Freitag, 2. April 2021
Mein lieber Herr
Das mit den Überschriften fand ich ja schon immer das Alleranstrengendste am ganzen Bloggen. Mittelfristig brauche ich da eine andere Lösung. Eigentlich wollte ich ja immer einfach ein Lied hinschreiben, welches ich an dem Tag aus irgendeinem meist unbemerkten Zusammenhang in den Kopf gespült bekam, aber wie das so ist, ist natürlich auch der Ohrwurm intrapandemisch noch viel anstrengender als sonst. Es ist ja einfach absolut alles intrapandemisch viel anstrengender als sonst.

Heute morgen wachte ich um 7 Uhr auf und sah mich mit einem großen Problem konfrontiert. Ich hatte einen Ohrwurm, von dem ich allerdings nur 1/4 Takt überhaupt zu fassen kriegte. Ich wusste, dass das Lied ein französisches ist, sehr bekannt, dass es sicherlich sehr viel Spaß machen würde, das zu singen, weil es mich irgendwie anregt, und ich erinnerte mich, dass es zwei Frauen gab, die das Lied in einer französischen Show gesungen haben. Beide im Etuikleid, eines schwarz, eines weiß.

Nun habe ich ja vor einiger Zeit das System, einfach immer alles nur noch bei Twitter zu erfragen, statt selber nachzudenken, von Frau N abgeguckt, aber in diesem Fall sah ich da wenig Hoffnung. Ich drehte mich also auf die andere Seite, ich habe Rücken, und dachte nach. Irgendwann kamen zwei Namensbestandteile hinzu. Ein Name einer Sängerin endete auf d, einer, eventuell der gleiche, aber vielleicht auch nicht, hatte ein Doppel-L. Ich drehte mich auf den Rücken und überlegte, ob ich überhaupt irgendeine französische Sängerin kenne und kam zu dem Entschluss, dass ich keine einzige französische Sängerin kenne. Dann fiel mir allerdings ein, dass es wohl so war, dass eine der beiden, oder vielleicht beide, auch eher eine Schauspielerin als eine Sängerin war, nach einem kurzen Check war aber klar, dass ich ja überhaupt nur zwei Schauspielerinnen auf der ganzen Welt namentlich kannte, nämlich Heike Makatsch, und zwar deshalb, weil ihre Patentante bei unserem Dorfmetzger arbeitete und vor 20 Jahren mal erzählte, dass sich auch eine erfolgreiche deutsche Schauspielerin nur eine Einzimmerwohnung in London leisten kann, und Jodie Foster. Und Liza Minelli, stimmt, die kannte ich auch, und plötzlich war mir klar, dass das Lied, das ich suche, so ähnlich war wie Mein lieber Herr aus Cabaret, aber eben auf Französisch und ganz anders. Aber irgendwas mit Herr auf jeden Fall. Die Frage, ob es eventuell reichen könnte, den aufkommenden Ohrwurm mit dem exzessiven Hören von Cabaret zu bekämpfen, habe ich realistisch sofort wieder verworfen.

Um 7.45 Uhr war ich entsprechend angestrengt und genervt. Dann kam noch eine Anfrage des Kompagnons, ob wir uns um 8 eben mit geteiltem Bildschirm zusammenschalten könnten, die ich mit einer sehr bestimmten Einordnung des Wochentags beantwortete (als ungläubige Selbständige teile ich meine Tage intrapandemisch nur noch auf in "kann um 8 telefonieren" und "kann nach 10 telefonieren"), und dann dachte ich weiter nach.

Ich fand keine unterbewussten Bruchstücke mehr, nahm also um 8 Uhr eine sitzende Position ein und entschied, den vielleicht nicht unanstrengendsten aber hoffnungsversprechendsten Weg einzuschlagen. Ich googlete "französische Schauspielerin" schloss dann ein paar Namen noch aus, die anscheinend berühmt sind, und suchte minutenlang nach Namen, die ein ll und ein d haben.

Ich kürze ab. Das ist das Lied. Milord. Gesungen von einer kleinen und einer großen Frau, die große ist Marion Cotillard. Beide tragen ein Etuikleid. Warum mein Hinterkopf mir Edith Piaf nicht angeboten hat, ist natürlich nicht bekannt. Ich schaute mir das Video zweimal an, dann kam das Kind in mein Schlafzimmer und fragte schlaftrunken "Warum hörst du das rote Pferd auf Französisch?", dann drehte ich mich um und sang ein bisschen Cabaret Stücke leise im Kopf.

Ich habe nachgedacht. Manchmal hilft das, Herr Laschet.

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Dienstag, 30. März 2021
Feet
Ich bin ja so ein Frühlingsmensch. Frühling sagt, dass alles gut wird. Blümchen, Sträucher, Tiere, Menschen, alle kommen vollkommen aus sich heraus. Ich mag das, und an mir selber bemerke ich jeden Frühling seit mindestens 40 Jahren einen unterjährig nicht gekannten Optimismus. Ein paar kleine Dämpfer gibt es sehr wohl, ungepflegte Winterfüße vor mir auf der Rolltreppe, das ist etwas, womit ich sehr schlecht zurechtkomme, aber ich habe gelernt, wegzuschauen, und wo sollte man auch 2021 auf einer Rolltreppe stehen? Mit den eigenen Füßen verfahre ich seit jeher sehr klug. Ich trage einfach das ganze Jahr durch Sommerfüße, wobei am Ende des Frühlings dann die Variante "Sommerfuß mit Pflastern" bis Jahresende in Kraft tritt. Manche Menschen werfen mir vor, sehr empfindlich zu sein, innen wie außen, für die Außenhaut meiner Füße trifft das vollumfänglich zu. Es gibt genau einen Tag im Jahr, an dem ich euphorisch offene Schuhe oder was auch immer ohne Socken tragen kann, danach trage ich dann mehrere Tage gar keine Schuhe, und dann halt Sommerfuß mit Pflastern. Ich habe das früh gelernt und weiß inzwischen damit umzugehen. Jedes Jahr wird sehr genau überlegt, für welchen Anlass ich Fußkomfort und mehrere Quadratzentimeter Haut opfern möchte, denn es gibt nur diesen One Shot, dieses eine Ausgeherlebnis, an dem ich zwar Schmerzen habe, dafür aber angenehme, unverpflasterte Sommerfüße.

Ende März 2021, also heute, war ich kurz versucht, meinen One Shot im Supermarkt zu verballern. Warum auch nicht? Alle Events, die ich gerne besuchen würde, sind nicht verfügbar. Alle Menschen, die ich gerne sehen würde, sind nicht verfügbar. Mein Büro, wo ich mich vernünftig anziehe und andere Menschen das besichtigen können, ist nicht verfügbar. Wohin also mit dem unverpflasterten Sommerfuß? Es ist VOLLKOMMEN EGAL. Das Einzige, was mich gerade eben noch stoppen konnte, war die Tatsache, dass ich nach Wald und Dusche meine Lieblingsfrühlingsbluse aus dem Schrank holte, sie anzog und mich dann erinnerte, dass ich seit 2019 ja weiß, dass ich diese Bluse leider gar nicht alleine anziehen kann, sie hat nämlich Bänder unter dem Ellenbogen, die akkurat gebügelt sein (auch noch nicht passiert) und dann zu einer akkuraten Schleife gebunden werden müssen. Das kann ich mit einer Hand nun wirklich nicht, es war aber keine weitere Hand verfügbar, und mit ungebundenen Bändchen gehe ich nicht raus, außerdem habe ich ja Nudeln und Pesto auf Vorrat, und so kam eins zum anderen und jetzt sitze ich im Garten, mit der Bluse und den ungebundenen Bändchen, Socken und einem sonnenden Hund auf meinem Fuß und bleibe einfach zuhause. Ist ja Pandemie, im Zweifelsfall ist das eh die beste Entscheidung.

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Dienstag, 23. März 2021
Tests
Ich kann ja genau gleich schnell tippen, wie ich denke, die Bundespressekonferenz dauert noch 20 Minuten und ist langweilig, und ich bin wütend. Bin ich ja sehr oft, aber es gibt ja auch immer ausreichend viele Gründe.

Mein heutiger Grund ist der beste aller Gründe, ich bin nämlich aus *allen* Gründen wütend. Insbesondere bin ich aber schon wieder wütend, weil ich diverse Sorten an Gefühlen nicht gerne mag, und dabei ist allen voran das Gefühl, dass ich mich nicht ausreichend um das Wohlsein und die Unversehrtheit meines Kindes kümmern kann. Niemals würde ich zu einem Elternabend in der Schule gehen, aber wenn Tod eine mögliche Folge ist, Sie wissen inzwischen Bescheid.

Mein Kind geht auf die erste Schule am Platz, und da sind viele Ärzte und schlaue und aufgeklärte Menschen in der Elternschaft, und dennoch schützt das nun gar nicht davor, dass es Kinder in Onas Klasse gibt, die sich der COVID-Testung verweigern. Einfach verweigern. Ich stehe grundsätzlich nicht unter Verdacht, Überregularisierung und Beschneidung der Freiheitsrechte besonders zu fördern, aber man muss doch priorisieren. Und wenn schon nicht priorisiert wird, muss man sich doch immerhin darauf verlassen können, dass obschon die Mehrheit der deutschen Politiker leider ihren Job nicht mehr in meinem Sinne erledigt, dass sie immerhin sich an die Abmachung halten, dass wir die Kinder in die Schule schicken müssen, damit Herr Laschet Kanzler werden kann, im Gegenzug versucht die Schule, das Risiko, dem ich mein Kind aussetzen soll, so gering wie möglich zu halten.

Wir können jetzt darüber diskutieren, warum Schulen keine Luftfilter haben. Oder sie haben Luftfilter, da der Vergabeprozess allerdings komisch war, sind sie nicht angeschlossen. Gibt es hier auch. Meistens gibt es aber nix. Desinfektionsmittel gibt es oder gibt es nicht, das ist aber auch nicht so mein Schmerz, mein Schmerz ist Atemluft. Ja, die Kinder tragen medizinische Masken, mein Kind trägt FFP2, da ich denke, das wäre im Verlauf von sechs Stunden insgesamt sinnvoller. Ich zahle die auch sehr gerne. Und dann gibt es ja das, was der ganz große Gamechanger ist. Es gibt jetzt eine Teststrategie. Die besagt, dass alle Kinder zweimal in der Woche getestet werden. Nun gibt es keine Tests, daher war das erstmal wieder abgesagt, am Freitag (!!!!!!!) wurde Jonathans Klasse jedoch einmal durchgetestet. Also die Kinder, deren Eltern der Testung nicht widersprochen haben. Die gibt es allerdings, auch in unserer Klasse.

Ich formuliere es mal sehr abgemildert.

Test am Arsch.

Wir haben hier ja eine Wette laufen. Sie sagen, dass Sie auf mein Kind aufpassen und dafür sorgen, dass das alles gut ausgeht, ich sage, dass ich brav bin und mein Kind hinschicke. Und dass ich das mitgehe, geht schon sehr gegen meine Natur. Ich passe mich selten an, insbesondere dann nicht, wenn ich denke, eine Entscheidung sei falsch. Die Schulen in dem Stadium ohne Tests und Luftfilter zu öffnen, finde ich falsch, aber auch ich wäge ab, und ich entscheide, dass es für uns besser ist, sich gegen alle Überzeugung jetzt nicht querzustellen. Ich muss da ja nicht hingehen jeden Tag. Dann will ich aber verdammt noch mal auch, dass bestmöglich auf mein Kind aufgepasst wird. Tod ist theoretisch eine mögliche Folge. Ob das für ihn selber oder für mich oder für den Vater so ist, ist ja nebensächlich. Es wäre verhinderbar. Und auch ohne Tod sind Folgeschäden nichts, wofür ich mich interessiere. Onas Achillesferse ist seine Niere, auf die passen wir auf, wie auf ein rohes Ei. Ich neige nicht zum Schwarzmalen, aber bislang habe ich die Jahre mit Kind heil umgekriegt, und das soll auch so bleiben.

Daher muss ich sowieso schon eine Faust in der Tasche machen, dass die Schulen wieder geöffnet sind. Dass ich dann keine Wahl habe, ob ich ihn schicke oder nicht, finde ich unter den gegebenen Umständen (Pandemie, exponentielles Wachstum, Mutationen, ungeeignete Politiker) schon schlimm genug. Aber dann.

Dann sind die Tests halt freiwillig. Wenn man das nicht möchte, muss man sein Kind nicht testen lassen. Und manche möchten das nicht. Ich sagte es eben schon. Weder habe ich einen pädagogischen Auftrag, noch habe ich bei aller Dünnhäutigkeit noch Ressourcen, mich darüber zu zerreiben, warum Eltern so entscheiden. Weil sie Anwälte sind und Termine haben und das Kind nicht abholen wollen, sollte es positiv sein. Weil sie den Mallorca Urlaub bereits gebucht haben und das nicht riskieren wollen. Weil sie grundsätzlich denken, dass Corona Quatsch ist. Für mich unterm Strich alles vollkommen egal, das führt nämlich vermutlich alles zum gleichen Ergebnis: Man verhält sich anders als Menschen, mit denen ich momentan länger in einem Raum sein wollen würde. Und mehr muss ich nicht wissen.

Zudem dreht die Möglichkeit, dass einzelne Kinder nicht getestet werden, das Spiel komplett um. Aus "Wir haben alles Mögliche getan, um eine Ansteckung zu verhindern" wird dann, wenn von 28 Kindern nur 23 getestet werden, "wir rapportieren regelmäßig, ob die Kinder sich infiziert haben". Dies ist ein VOLLKOMMEN anderes Spiel. Das möchte ich ungern mitspielen.

Montag morgens auf dem Schulhof alle testen und die Positiven aussortieren, bedeutet, dass ich mich darauf verlassen kann, dass mein Kind ohne potenzielle Virenschleudern in einem Raum sitzt.* Dass ich mich darauf verlassen kann, dass alle Kinder im Klassenzimmer negativ sind.

Montags morgens auf dem Schulhof 20 testen und dann mit 8 ungetesteten Kindern in den Raum setzen, ist ein anderes System. Dann ist der Test nur noch eine Belegebene, dann werde ich darüber informiert, wenn er sich angesteckt hat. Und da muss ich dann Herrn Lauterbach mal wieder zitieren: Ein Test ist keine Prophylaxe.

Ein Test ist die Belegebene, der prophylaktisch wirken kann, wenn alle getestet sind und dadurch das Risiko eingedämmt wird.

Sonst ist das alles Kacke.

Ich halte Sie auf dem Laufenden. Um Ostern gibt es ja diese tolle Ruhezeit, da werde ich dann überlegt haben, wie ich damit verfahre.



*Und nein, wir führen jetzt keine Diskussion über Falschnegative, ich habe für mich beschlossen, dass mein Leben besser ist, wenn ich mich auf die Systematik verlasse.

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