Donnerstag, 15. April 2021
Geschlossener Brief
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet, sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer,

Sie wollen mich also erpressen? Wirklich? Fantastisch. Ich spiele gern mit.

Ich nenne Ihnen kurz meine Spielregeln: Sie bauen sich ein schönes System, das einerseits grundverkehrt und brandgefährlich ist, das es Ihnen allerdings ermöglicht, sich mit den Wirtschaftsbossen weiterhin prima zu verstehen (Schulen auf, koste es, was es wolle), andererseits durch einen nur mittelgut funktionierenden "Schutzmechanismus" die medizinische mit der sozialen "Verantwortung" so zu verbinden, dass die Eltern, die nicht gut zurecht kommen, wenn die Kinder nicht in der Schule sind (und für die habe ich großes Verständnis) sich das alles hervorragend schönreden können. Wird ja getestet, die Kinder sind sicher.

Als Gegenleistung erwarte ich von Ihnen ein Schlupfloch, durch das ich meinen ureigensten Job, auf mein Kind aufpassen und es nicht in riskante Situationen bringen, machen kann. Denn natürlich können wir das jetzt nicht so machen, dass Sie sagen, die Kinder müssen bis zu einer Inzidenz von 4000 in die Schule, und ich mach das dann. Das sehe ich nicht passieren. Der kleine Umweg über die Testpflicht kam mir zugegebenermaßen sehr gelegen. Ich hätte ja auch lügen können, oder ein Attest besorgen, mein Kind hat eine kleine Schwachstelle, aber nein. So ist es viel besser. Ich halte mein Kind nämlich gar nicht zuhause wegen seiner Niere, so ein Quatsch, sondern weil es vollkommener Unsinn ist, Kinder bis zu einer Inzidenz von 200 in Präsenz zu unterrichten. Das müssen wir schon gut unterscheiden.

Naja, liebe Frau Gebauer, wenn ich Sie in ihrer Pressekonferenz und das Schreiben des Rektors unserer Schule richtig verstanden habe, und ja, hab ich schon, wird mein Kind dann jetzt zur Strafe nicht mehr beschult. Richtig? Weil - so antworten Sie auf die Frage der Journalisten - das theoretisch natürlich möglich sei, praktisch gebe es aber keinen Anspruch darauf. Das ist auch die Auslegung der Schule: Quarantäne wegen COVID -> Distanzunterricht, Absenz wegen Testverweigerung -> Ausschluss vom Unterricht. Das ist ein grobes Foul.

Ich möchte kurz in ein anderes Genre wechseln. Sie sind erschreckend arme Würstchen. Wenn Sie auch nur eine Sekunde lang denken, ich würde mich dann jetzt anders entscheiden, haben Sie sich aber geschnitten. Dann wird mein Kind halt nicht beschult. Das ist Ihre Entscheidung, nicht meine. Und da ich ja Mathe kann, wissen wir, dass wir in Düsseldorf auch maximal von zwei Wochen sprechen. Aber.

Diese Erpressung ist hinterhältig und verachtenswert. Alle Kinder, denen das komplett Alleinelernen schwerfällt, werden so entweder abgehängt, leiden und sind verzweifelt und massiv überfordert, oder die Eltern knicken ein und schicken wider besseren Wissens ihre Kinder doch, weil sie ohne Beschulung Angst vor Nichtversetzung haben. Das haben Sie schlau gemacht. Wissen Sie, wer genau so entscheidet? Tesla, wenn sie nur eine Batterie bauen und die in der Hälfte der Fälle dann absichtlich drosseln.

Sie KÖNNEN Distanzunterricht anbieten, das tun die Schulen nämlich parallel auch für die Quarantäne Kinder. Dass Sie es in 13 Monaten nicht geschafft haben, ein Konzept für diesen Fall zu entwerfen, das etwas weiter über den Tellerrand hinausdenkt als "Bio in der 6b macht Herr Müller", das ist tragisch. Die Aufgabe ist für Fachleute erstaunlich niederkomplex. Dass Sie sich entscheiden, diese Konzeptlücke dadurch zu schließen, dass sie all die Eltern, die das tun wollen, was Christian Drosten, Sandra Ciesek, Karl Lauterbach und nicht zuletzt Lothar Wieler lautstark fordern, in die Situation bringen, dass sie sich entscheiden müssen, ob sie lieber die Gesundheit ihrer Kinder gefährden oder die Chance, schulisch den Anschluss zu halten, macht Sie zu verachtenswerten, kleinen Menschen.

Aber Sie wollen das so machen? Gut. Wir machen das so. Mein Kind bleibt zuhause, ich erlaube keine Tests. Dann halt kein Unterricht. So. Sie sind am Zug.

Und wissen Sie, was ich mir wünschen würde? Auch wenn ich weiß, dass aus vielen verschiedenen Gründen das so nicht sein wird? Ich würde mir und vor allem Ihnen wünschen, dass all die Eltern, die Präsenz bei Inzidenz 199 Mist finden, sich so entscheiden wie ich jetzt. Dann wäre es nämlich auch schon wieder ganz einfach. Wenn die Hälfte der Kinder nicht beschult wird, hahahahaha, ich denke es gerade zuende, möchte aber nicht spoilern. Doch. Ein bisschen spoilere ich doch: Es würde genau zwei Wochen dauern, bis Sie zurückrudern müssten und es natürlich sehr wohl ein Hybridmodell geben würde, selbst, wenn es ja scheinbar dafür kein Konzept gibt. Darum wünsche ich Ihnen das. Damit Sie die Quittung dafür kriegen, dass Sie Eltern erpressen und zu zwingen versuchen, ihre Kinder einer Situation auszusetzen, von der jeder laut denkende Mediziner außer Habdennamenvergessen sagt, sie sei extrem gefährlich.

Und die zweite Hälfte meines Wunsches besprechen wir bei der nächsten Wahl.

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Nachtrag. Vielleicht erinnern Sie sich, dass ich mich ja vor ziemlich genau einem Jahr schon einmal sehr echauffiert habe. Nur noch mal kurz zur Auffrischung des Gedächtnisses.

Just saying.

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Mittwoch, 14. April 2021
Blogpost interruptus
Eigentlich hatte ich einen gemeinschaftlichen Eintrag mit Frau N angekündigt, Frau N möchte sich aber von mir nichts sagen lassen. Ich bin da einfach auch immer zu weich. Ich hatte heute nämlich ein Besorgungserlebnis, das mich so wütend gemacht hat, dass es anschließend im virtuellen Büro ein paar Wuttränen gab (gut, ich bin auch etwas angespannt derzeit), Frau N hatte aber eigentlich das gleiche Besorgungserlebnis heute, und ihres war ganz hervorragend, ein reiner Quell der Freude. Mit ein bisschen Glück erzählt sie ihr Erlebnis heute auch noch, sonst lasse ich Sie einfach mit meinem doofen zurück. Ist ja auch schon egal.


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Jetzt habe ich mich über Stunden bereits so aufgeregt, dass ich all mein Pulver verschossen habe. Eigentlich wollte ich einen fulminanten Apokalypseblogbeitrag schreiben, aber hey, wenn jetzt demnächst Apokalypse ist, habe ich ja besseres zu tun. Ich werde jetzt einen leichten Unterhaltungsfilm gucken, ich übe ja gerade Fernsehen (Pandemiemonat 13).

Auslöser war, dass ich heute zu einer normalen Uhrzeit draußen war. In den letzten Monaten habe ich Einkäufe fast ausschließlich um 21 Uhr erledigt, also wenn normale Menschen brav zuhause sind und darum von mir Abstand halten. Heute musste ich allerdings in eine Postfiliale und verband das dann hocheffizient mit einem kurzen Besuch in dem gegenüber im Einkaufszentrum befindlichen Supermarkt. Schon auf dem Weg zur Post merkte ich: DIE SIND JA ALLE IRRE!

Pandemie scheint in diesem Ortsteil vorbei zu sein. Auf der Straße trug niemand eine Maske, okay, das kann ich ertragen. Dass die gesamten Bürgersteige rund ums Einkaufszentrum voll waren von größeren Seniorengruppen und Jugendlichen, okay, finde ich schlecht, kann ich aber ja im größeren Bogen dran vorbei gehen. Die Post war brechend voll, also stand ich einen Moment ratlos draußen vor der Tür, verstand aber schnell, dass eine Grundsatzentscheidung her muss, da einfach alle an mir vorbeigehen, rein in die Post. Ich ging also auch, stand mit etwa 30 Leuten in der wirklich kleinen Dorfpost, zwei Parteien waren in größeren Gruppen angereist, um gemeinsam ein Paket abzugeben, und sie hatten viel Spaß, unterhielten sich laut, lachten aus vollem Herzen und versprühten Lebensfreude. Und Aerosol, ist das naheliegende Ende dieses Satzes. Die Postmenschen hinter den beiden Schaltern trugen beide Nasenpimmel. Das Bezahlen ging kontaktlos. Immerhin.

Als ich sehr aggressiv grundgestimmt aus der Post wieder raus kam, stellte ich fest, dass ähnlich viele Senioren- und Jugendlichengruppen IN dem Einkaufscenter standen wie davor. Alle ohne Maske. Ich hab das verstanden. Was früher "wir treffen uns zum Kaffee" war, ist heute "wir stehen lachend vorm Rewe rum". Nur dass ein geschlossener Innenraum meines Erachtens auch dann ein geschlossener Innenraum ist, wenn man nicht direkt dort sein Klopapier kaufen kann, sondern er nur Zugang zu anderen Geschäften bietet. Der Rewe war okay, der ist riesengroß, man kann sich aus dem Weg gehen. An der Kasse hielt ich wie üblich den Einkaufswagen hinter statt vor mir, um sicherstellen zu können, dass Leute wegbleiben. Das führte bei dem mittelalten Ehepaar hinter mir zu einem Wutanfall, den ich komplett ignorierte, und da ich mich nicht umdrehte und auch nicht auf den alten Mann vor mir aufrutschte, begann die Frau, ihre Waren über meinen Wagen hinweg auf das Band zu werfen. Da ich mir vorgenommen hatte, ihr keine Beachtung zu schenken, konnte ich mich leider auch nicht umdrehen und gucken, was sie da warf. Ich fand sie sehr verrückt.

Lange Rede, kurzer Sinn. Ich gehe nicht mehr zu normalen Zeiten raus. Das macht ja gar keinen Sinn. Da sind nur Bekloppte unterwegs, und Pandemie ist scheinbar vorbei. So wird das nix.

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Donnerstag, 8. April 2021
Helter Skelter
Wir haben da ja mal so einen Podcast gemacht, und an einer Stelle verriet Frau N das Geheimnis einer glücklichen Ehe: eine aktive Entscheidung. Meine Erfahrung ist, dass man sich auch aktiv dagegen entscheiden kann, aber das System ist ja das Gleiche und bildet mich insgesamt sehr ab: Eine Entscheidung muss her, und danach richtet man sein Leben dann neu aus.

Ich entscheide hiermit feierlich: Ich bin jetzt wieder gut gelaunt. Die Pandemie wird ja jetzt weggeimpft, die politische Klasse zerlegt sich ganz ohne weiteres Zutun einfach selbst, wir müssen nur zuschauen, ich habe an Baustellen geräumt, die lange abgesperrt waren und antizipiere Reparatur an der Straßenoberfläche, ich wünsche mir so unfassbar doll eine Impfung, habe aber mal kurz in Relation gesetzt, wie lange es noch dauern wird, bis ich vermutlich dran sein werde und wie lange ich schon wieder gelockdownt bin, was sich ja auch gar nicht anfühlt wie ein halbes Jahr, sondern eher wie vier Wochen, und dann muss ich das jetzt halt einfach nur eben noch ein bisschen aushalten, und dann wird ja die Welt signifikant besser, ich werde Schlingensief und Kentridge sehen, ein neues Auto mit perfektem Blinkgeräusch fahren, die Menschen, die mir fehlen, treffen mit Anfassen, ohne dass am Ende einer stirbt, es wird draußen nicht schneien, das Semester wird vorbei sein, meine Haare werden lang, seidig und grau sein, und insgesamt wird die Welt sehr gut werden. Ich werde jeden Tag ein Quell der Freude für mich und meine Umwelt sein, lachen, draußen rumlaufen und alles einfach nur noch schön finden. Leider wird vermutlich der Kontakt zu Frau N abbrechen müssen, ich denke nicht, dass sie mit meinem lebensbejahenden neuen Ich gut zurechtkommen wird. Aber man kann natürlich nicht alles haben. Vielleicht gewöhnt sie sich aber auch.

So, das ist der Plan. Und wenn jetzt auch nur eine:r hier zu Wort meldet mit "alles bleibt schlecht", dann ist hier RICHTIG was los.

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