Sonntag, 23. August 2020
On the beach (schlimmes Lied, passt aber)
Auf manche Sätze ist man emotional nicht vorbereitet. Zum Beispiel, wenn die Bekannte aus dem Internet, der man vor nicht allzu langer Zeit noch eine Ode gewidmet hatte, plötzlich unvermittelt sagt "vielleicht haben wir uns auseinandergelebt", nur weil man sich vielleicht ein wenig kritisch zu der Pandemiefrisur geäußert hat und die Antwort auf die Frage, ob man die graue Strickjacke wegwerfen soll, ein bisschen sehr schnell kam (ja, aber das hatte ganz uneitle Gründe. Und kennen Sie diesen Sketch: "Mit wem würden Sie lieber schlafen? A: ihrer Frau oder B" - "B".) Dann sprach ich noch eine Produktempfehlung aus, die vehement, wirklich vehement abgekanzelt wurde, und dann war der Tag im Prinzip gelaufen.

Heute morgen habe ich für einen kurzen Moment so getan, als würde ich auch To Do Listen machen. Mache ich nur in absoluten Ausnahmefällen, und auch nur dann, wenn das vorgegebene Timing es nicht mehr ermöglicht, dass ich nachdenke. Ich habe mir vor einem Jahr, da habe ich mich beruflich von einer Position mit Assistenz wegverändert, ein Filofax gekauft, welches jetzt in erster Linie die Funktion erfüllt, dass Menschen erstaunt gucken, wenn ich es raushole. Es ist hellblau und wunderschön, ganz ordentlich, ohne Fingerflecken oder durcheinandergeratene Einlagen. Benutzen würde ich das nicht, wenngleich es mir sehr praktisch vorkommt, ich fürchte nur, dass ich zu alt bin, um mich hin zu einem Menschen mit einem sinnvoll geführten Filofax zu entwickeln. Ich blicke neidisch auf Menschen, die ganz zerfledderte Terminer mit sich rumtragen, aus denen am besten noch verschiedenfarbige Post Its oben rausgucken. Ich bin wirklich gut in Ordnungssysteme kaufen, aber ich habe noch nie eins benutzt.

Heute morgen schrieb ich auf meine To Do Liste, dass meine Tagesordnungspunkte Duschen, Sex, Saufen und Rauchen seien, und mal davon abgesehen, dass ich ja kein Erotikblogger bin und auch keiner werden möchte, hoffe ich ja sehr darauf, dass das ein willkürlicher Sonntag in meinem Leben Ü70 ist. Dann muss ich nämlich a) nix mehr machen (wenn jetzt die aktuelle Situation nicht noch weiter aus dem Ruder läuft, sonst wird es das Konzept "Rente" eh nicht mehr geben) und b) mich auch nicht mehr fit halten für irgendwelche Nachkommen. Seit genau 30 Monaten rauche ich nicht mehr, aber der Punkt, an dem ich mich als Nichtraucher bezeichnen würde, ist noch nicht gekommen. Ich halte natürlich erstmal durch, keine Frage, zum 2. Mal wieder anfangen nach langer Pause wäre ja auch wirklich irre, aber ich halte mir im Geiste die Möglichkeit offen, dass ich mich mit 70 in die Rente verabschiede, also komplett, und dann einfach nur noch das tue, was ich möchte. Die Immobilie dafür ist ausgesucht, an der niederländischen Nordseeküste, Wohnung, groß, Blick aufs Meer mit Dachterrasse. Groß, weil ich natürlich einen Grund brauche, aus dem Ona mich regelmäßig besucht, und die Appartements liegen in den Ferien bei mindestens 1200 Euro die Woche. Wenn Oma da wohnt, kommt man notgedrungen vorbei. Und wenn er gerade nicht vorbeikommt, dann hätte ich ja mein riesiges Panoramafenster mit Blick aufs Meer, davor stünde ein sehr hübscher aber dennoch bequemer Sessel, und in dem säße ich und rauchte und rauchte, natürlich mit einem Handschuh, gelbe Finger stoßen mich ab. Ich hätte auch die anderen Tagesordnungspunkte nach Belieben organisiert, und die Welt wäre sehr schön. Mit der Aussicht fällt das temporäre Nichtrauchen nicht so schwer. Also schon. Aber was will man machen. Hätte ich drei Wünsche frei, wären Zigaretten Medizinalprodukte, Alkohol würde nicht dick machen, und Frau N. und ich hätten uns nicht auseinandergelebt.

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Sonntag, 23. August 2020
Part of the Process
Es gibt die verschiedensten Arten, einen Blogpost zu beginnen und eine davon ist, jemand anderen den ersten Satz formulieren zu lassen. Ich kann diese Methode allerdings nicht unbedingt empfehlen, es sei denn, man kann sich 100% darauf verlassen, dass der Lieferant weiß, was einen Satz ausmacht. Zumindest auf Laienebene, auf Profiebene sind wir uns da nicht so sicher. Ich habe mal ein ganzes Hauptseminar unterrichtet über die Frage, was ein Wort ist. Man meint ja, das wär ja total klar, aber in kritischem Gespräch mit mir wären Sie sicherlich sehr schnell verunsichert und würden sich wünschen, jemand würde zu dem Thema ein Hauptseminar anbieten. Je mehr man über ein Thema weiß, desto weniger absolut formuliert man, weil die allerwenigsten Sachen in der Tiefe ausnahmslos sind. Und wenn man das mal zu Ende denkt, dann hat man sehr viel Respekt vor Herrn Drosten, dass der überhaupt noch was sagt. Perspektivisch.

Insgesamt nimmt die Zahl der Vorkommnisse, in denen ich über mein gelerntes Themengebiet spreche, zunehmend ab. Ich denke, dass ich mich in 10 Jahren ganz entspannt zurücklehnen kann, wenn jemand mir von Nominativobjekten erzählt. (Neulich noch einmal in einen größeren Diskurs mit einem geschätzten Lehrer aus dem Internet gegangen, und ja, ich verstehe ja sehr gut, dass in der normativen Welt es naheliegend und für die SuS sogar verständlicher ist, ein Prädikatsnomen in die Logik der Objekte einzureihen, aber - und ich schreibe es noch einmal auf, danach werde ich bis an mein Lebensende zu dem Thema schweigen - es gibt sehr viel kontrastive Literatur über Objecthood, also was ein Objekt (was ja in erster Linie eine semantische Kategorie ist, die nach außen durch irgendwas markiert wird, sei es Kasus oder Position im Satz, etc.) in den Sprachen der Welt so ausmacht, und es gibt über die Gesamtheit der noch so kleinen Pisselssprachen sehr wenig, was alle gemein haben. Außer eine einzige Sache. Und jetzt muss ich kurz laut werden um dann für immer dazu zu schweigen: EIN OBJEKT KANN NIEMALS IM NOMINATIV STEHEN. (Der geschätzte Lehrer wusste das übrigens alles selbst. Aber sind ja nicht alle informiert).

So. Es ist raus. Thema erledigt. Wenn irgendwann noch mal irgendein Lehrer kommt und meinem Kind was anderes erzählt, dann nehme ich mir den zur Seite, oder besser noch, schicke ihm den Link zu diesem Post, und dann weiß der Bescheid. Generell scheinen Lehrer jetzt ja minütlich verrückter zu werden. Gestern erheiterte ich Sie mit der Geschichte, dass die Schule fragte, ob Eltern Rachenabstriche nehmen könnten. Heute - ich war gerade in einer Videokonferenz mit honorigen Menschen aus dem Internet - erreichte mich eine weitere, vertiefende Email. Der Rektor hatte sich die Mühe gemacht, das noch einmal zu erklären, hätte diese Bitte doch viele Fragen aufgeworfen. (Nein, er mailt nicht selber, jemand anderes kopiert seinen Text in eine echte Email). Es sei jedenfalls so, dass er das noch mal erklären wolle, wie es dazu kam, und es sei so, dass seine Lehrer ihn dringend gebeten hätten, diese Mail zu schreiben, weil seine Lehrer, nicht er, das so wollten. An anderen Schulen würde das System Eltern-testen-ihre-Lehrer hervorragend funktionieren, deshalb wollten alle außer ihm diese Mail.

Man muss ja schon ein bisschen Arsch in der Hose haben. So wird das mit der Respektsperson nichts mehr. Wenn er das will, soll er das machen, wenn er das nicht will, soll er das nicht machen. Manchmal ist es so einfach. Das konnte ich heute morgen schon in einem anderen Kontext erklären. Ich übernehme ja bezogen auf die Ausbildung meines Kindes keinerlei Ämter, aber wenn es so richtig um was geht, zum Beispiel im Handball, stehe ich sogar morgens auf und übernehme ein Amt. Oder lasse mich für ein Amt schulen, so wie heute. Ich bin nämlich jetzt Coronafachgehilfin. Oder Beauftragte, aber ich zweifele die Sinnhaftigkeit des Auftrags noch an, daher möchte ich lieber in einer assistierenden als in einer verantwortlichen Position sein. Und ich möchte jetzt auch wirklich niemanden reinreiten. Aber ich durfte mal aus der Nähe beobachten, wie Hygienekonzepte entstehen und muss leider sagen: Wenn man nicht mindestens 50 Folgen Podcast, egal von wem, gehört hat, kann man sich bitte besser eine andere Aufgabe suchen. Wenn dann noch immer darauf verwiesen wird, dass Situationen im Einzelfall mit gesundem Menschenverstand gelöst werden sollen, wo es doch an genau dem schwer zu mangeln scheint, erwacht die Projektmanagerin in mir. Und wenn dann noch die ganze Zeit gesagt wird "also hier wäre es jetzt theoretisch besser, wenn die Leute XY machen würden, aber das ist so ja bestimmt überhaupt nicht zu überwachen", dann ist es Zeit für eine Wortmeldung.

Ich stehe ja schon ein paar Jahre im Beruf, und ich beschäftige mich auch schon länger mit der Aufzucht von Nachwuchs. Eine Sache ist universell gültig: Wenn ich mich vorne hinstelle und das Scheitern direkt mit reinformuliere, dann gebe ich dem Anderen ja keine Chance, nicht zu scheitern. Wenn ich sage "Hier müssten die Kinder theoretisch eine Maske tragen, wenn sie durchlaufen", dann habe ich gesagt "In der Praxis werden hier keine Masken getragen." Man könnte ja auch einfach sagen: "Hier müssen Masken getragen werden" und dann guckt man mal, was passiert.

Wenn wir in fünf Jahren alle wieder ohne Maske rausdürfen und die Rückatmung uns nicht mehr so schlimm am Denken hindert, dann können wir in der Reihe der Dinge, die in der Coronakrisenzeit so offenbar über das Land, die Politik, die Bildung und die Gesellschaft geworden sind, bitte ganz oben mit aufnehmen: Deutschland ist nicht das Land der Projektmanager.

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Samstag, 22. August 2020
It's the end of the world
Aaah, schade, Woche nicht vollgekriegt. Heute vor einer Woche begann unser kleines Internetexperiment, und der krönende Abschluss hätte ja heute sein können, wenn ich um 8 einen Satz von Frau N. bekommen hätte und dann von Freitag bis Freitag mit dem Bloggen am Abend durchgehalten hätte. War halt nicht. Läuft nicht immer.

Jedenfalls können alle wieder entspannen, wir sind zurück auf 0, Frau N. ist die Direktorin, ich bin die mit dem noch viel schlimmeren Emonamen, wir sind auch nicht mehr freundlich, sondern new normal. Ich verschwinde in Teilen wieder dorthin, wo ich hergekommen bin, in der Realität nämlich, Frau N. macht das, was sie möchte, das macht sie eh immer.

Ich wollte gerne sehen, ob ich wieder bloggen wollen würde, und es gibt ein klares Urteil: Eventuell. Ich hab in der letzten Woche viel Spaß gehabt, und an der ein oder anderen Stelle tat Ablenkung gut. Was ich auch gesehen habe, Obacht, Emoalarm, ich brauche hin und wieder mal ein Outlet, aus dem ein bisschen Ich rauskommt. Und das hat hervorragend geklappt, soviel ist klar. Ich komme jetzt öfter, nicht täglich, aber öfter. Und dann erzähle ich Ihnen eine lustige Geschichte, die Sie nicht kennen, aber kennen sollten.

So, und da ich ja gelernt habe, entscheide ich um und erzähle die jetzt, sonst frage ich mich in 8 Jahren mal, ob ich wieder bloggen soll, und dann finde ich den Cliffhanger, und schwer davon ausgehend, dass mit fortschreitendem Alter die Merkfähigkeit ja auch nicht besser wird, (und lügen wir uns bitte nix in die Tasche: Sie sind da auch alle keine Hilfe), würde man sich ja am Ende nur wieder ärgern.

Es war jedenfalls so, dass mein Kompagnon und ich eine berufliche Abendveranstaltung in - Fanfarenchor - Bocholt hatten. Bocholt zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass es nah genug an Düsseldorf ist, um da eben rüber zu fahren, das ist aber auch wirklich schon alles, was man über Bocholt wissen muss. Wir aßen zu Abend, in voller Arbeitsmontur, das gehört sich so, da, wo man in Bocholt halt isst: im Imbiss mit Draußensitzgelegenheit. 19 Uhr Termin, also 18.45 da parken, wo man landet, wenn man in Bocholt immer dem P hinterher fährt. Ein Parkplatz, der halb unterirdisch lag, aber nicht im geringsten wirkte wie ein Parkhaus (Spoiler). Es gab einen Parkscheinautomaten, wo man noch für 15 Minuten ein Ticket ziehen konnte, ab in die total komplizierte Halterung (ich fahre ein Auto eines schwedischen Herstellers mit Penissymbol als Logo, damit ich weiß, wo mein Platz ist, seine Lampen heißen Thor's Hammer, das fand ich sehr anregend auf eine absurde Art und Weise, und das wohl allerdistinktivste Alleinstellungsmerkmal dieser Autos ist ein vollkommen überflüssiger Plastikpinöppel, hinter den man seinen Parkschein klemmen kann. Das ist etwa 4000 mal komplizierter und zeitaufwändiger, als den Parkschein einfach hinter die Windschutzscheibe zu legen und anschließend, wie es sich gehört, in den Fußraum fallen zu lassen, aber nein, wenn man so ein Ding hat, muss man es auch benutzen, soviel Zeit muss sein, auch wenn man sich jedes Mal furchtbar aufregt). Wo war ich? Ach so. Imbiss, essen, ein Bier, Business, fertig. 22.15 Ankunft Parkplatz. Der "Parkplatz" hatte sich inzwischen allerdings in eine abgeschlossene Tiefgarage mit einem Gitterrolltor verwandelt. Praktischerweise war direkt daneben das große Schild mit den Notfallnummern ab 21 Uhr, wenn das neuerdings ja Parkhaus zu ist. Ich muss sagen, dass ich direkt etwas skeptisch war, als ich eine Festnetznummer las, die nach kurzer Recherche eine Durchwahl im Bocholter Rathaus zu sein schien. Wie Sie sich denken können, ging ein Anrufbeantworter dran, der erklärte, man möge am nächsten Tag um 7 Uhr wieder anrufen. Nun hatte ich allerdings am nächsten Tag um 10 Uhr einen wirklich wirklich unaufschiebbaren Termin in Düsseldorf, für den ich mich und mein Auto brauchte, und das Volumen meiner Blase gab die Überbrückung der Zeit auch nicht her. Also irrten wir ein wenig ratlos herum, schauten uns die Busfahrpläne an (22.30 in Bocholt, ich muss das nicht erklären), und dann bemerkten wir, dass wir neben einem Hotel standen. Eventuell sogar neben DEM Hotel von Bocholt. Die Automatiktür öffnete sich, dahinter war der Empfang, und an dem stand das Schild, dass man bitte morgen wiederkommen solle. Ich bin mir sehr sicher, dass es noch ein Zimmer gegeben hätte oder zwei, aber leider gab es keinen Weg, das herauszufinden. Also setzten wir uns dahin, wo man sich in Bocholt hinsetzt, wenn man nach 22 Uhr noch richtig einen draufmachen möchte, in den Vorraum der Deutschen Bank auf den Fußboden, denn wir hatten keine Jacken und es wurde langsam etwas frisch. Dort noch mal die verschiedenen Optionen evaluiert, nach 3 Sekunden festgestellt, dass es eigentlich ja gar keine Optionen gibt außer Taxi für 42.000 Euro, und dann den Gatten angerufen. Euphorie klingt anders, aber mit etwas gutem Zureden konnte ich ihn bewegen, uns abzuholen und am nächsten Morgen um 7 wieder hinzubringen, denn der einzige Autoschlüssel des Kollegen befand sich natürlich in meinem Handschuhfach, wir hatten also direkt zwei Autos lahmgelegt.

Nach 60 Minuten schellte das Telefon, er führe jetzt auf die Autobahn. Da wir etwa 5 Minuten von der Autobahnauffahrt entfernt leben, war die Überraschung groß, aber die Erklärung, nämlich Großveranstaltung mit Heidi Klum zwischen Heim und der Autobahn, Tausende von Autos, die aus dem Parkhaus wollen und der Mann mittendrin, erklärten das gut. Und wir waren ja gut aufgehoben in der Deutschen Bank.

Irgendwann - ich weiß nicht, wer es als erster sah - fiel uns ein gewisser Schädlingsbefall in der Bank auf, was uns zu dem Entschluss brachte, es sei ja so kalt auch wieder nicht. Nach etwa einer weiteren Stunde kam der Mann, lachte uns aus, und an dieser Stelle hätte die Geschichte hervorragend zu Ende sein können, war es ja bereits nach 1 Uhr morgens. Wir wollten jedoch gerade einsteigen, als ein Anwohnerauto auf das Parkhaus zufuhr, eine alleinreisende Dame. Wie eine Irre rannte ich hinter dem Auto her und der Kompagnon hinter mir, was sie anscheinend falsch interpretierte, jedenfalls verbarrikadierte sie sich im Auto, wir klopften wie zwei Verrückte an die Scheiben (ja, das hätte entspannter laufen müssen, aber wir dachten, das hier und jetzt wäre unser einziger Shot), fuhr, als das Tor endlich oben war, wie Tom Selleck in die Tiefgarage, irgendwo in den hinteren Teil, und ward nie mehr gesehen. Wir fühlten uns dennoch sehr am Ziel angekommen, gingen schnell zum Auto, setzten uns rein, ich fuhr los, auf das inzwischen wieder geschlossene Tor zu.

Ich kürze wieder ab. Das Tor war zu. Alle Ausgänge aus der Tiefgarage waren auch zu. Wir standen wie im Affenkäfig vor dem Gitter, und ich bin mir nicht sicher, ob mein Mann in seinem Leben jemals mehr gelacht hat als in der Nacht. Die ersten 15 Minuten hat er abwechselnd gelacht und uns fotografiert. Dann kamen etwa alle Taxifahrer hinzu, die am Taxistand standen und seit Menschengedenken noch nie einen Fahrgast nach 22 Uhr hatten, und lachten mit. Dann fingen sie an, uns fernzusteuern. Es gäbe ja auch einen Ausgang XY, den sollten wir suchen. Wir suchten: Zu. Wir sollten einfach mal auf den roten Knopf vom Rolltor drücken. Hab ich gemacht. Everybody's dream. Sie wären sehr enttäuscht. Wenn Sie nachts um 2 in Bocholt auf den roten Knopf vom Rolltor drücken, passiert exakt nichts. Irgendwann war es auch schon 3, alle hatten ihren Spaß gehabt, es wurde langsam langweilig, uns Eingesperrten war ja schon länger eher langweilig, da beschloss mein Mann, dass mein Plan, jetzt einfach bis um 8 im Auto zu pennen und am nächsten Morgen wieder rauszufahren, nicht akzeptabel sei und rief die Polizei. Die kam dann und musste lachen.

Praktischerweise ist es in Bocholt aber auch so, und das ist das Gute an Kleinstadt, dass man sich vom Kegelclub kennt, und einer der Polizisten hatte die Handynummer von jemandem in der Verwaltung, der hatte auch wieder die Handynummer von jemandem, und der hatte die Handynummer von der Person, die das Rolltor aufmachen kann. Der Herr ging natürlich erst einmal nicht ans Telefon, hatte man ja nicht auf seinem Dienstfestnetz angerufen, aber irgendwann ging er ran, versuchte zu erfragen, ob es eine sinnvolle Option sei, bis 8 zu warten, das fand ich allerdings keine sinnvolle Option, und dann wurde am Ende alles gut, der Herr kam, öffnete das Rolltor und ließ uns heraus. Ohne Lachen.

So. Cliffhanger weg. Alles gut. Bis die Tage.

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Interjektion
Ich habe mir selber eine 35-Stundenwoche verordnet, und dann darf man freitags morgens auch mal außer der Reihe bloggen, wenn die Ereignisse das hergeben. Das Thema Schule ist ja ein rutschiges Gebiet, und bevor sich alle warmlaufen (ich bleibe allerdings auch sehr an der Oberfläche, ich denke, ich habe zu Schule "in der aktuellen Situation" alles gesagt, jetzt sitze ich einfach und warte ab, was um mich herum passiert), halten wir es doch einfach zeitlebens in diesem Medium wie folgt: Wann immer ich mich despektierlich über eine bestimmte Zielgruppe äußere, egal ob implizit oder explizit, meine ich natürlich nur einen Ausschnitt, nämlich den, den ich kenne. Natürlich gibt es in jedem Set ganz hervorragende Kandidaten, zum Beispiel Sie, fühlen Sie sich bitte ganz persönlich ausgenommen. Und ja, ich weiß, dass es ganz hervorragende Lehrer und Erzieher gibt, ich kenne sogar welche persönlich.

Gestern Abend hat die Schule ihre neu erworbenen Kompetenzen getestet: Mail schreiben wie normale Leute, also mit Text in der Mail, nicht leer mit angehängtem Word Dokument. In dem Textkörper wurde die Frage gestellt, ob Eltern Lust hätten, sich zu engagieren und bei dem Testen via Rachenabstrich zu helfen. Ich möchte das auch 12 Stunden später einfach unkommentiert stehenlassen. Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich mich im Rahmen der Ausbildung meines Sohnes noch nie für irgendwas engagiert habe. Ich habe an dem kollektiven Osterhasenbacken nicht teilgenommen, da war ich beruflich eingespannt. In der Grundschule gab es die schöne Tradition, dass die Eltern einmal im Monat die Klassenräume inklusive allem, was man sich vorstellen kann, putzen kamen. Ich habe mich ein paarmal weggeduckt und irgendwann der Klassenlehrerin einen freundlichen Brief geschrieben, dass ich das leider zeitlich wirklich nicht abbilden könne, 12 Urlaubstage im Jahr zu nehmen, um in der Schule meines Kindes die Fenster zu putzen, ich könnte mich aber sehr gerne als Sponsor für einen professionellen Fensterputzer anbieten. Das habe ich netter formuliert, und seitdem wurden die Fenster in Onas Grundschule auf meine Kosten gereinigt. Auch das lasse ich mal unkommentiert stehen.

Zu dem ganzen Themenkomplex sei übrigens gesagt, dass ich ja einst aufgehört habe, über Jonathan zu schreiben, weil ich ihn nicht sinnstiftend fragen konnte, ob das okay ist. Jetzt kann ich das, und ich lasse mir Geschichten von ihm autorisieren, so auch diese hier. (Die Verhandlung war hart, sollte doch ein Instagramprofil verlinkt werden, um die lang ersehnte Karriere als Influencer doch noch Wirklichkeit werden zu lassen. Ich habe mich dagegen entschieden.)

Kommen wir zurück zur Schule, genauer gesagt zur Grundschule. Dort habe ich mit meinem Mann folgendes System festgelegt: Ich gehe nicht zu schulischen Veranstaltungen, und zwar genau so lange nicht, bis ich ein Anschreiben von der Lehrerin bekomme, in dem Grammatik, Interpunktion und Orthographie tipptopp ist. Ich wähnte mich (zurecht) für die Dauer der gesamten Grundschulzeit in Sicherheit, und mit Perlen wie Kenntniß und Packet hatte der Mann keine gute Verhandlungsgrundlage.

Einmal musste ich wirklich hin, das konnte ich mir nur schlecht verkneifen, da ich die (wie gestern erwähnt) aktiv-aggressive Rolle gut spiele, mein Mann jedoch Großmeister in passiv-aggressiv ist, was man ja nicht brauchen kann. Und das kam so.

Der Sommerurlaub, als Jonathan 8 war, ging wie eigentlich immer außer "in der aktuellen Situation" mit dem Auto nach Spanien, Fliegen ist aus Umweltgründen ja nicht so sinnvoll. Das dauert lange, deshalb braucht man ein Hörbuch, und da man das Kind endlich groß genug hatte, nicht mehr ausschließlich und immer das Lied mit dem Hähnchen zu hören, fiel die Wahl auf die Känguru Chroniken von Marc-Uwe Kling. Jonathan hat sich sehr schnell alle (teils nicht mehr so weltliteraturartigen) Känguru Teile zueigen gemacht und fand sich grundsätzlich in der Gedankenwelt des kommunistischen Kängurus gut zurecht.

Eines Tages kam er freitags von der Schule und erzählte, er habe heute eine Demo veranstaltet. Auf meine Frage, wogegen denn demonstriert worden wäre, antwortete er "Hitler", ich nahm meinen Terminkalender und strich schon mal alle unwichtigen Termine, um Zeit für das Lehrergespräch zu schaffen. Montags fand ich dann in seiner Postmappe die Einladung zu einem Gesprächstermin, allerdings nicht von der Lehrerin, sondern von der Leiterin der OGS. Wobei das eigentlich keinen Unterschied macht. Ich ließ mir die Situation noch einmal genau erklären ("In der großen Pause bin ich auf den Schulhof gegangen und habe zum Spaß gerufen DE-MO DE-MO, dann sind ein paar Kinder hinterher, dann sind alle 120 hinterher, und dann hat eine Erzieherin gefragt, wogegen wir denn demonstrieren, und dann hab ich überlegt, was das schlechteste ist, was ich kenne, und dann hab ich Hitler gesagt.") und nahm gemeinsam mit meinem Mann den Termin wahr, um bestmöglich beide Eltern zu verbrennen.

Ich kürze an dieser Stelle ab, da das Gespräch auch in Minute 3 bereits so entgleiste, dass mein Kopf aus Selbstschutzgründen das meiste nicht mehr weiß. Es begann mit der Problemstellung, das Kind spreche nicht altersangemessen (zitiertes Beispiel: anderes Kind "Das ist mein Auto!" - Ona: "Meins, deins, das sind doch alles bürgerliche Kategorien."), was ich als Zitat aus einem Stück Literatur enttarnte, die Fragestellung, wie denn genau ein Achtjähriger zu sprechen habe, um altersangemessen zu sein, fände ich jedoch sehr interessant, gefolgt von meinem von langer Hand vorbereiteten Satz "Das nächste Mal bestellen Sie mich doch bitte erst dann ein, wenn mein Sohn FÜR Hitler demonstriert", gefolgt von einem hart unter der Gürtellinie platzierten "Leider ist ihr Sohn ja nur ein Einzelkind", gefolgt von Gesprächsabbruch durch Aufstehen und Gehen. Mich persönlich hat das nicht getroffen. Das Einzelkind hat einen Hund, der mehr wiegt als die allermeisten 11Jährigen, wir kommen klar. Aber man muss auch wissen, wann ein Gespräch beendet ist. (Wir haben die Übermittagsbetreuung dann privat geregelt.)

Sie sehen: Ich engagiere mich nicht in der Schule. Ich putze nicht, ich backe nicht, ich diskutiere nicht, ich möchte kein Amt (anders als mein Mann, der sammelt alles ein, was er an Aufgaben finden kann, das Universum ist also wieder im Gleichgewicht) und ganz, ganz bestimmt mache ich keinen Rachenabstrich.

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