandweiten neuen Maßnahmen zur Unterbrechung des exponentiellen Wachstums (an dieser Stelle stellte sich mir kurz die Frage, ob der Satz noch verschachtelter werde müsse, weil ich noch einschieben muss, was hier gerade exponentiell wächst, aber ich denke, das können Sie sich selber herleiten, danke) heben. Und nun ist es nicht so, als würde ich mir einen Lockdown herbeisehnen, es ist auch eigentlich nicht einmal so, dass ich mich mit "der aktuellen Situation" auch nur annähernd abgefunden hätte. Ich möchte jetzt bitte kein Corona mehr. Ich wollte auch im Jahr 2000 noch immer keinen Euro. Ich wollte König Willem-Alexander nicht. Ich sage noch immer Raider, wenn ich mich nicht sehr konzentriere. Grundsätzlich komme ich mit Veränderungen schlecht zurecht, und eine globale Pandemie ist jetzt auch keine Veränderung in eine erstrebenswerte Richtung, wenngleich ich jede Form von körperlichem Abstand ja sehr feiere. Darüberhinaus gilt: Pandemie ist scheiße. Aber das ist bekannt.

Ich hatte ja noch bevor ich wieder regelmäßiger gebloggt habe einmal sehr viel Dampf abgelassen, da ich fand, dass die Digitalisierung in deutschen Schulen unverhältnismäßig wenig gewollt ist (inzwischen kann man es nicht mehr anders erklären: NIEMAND kann so unfähig sein, dass es nach über einem halben Jahr immer noch nicht weiter gediehen ist als "wenn ihr in Quarantäne müsst, schicken wir euch die Hausaufgaben zu", und ja, Sie kennen den Text, es gibt Tolle unter Ihnen etc., aber an der einen Schule, die ich von innen kenne, ist es halt so. Wenn man sich übrigens ein Bein gebrochen hat und deshalb nicht in die Schule kommen kann, darf man an Onas Schule explizit am digitalen Lernen nicht teilnehmen. Egal, aus welchem Grund man verhindert ist: Das Arbeitsblatt kriegt man nur dann geschickt, wenn es offizielle Corona-Quarantäne ist. Diesbezüglich gibt es etwa zweitäglich eine Mail, um das noch mal klar zu kommunizieren. Kein digitales Lernen ohne das Gesundheitsamt. Denn: Eigentlich möchte man das ja generell nicht, wenn man sich das Bein bricht, gibt es halt keine Schule. War früher ja auch so, was soll die Diskussion. Aus uns ist ja auch was geworden, wie man an all den begnadeten Projektmanagern in deutschen Schulen und Kultusministerien sieht. Ein Traum.

Aber ich schweife ab. Ich habe die folgende blöde Befürchtung: Die Maßnahmen werden original nix tun. Naja, vielleicht ein wenig, aber nichts, was bis Weihnachten trägt. Vom großen Familienweihnachten ersten Grades habe ich mich sowieso schon verabschiedet, jedes Jahr sitzen wir zu elft in meinem Wohnzimmer, das sehe ich nicht, ist mir aber auch recht, es geht um Oma, dann ist das halt so. Aber: Es geht mir nicht weit genug, und da spreche ich als selbständige Unternehmerin. Also nicht die Zielgruppe, die dem Lockdown hinterherhechelt. Aber die zweiwöchigen Herbst-Schulferien noch schnell für die Fernreise zu nutzen um dann direkt im Anschluss zu sagen "und jetzt machen wir mal die Kneipen zu, aber die fast 9 Millionen Schüler:innen lassen wir morgens mit der U-Bahn in die Schule fahren, und dann sitzen sie halt mit 30 Kindern in einer Klasse, es gibt ja ein Lüftungskonzept" finde ich verrückt. Das Föderalismusargument, dass die Herbstferien ja unterschiedlich verteilt sind, finde ich... oh entschuldigen Sie, ich war kurz eingeschlafen. Da wir in den mathematischen Modellen ja erklärt bekommen, dass wir einfach kurz 75% unserer Kontaktsituationen einsparen müssen, finde ich das total folgerichtig, jeden Morgen 9 Millionen Menschen in U-Bahnen und dann zu dreißigst in Klassenräume zu stecken. Warum nicht. Aber auch hier kommt man mit meinem Lieblingshandwerkszeug, der Grundschulmathematik, ja sehr schnell an den Punkt, wo man anzweifelt, ob das jetzt so funktioniert. In unserem Fall sieht es übrigens so aus, dass permanent Lehrer in Quarantäne sind und deshalb in allererster Linie Vertretungsunterricht stattfindet. Mit "wir gucken einen Film". Gegenvorschlag. Warum denkt sich denn die für mich zuständige Schulministerin Gebauer nicht einfach eine Liste von sechstklässlertauglichen Filmen aus und schickt die als offenes Word Dokument im Emailanhang, und dann lassen wir die Kinder zuhause (die Älteren! Ja, klar, ich hab gut reden, mein Kind beschäftigt sich allein und ich kann arbeiten, aber das ist ja immerhin mindestens die Hälfte der deutschen Schulkinder, die älter sind als 10) und zeigen ihnen einfach im Kinderzimmer auf irgendeinem Endgerät die Filme, die sie sonst in der Schule gucken, weil der Sportlehrer Vertretung macht, da der Lateinlehrer in Quarantäne ist. Das wär doch mal eine Idee. Und wer das zuhause nicht hinkriegt, kann das ja anders handhaben. Dann sind halt ein paar Kinder in der Schule. Meins ist zuhause. Und die meisten anderen in meinem privaten Umfeld auch. Beschulen kann ich den nicht. Einen Sitzplatz anbieten allerdings problemlos.

So wird es allerdings eventuell ganz einfach so sein: Wir fahren jetzt weitere vier Wochen kleine und große Unternehmen vor die Wand, um dann am Ende festzustellen, dass wir leider doch eher zu wenig erreicht haben. Mathematisch halte ich das für ein wahrscheinliches Szenario. Und dann - das kann ich schon mal vorsichtig ankündigen - bin ich wirklich sauer, und wenn ich wirklich sauer bin, kann ich sehr unangenehm werden.

Das alles macht mich wirklich verrückt. Das und Herbst. Und Trump. Und die Situation. Und die Tatsache, dass ich mal raus musste und wollte und jetzt nicht kann, weil man nicht mehr beherbergt wird. Mit meinem Fluchtnaturell, vom Kompagnon einst so treffend beschrieben als halb Frau, halb Pferd, ist vermutlich das Schlimmste, was mir passieren kann, dass ich irgendwo nicht wegkann. Und sei es zuhause.

Auch mein Umfeld wird verrückt, ganz normale, schlaue Menschen, eskalieren, gar nicht zwingend mir gegenüber, sondern einfach grundsätzlich. Die, die schon vorher irre aber liebenswert waren, sind halt noch immer verrückt. Frau N. ist allerdings auch ein wenig angestrengter als sonst. Ja. Es ist anstrengend. Ich bin anstrengend. Leben ist anstrengend. Ich war nie ernsthaft gefährdet, aber sollte ich das Themengebiet Depression für mich noch erschließen wollen: Jetzt ist der Moment. Der Schritt ist ein kleiner.

Immerhin bin ich heute nicht in einem Frontalzusammenstoß gestorben, und Ona auch nicht. Das verdanke ich meinem schlauen Auto, das ja einfach ganz alleine vollbremst, wenn es sich nicht sicher ist, ob ich die Situation noch im Griff habe. Ich war abgelenkt weil Ona fuchtelte auf dem Beifahrersitz und ich sah nicht, dass mir jemand fälschlicherweise entgegenkommt, und dann kam die automatische Vollbremsung, gefolgt von Schreck, gefolgt von richtigem Ausweichmanöver, gefolgt von Nichtstraßenverkehrstod.

Es ist nicht alles schlecht.

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Mittwoch, 28. Oktober 2020
Statt Urlaub
holland (m4a, 1,545 KB)

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