Freitag, 28. Januar 2022
Cake
Im Rahmen meiner Metamorphose hin zu diesem total neuen Menschen bin ich seit gestern abend mindestens zwei Schritte weiter. Der erste Schritt wurde neulich eingeleitet, als ich meiner im Oktober eingeleiteten und seitdem konsequenten Gewohnheit, immer rot lackierte Fingernägel zu tragen, korrigierend eingreifen musste, hin und wieder muss man ja erneuern, und dann saß ich da an der Küchentheke mit einer eigens zum Nägellackieren gebauten Lichtimprovisation, ich kann nämlich so wie ein Neurochirurg ausschließlich meine Nägel überhaupt noch sehen, wenn so eine Baustellen-Starklichtlampe daneben steht und alles erleuchtet. Sonst erkenne ich seit kurzem ja nicht mal mehr, wo die Hand überhaupt ist. Zum Glück habe ich ein gutes Körpergefühl und ein Verständnis von Abständen, aber während ich so lackierte, verspürte ich den Wunsch, beim nächsten Lackieren eine Brille zu besitzen, mit der ich meine Fingernägel sehen kann.

Die kam also heute, sehr gut, morgen muss ich Fingernägel lackieren, und dann war ich kurz sehr enttäuscht, da sie dunkelgrün und nicht schwarz ist, so ein dickes Hornding, extra aus Schweden hierhingebracht, das sah ich aber auch erst, als ich die DHL Ankündigung erhielt, sonst hätte ich vielleicht eine regionalere Variante gewählt, aber ich setzte sie auf, sah auf mein Handy, wie so oft im Leben, und dachte: Holy Shit. SO geht gucken? Wahnsinn. Grün hin oder her, die Brille bleibt. Ich habe dann etwas gegessen. Mit Lesebrille. Das war viel besser. Und sie sitzt hervorragend, ich bin begeistert. Weniger begeistert war Ona, der musste leider tatsächlich ein sehr unelegantes Geräusch machen, als er mich sah, und ich musste ihm versprechen, dass ich die niemals draußen tragen werde. Da ich nach einem Meter ja gar nichts mehr sehen kann, konnte ich das hervorragend versprechen.

Das zweite Gebiet, in dem die Metamorphose eingeleitet ist, wird Sie überraschen. Ich werde jetzt Hobbykonditorin. Für eine Frau, die zwei Jahre keinen Zucker gegessen hat (seit Weihnachten bin ich leider wieder leicht gewöhnt, was ärgerlich ist, weil anfangs alles ganz grauenhaft schmeckte, aber wie beim Mit-dem-Rauchen-wieder-Anfangen muss man sich einfach durchbeißen, und dann kann man ohne Probleme wieder alten Gewohnheiten frönen. Schreibt man frönen so? Ich schreibe Gral ja auch immer erst mal falsch, es ist nicht einfach, das mit dem h.

Zudem hasse ich ja Backen. Ich hasse Backen. Jetzt ist es raus. Die allerschlimmste Periode meines Lebens war das Jahr, als Jonathan 36 Muffins für den Schulgeburtstag (Mittwoch), 36 Muffins für den OGS-Geburtstag (Freitag), eine Torte und dann noch das komplette Programm für den Kindergeburtstag (Samstag) UND das komplette Programm für den Tantengeburtstag (Sonntag) brauchte. Nie war ich dem Tod näher. Backen holt mich nicht ab. Man muss laute Sachen machen, ich hasse laute Sachen, ich bohre nicht und ich möchte auch nichts mit dem Handrührgerät machen, ich mache lieber leise Sachen. Und dann dauert alles lange, und dann muss man alles backen, das ist allerdings okay, weil danach alles gut riecht, und dann muss im schlimmsten Fall noch alles transportiert werden und es sieht kacke aus. Der Übergang aufs Gymnasium war aus so vielen Gründen eine immense Erleichterung. Als ich verstand, dass dort nie Geburtstage gefeiert werden, war alles gut. (Ich glaube übrigens auch, dass ich heute an dem Punkt wäre, einfach 36 Muffins beim Bäcker zu bestellen, ich meine, Herr H. hätte das auch sogar schon mal so gemacht. In jüngeren Jahren war man allerdings schon gebrandmarkt, wenn man irgendwas mit Weißmehl mit in die Kita brachte, das kam einem Anschlag auf die gesamte Gruppe gleich.)

Die Torte zu Onas Geburtstag begleitet uns seit 2016. Damals arbeitete ich für eins der führenden Unternehmen wenn es um Fertigdingens gibt, und im Rahmen meiner Aufgabe musste ich wochenlang auf Tortenrezepte starren. Wenn man nun wochenlang auf Tortenrezepte starrt, dann hat man irgendwann das Gefühl, jede*r, wirklich jede*r kann im Handumdrehen eine 12stöckige Hochzeitstorte mal eben so machen. Und dann hatte das Kind Geburtstag, und ich machte eine Torte. Die Tortendeko, die der lokale Supermarkt so bietet, war mehr als dürftig, aber hey, Smileys auf einer Marzipandecke geht ja immer. Ona war begeistert und wünschte sich, dass ich ihm jedes Jahr zum Geburtstag eine Torte backe. Eine toll verzierte Buttercremetorte mit Marzipandecke. Und ich habe geliefert, sie sah in jedem einzelnen Anlauf mittelgut aus, aber so ein Kind ist ja schon begeistert, wenn die Mutter, die nicht backt, irgendwo sehr viel Glitzerpuder draufmacht. Und jedes Jahr dachte ich mir: Nächstes Jahr recherchiere ich vorher, besorge gute Deko und probiere mal ein neues Rezept.

Dieses Jahr ist dieses Jahr. Und der Weg war, ja, eine Achterbahn. Begonnen mit der Suchmaschinenanfrage, ob man bereits in Lagen geschnittene Biskuitböden bestellen kann (daran scheiterte schon immer alles: Ich habe motorische Fähigkeiten aber leider keine Geduld, Herr H. hat die Geduld und die Ruhe eines Engels, ist aber der totale Körperklaus, und zusammen, wenn wir all unsere Fähigkeiten poolen, kommt immer noch kein in 4 Scheiben geschnittener Biskuitboden dabei raus, schade.) Also suche ich nach einer guten Lösung, aufgeschnitten kaufen, dann las ich 4000 Forenantworten, die alle lauteten "aber warum denn, selber backen ist doch kein Problem", dann fragte ich Twitter und Zack, Problem gelöst. Dann suchte ich Tortendeko und landete in einem großen Shop, der auch wunderschöne Torten hatte, sogar sehr erschwinglich, und dann packte mich dieser Ehrgeiz, den ich immer entwickele, wenn jemand sagt "das kannst du sowieso nicht" und jetzt habe ich dänisches Marzipan in zig schönen Farben gekauft, ein total tolles Nudelholz, ganz viele rosa Schmetterlinge aus Esspapier (am 27.2. wird der 60. Geburtstag meiner Schwester gemeinsam mit dem 13. Geburtstag Onas in meinem Wohnzimmer begangen, und sie bestellt das Catering, weil wir ja nicht draußen essen, und ich muss Kaffee/Kuchen organisieren, und wenn Ona eine tolle Torte kriegt, kriegt meine Schwester natürlich auch eine tolle Torte, und da seit dem Tod ihres früheren Mannes der Schmetterling ihr Karmatier ist oder so, kriegt sie eine pinke Schmetterlingtorte), eine sehr schöne ganz hohe Springform für faule Leute, diverse Schaber und Paletten und all die Dinge, für die ich gestern vor den 40 Torten Videos gar kein Vokabular hatte, und natürlich eine Küchenmaschine, die ich seit über 10 Jahren gerne hätte, diese eine, die so hübsch ist und nix kann außer rühren, und jetzt ist alles gekauft, und beim Rewe gibt es kein Krokant. Morgen kommt eine LKW Ladung Tortenzeugs, ich wollte am Sonntag schon mal probebacken, damit ich dann, wenn es drauf ankommt, auch wirklich backen kann, und es gibt kein Krokant.

Also ich hab alles gegeben.

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Donnerstag, 27. Januar 2022
The Wall
Ich habe mein Kind zu einem lupenreinen Demokraten erzogen. Nicht nur, Sie werden sich erinnern, wurde ich ich der Grundschule zum Gespräch gebeten, weil mein Kind das Wissen aus den Känguru Chroniken sofort in eine basisdemokratische Aktion umsetzen wollte, nein. Heute ist er glücklicherweise alt genug, dass er selbst zu dem Gespräch gehen muss und mir nur anschließend berichtet, was das Ergebnis ist. Schulverweis, Tadel, Klassenkonferenz, alles ist immer möglich.

Heute war ein solches Gespräch, ich wurde gestern am Rande darüber informiert, dass das geführt werden wird und daher nicht die übliche Heimkehrzeit gehalten werden kann, und dann war ich, naja, eigentlich entspannter, als ich gedacht hätte, aber auch nur nach außen hin, nach innen war ich unentspannt. Ich formuliere es mal so. In der Umkleidekabine der Turnhalle stand an der Wand ein ausländerfeindlicher, rassistischer, menschenfeindlicher Spruch. Lupenreiner Demokrat, der Herzbruch junior ist, von dem ich übrigens nur hoffen kann, dass er mit seinem Regelungsanspruch mal Jurist oder Polizist wird, wollte dem etwas entgegensetzen und schrieb mit einem Edding einen sehr unflätigen Spruch darunter. Aus Gründen des Datenschutzes oder so sage ich mal: im Stil von "Das ist doof", vielleicht etwas derber formuliert.

Und wie das so ist, wenn man aktiv wird, aber vielleicht die Mittel noch nicht vollumfänglich überblicken kann, hatten die Lehrer*innen just an dem Tag damit angefangen, die Wand nach jeder Stunde zu fotografieren, ich kürze ab: Er wurde erwischt.

Nun ist es ja so. Man muss ja nicht jeden Mist mitmachen. Als Mutter eines Sohnes lerne ich, die ich ja quasi meine gesamte Pubertät nur Foucault gelesen hatte (Stimme aus dem Off: Wie sagte die Sandkastenfreundin neulich zu mir? "Wenn der in der Pubertät wird wie du, kriegst du die gerechte Strafe") so langsam, dass Testosteron für niemanden Gutes tut, und dass ich einfach eine ganze Reihe von Dingen nicht gut nachvollziehen kann, weil ich mich da gar nicht reindenken kann. Und wenn man Mist macht, dann ist das öffentliche Tadeln menschenverachtender Ansichten ja sicherlich die Sorte Mist, die man am allerbesten noch aushalten kann. Aber: Die Mutter in mir wünschte sich viel mehr, dass man alternativ a) nix drunterschreibt oder b) etwas im Sinne von "ich teile diese menschenverachtende Haltung nicht im Geringsten und möchte mich distanzieren". Das würde auch viel besser in diese Familie passen, der Vater des Kindes ist ja der Mann, der kurz nach der Geburt an Altweiber mit mir und dem Kinderwagen in der U-Bahn stand, wo ein sehr betrunkener kleiner Mann versuchte, auf ihn einzuhauen, woraufhin er ihn einfach mit den langen Armen von sich weg hielt und sagte: "Ich habe kein Interesse geäußert, mich mit Ihnen zu unterhalten." Solche Leute sind wir.

Naja. Lange Rede, kurzer Sinn, so wurde Herzbruch junior heute also von seiner unfassbar pädagogikbegabten Klassenlehrerin auf den Pott gesetzt, und zwar mit dem Satz: "Einer von drei Punkten richtig."

Falsch waren, und gut, dass sie das sagte, dann musste ich das nicht noch mal sagen: Sehr schlechter schriftlicher Ausdruck, das kann er klüger formulieren, und Sachbeschädigung, da muss er wohl leider mit Streichen helfen. Und damn. Der wird ein großartiger Erwachsener. Aber das sage ich nur Ihnen.

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Mittwoch, 26. Januar 2022
Story of my life
Ein wiederkehrendes Element in meinem Leben ist ja, dass ich lange Zeit entweder hinter etwas her hechele, um es dann zu erreichen und festzustellen: Oh, doof (Jobs, Männer), oder dass ich monatelang in meinem Kopf irgendetwas plane oder es im Internet recherchiere, um es dann bis ins letzte Detail durchgedacht umzusetzen, dann eine Woche etwa total glücklich zu sein und dann geht alles kaputt oder ist schlecht. Warum das so ist, ist mir nicht klar. Vielleicht gibt es ja doch einen Gott und er ist mit meiner Kirchenperformance unzufrieden.

Neulich kaufte ich ja ein neues Wohnzimmer, Sie erinnern sich, es kam zur Sprache. Das hatte ich jahrelang durchdacht und geplant, aus verschiedenen Gründen aber nie exekutiert. Dann war alles endlich recherchiert, gefunden, gemessen, bestellt und aufgebaut, und zu guter Letzt wurde ich sogar ein Mensch, der einen Fernseher hat, und für vier Wochen konnte ich mir ein Leben ohne all dies nicht mehr vorstellen. Wie konnte ich jemals ein Mensch ohne Fernseher sein? Nun bin ich natürlich immer noch ein Mensch ohne Fernsehanschluss, das muss sich aber auch nicht ändern, da ich ausschließlich die ARD und ZDF Mediatheken nutze, und ein bisschen YouTube und ein bisschen Netflix, das aber sogar eher im Bett auf dem IPad, aber der Gewöhnungseffekt, wenn man einmal Karl Lauterbach gestochen scharf auf 65 Zoll gesehen hat, ist immens.

Am Wochenende hatte ich Besuch aus - sagen wir mal - der erweiterten Unterhaltungsbranche. Und zack, guckt man Dschungelcamp, es gibt da eine App, dann kann man für 5 Euro im Monat Dschungelcamp gucken. Das Kind war begeistert, es guckt sonst Bundespressekonferenz oder Tagesthemen oder, an Sonn- und Feiertagen, Harry Potter. Die App funktionierte aber nicht gut, alle paar Sekunden erschien ein Lügenbalken mitten auf dem Bild, dass die Internetverbindung verloren sei, sie war aber gar nicht verloren, um den Lügenbalken zu entfernen musste aber jedes Mal der Fernseher ausgemacht werden. Neustart Router, Neustart Fernseher, gleiches Problem. Nachdem der Besuch am Montag abgereist war, wurde die schlechte Lügenapp wieder ausrangiert und ich guckte eine politische Talkshow in einer der öffentlich rechtlichen Mediatheken. Zack. Lügenbalken. Dann guckte ich eine politische Talkshow in der anderen öffentlich rechtlichen Mediathek. Zack. Lügenbalken. Neustart, Lügenbalken. Ich war erschüttert. Andere Apps funktionierten noch, vom Laptop auf den Fernseher spiegeln auch, das schloss aber gleichzeitiges Gucken und Arbeiten aus. Also recherchierte ich, stellte dann fest, dass es wohl mit einem Update der Fernsehertechnik zu tun hat, dass ganz viele Menschen ARD, ZDF und RTL+ nicht mehr über die Apps gucken können und dass man nun hoffe, dass der Hersteller das schnell reparierte, und dann war ich sehr traurig, weil einfach für ein paar Wochen alles sehr sehr schön war, und jetzt hab ich da so ein Riesentrumm hängen und kann damit höchstens die Biene Maja gucken.

Das zweite Feld, das ich von langer Hand geplant und neugestaltet hatte, war ja meine Bettwäschesituation. Auch da: Lange überlegt, recherchiert, dann einem Hinweis gefolgt, schockverliebt, viele hübsche gemusterte Dinge gekauft und dabei gegen ein persönliches Lebensmotto verstoßen. Meine Eltern pflegten zu sagen: Wer billig kauft, kauft oft, und seit ich in der Situation bin, das entscheiden zu können, achte ich sehr auf Qualität und bin damit hervorragend zufrieden. Ich bin ja insgesamt nicht sehr offen für Abwechslung, also möchte ich nicht viel oder oft kaufen, dafür aber gerne so, dass ich vollumfänglich zufrieden bin. Bei der Bettwäsche war ich kurz abgelenkt von den hübschen Mustern und den guten Marketingfotos und kaufte günstig, dafür mehr, und soeben habe ich mein Bettlaken gewechselt, weil Schnitt oder Gummizug, ich weiß es nicht genau, von dem wirklich atemberaubend hübschen günstigen Laken so schlecht sind, dass ich jeden Morgen aufwache in einer Situation, die im besten Fall an ein Foto von Anne Geddes erinnert. Die schlafende Frau in einer Erbsenschote. Jede Nacht lösen sich die Verbindungen von Ecken und Laken, und dann rollt sich alles um mich rum, und morgens wache ich auf und das Bettlaken hat exakt die Form von mir (schlafend) eingenommen. Das macht mich äußerst unzufrieden. Also habe ich gerade ein einfarbiges hellblaues Laken aufgezogen, morgen wird alles da sein, wo es jetzt in diesem Moment ist, ich werde die beiden gemusterten Bettlaken vermutlich ein Jahr in der Bettlakenschublade liegen haben (weil: Sie sind ja so schön), dann werde ich sie irgendwo im Wohnzimmerregal hinter eine Schranktür legen (weil: Ich könnte ja Kissenbezüge daraus nähen), und nach einem weiteren Jahr werde ich entweder dieses Fach im Schrank für verloren erklären, oder ich werde sie zum Kaufhaus der Diakonie bringen, wobei sich das falsch anfühlt, weil sich dann andere Menschen immer ärgern müssten. Und das ist ja auch nicht in Ordnung. Andererseits: Ich hab ja noch zwei Jahre Zeit, einen Plan zu machen.

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