Samstag, 5. September 2020
Creep (STP, vorzugsweise unplugged)
Wenn man sich gut einbringt, soll das natürlich belohnt werden, positive Verstärkung, funktioniert beim Hund, hoffentlich auch bei der Kollegin Kaltmamsell. Die bat ja neulich um Blogposts, in denen sie sich wiederfinden kann und machte auch direkt Themenvorschläge. Das soll natürlich belohnt werden. Gucken Sie sich das gerne ab.

An mehreren Stellen musste ich heute an Situationen aus meinem Arbeitsleben denken, also entschloss ich mich dazu, diese alle zu bündeln und unter dem thematischen Dach "Crazy people I met on the job" zu publizieren. Nun ja, dann dachte ich stundenlang im Hinterkopf darüber nach, was ich alles weglassen muss, immerhin hätte ich ja Material für ein Buch. Das mag meinem komplizierten Werdegang geschuldet sein. Die Jahre des Studiums lasse ich weg, wenngleich ich mit 3 Jobs, die aber alle irgendwie lustig waren (Laufschuhe verkaufen im Sportladen, da kann man doofe Leute vom Laufband fallen lassen, wenn man schlecht behandelt wird, würde aber ja keiner machen), feste Freie bei einer Tageszeitung, (wo mir einst ein Volo angeboten wurde, das ich ablehnte, weil ich ja einen anderen Beruf ergreifen wollte, und wo ich dann folgerichtig erklärt kriegte, ich würde mich noch mal nackt an den Schreibtisch ketten und um einen Job betteln (nicht passiert)), und Fremdsprachenkurse an der Volkshochschule, (der Job, in dem ich lernte, ich möchte nichts mit Menschen machen). Da waren auch Irre, aber es gab keinen strukturellen Phänotyp. Daher spulen wir vor: Examen, erster Job.

Der Job war doof. Der Professor, der mir dankenswerterweise eine halbe beschissene Mitarbeiterstelle irgendwo rauserpresst hatte, war selber gar nicht so interessiert an Arbeiten, muss man aber ja auch nicht, wenn man Mitarbeiter hat. Von den Kollegen, die dort mit mir versucht haben, zu promovieren, hat niemals jemand die Arbeit je fertig geschrieben. Aber ich wollte über Irre sprechen. Der Sprung ist kurz. An dem Institut gab es damals 4 Linguistik Professoren, keiner spielte irgendwo außerhalb seines eigenen Proseminars für irgendetwas irgendeine Rolle. Publiziert wurde gar nicht oder schlecht, und die gesamte Energie wurde in Kämpfe untereinander gesteckt. Keine Sekunde konnten die 4 in einem Raum oder einer Gremiensitzung sein, ohne dass sofort die ganze Welt implodierte. Das Interessante daran: Hauptmotor war Eitelkeit. Jeder was so eitel, so egozentrisch, dass die Anderen, die sich übrigens alle sehr stark thematisch unterschieden, keine Daseinsberechtigung hatten. Sobald man mal aus dem Orkus raus war, merkte man schnell, dass von den Vieren eigentlich keiner eine Daseinsberechtigung hatte, weder in Lehre, noch in Forschung. Gremienarbeit auch nicht, das musste ja an die Mitarbeiter ausgelagert werden wegen Krieg. Ich fand das alles sehr schwierig damals, muss aber im Nachhinein betrachtet sagen: Das waren schlechte Irre, die sich fürchterlich benahmen, weil ihnen der unverdient geführte Titel zu Kopf gestiegen war. Mehr kann man dazu eigentlich gar nicht sagen, die waren langweilig. (Bitte fühlen Sie sich ermutigt, in den Kommentaren ausführlich den Unterschied zwischen Titel und Grad zu besprechen. Ich hab Dr. und Prof. beide getragen und weiß, dass da irgendwas kompliziert war, aber unterm Strich ist es auch wirklich egal.) Was ich übrigens in den folgenden Jahren an ausländischen Universitäten nie mehr angetroffen habe, war der Wunsch, mit irgendwelchen Titeln oder Graden angesprochen zu werden. We just don't do that.

Nach einem Auffahrunfall mit einem Karmann Ghia wechselte ich das Land und landete aus Versehen mitten in der echten Wissenschaft. Also bei den Leuten, deren Bücher ich im Studium lesen mussten, die das Feld international anführten. Und dort lernte ich eine neue Kategorie Irre kennen: die guten Irren. Meine erste Station führte mich zurück in die Niederlande, und dort fand ich ein sehr internationales, ausnahmslos großartiges Kollegium vor. Alle. Wirklich alle hatten irgendwo einen an der Waffel, aber immer charmant und immer in Kombination mit hervorragender, bahnbrechender Arbeit. Vermutlich hatte ich auch einen an der Waffel, zumindest passte ich mich in allerkürzester Zeit an. Ich erinnere mich an ein Mittagessen in Woche 2 mit Kollegen, als eine Professorin an unseren Tisch kam, vor der alle Angst hatten. Sie sah mich an und sagte: "Who are you?" Ich antwortete brav und sagte: "And who are you?" - "You don't know that? Well, I like you. Let's have coffee later." Natürlich wusste ich, wer sie war, aber Angst darf man nicht zeigen, und bis zum Ende war sie eine meiner engsten Vertrauten dort. Sie war ganz großartig, sehr warm, sehr empathisch, aber nur mit Türe zu beim Kaffee. Doktorandin von Chomsky, dem größten Irren aller Zeiten (ja, ich weiß, Sie kennen ihn als Politiker, da mag er top sein. Als Mensch ist er ein absoluter Totalschaden) und alle, unter oder neben denen ich in den nächsten Jahren gearbeitet habe, kamen direkt vom MIT und hatten anscheinend das gleiche Trauma davongetragen. Nur, wer so aggressiv sein konnte wie er, konnte bestehen. Innerhalb von zwei Wochen hatte ich mir übrigens einen Beinamen erarbeitet, den ein anderer Professor beim Kennenlernen sagte: "Oh, jij bent het meisje met de mening", du bist das Mädchen mit der Meinung. Er meinte das nett, irgendwann habe ich aber darum gebeten, nicht mehr so genannt zu werden. Ich war erstens mit 27 eventuell nicht mehr "das Mädchen", und das Vertreten einer Meinung, oder sagen wir vielleicht lieber eines Standpunktes, ist ja eine zentrale Aufgabe in der Wissenschaft, folglich fand ich die Bezeichnung redundant. Der zweite Punkt, wo ich sicherlich nicht ganz normgerecht auftrat, war meine immense Flugangst, die dazu führte, dass ich im ersten Jahr nur begleitet fliegen durfte, weil mein ausgeprägter Fluchtinstinkt nicht erlaubt hätte, alleine in ein Flugzeug zu steigen. An dieser Stelle danke ich den Vereinigten Staaten von Amerika sehr, die so nett waren, mich auf die TSA No Fly Liste zu setzen, was bewirkte, dass ich in allerkürzester Zeit von 'fear of flying' zu 'fear of immigrating' wechselte und jede Sekunde genoss, die ich in der Luft verbrachte. Aber das hebe ich mir für ein anderes Mal auf (oder hatten wir das hier schon? Das kann Frau N. sicher sagen.)

Im Vergleich mit der ersten Uni fand ich dort ja sehr interessant, dass in der Sekunde, wo man inhaltlich kämpfen kann, das auch getan wird. Die Lehrstühle waren sich untereinander auch nicht sonderlich gewogen, das hatte aber rein gar nichts mit Eitelkeiten oder Profilneurosen zu tun, sondern mit ernstzunehmenden inhaltlichen Divergenzen. Und die konnten beim Bier immer gut aufgelöst werden.

Heute Morgen sagte ich noch zu Frau N., dass man manchmal Angst haben muss, um zu lernen, wie man mutig ist. Das habe ich in den ersten Jahren dort gut lernen können. Einmal war ich sehr mutig und äußerte eine kleine inhaltliche Kritik am großen Meister persönlich, was ihn so erzürnte, dass er mich coram publico "stupid, ignorant girl" nannte. Das war mein Durchbruch. Wer es schafft, so auf Chomskys Radar zu fliegen, der muss ja für irgendwas gut sein. Folgerichtig durfte ich dann die nächsten Jahre im theoretischen Gegenlager bei meinem neuen Doktorvater in Stanford verbringen. Und hier bräuchte man jetzt ein Buch. Ich versuche, nur ein paar Rosinen rauszupicken.

Wir befinden uns ja auf einer Skala, wenn Sie gut aufgepasst haben. Uni 1: Schlechte bis keine Wissenschaft, viel Ego, viel Profilneurose. Krieg. Uni 2: Sehr gute Wissenschaft, wenig Profilneurosen, viele persönliche "Quirks". Uni 3: Durchweg alle medikamentiert, aber alles, was dort aufgeschrieben wurde, war pures Gold.

Ich landete donnerstags in San Francisco, bezog meine Wohnung, schlief ein bisschen und fuhr freitags erstmals an die Uni. Jeden Freitag ist (oder war?) dort Kolloquium, da wird irgendeine Koryphäe eingeflogen, die spricht 90 Minuten zu den Mitarbeitern über neueste Erkenntnisse, danach wird (wurde?) indisches Essen geliefert. (An deutschen Unis ist ja auch immer Kolloquium, da sprechen einfach die Mitarbeiter selber und man bringt sich eine Flasche Wasser aus dem Büroschrank mit). Jedenfalls lief ich in den noch fast leeren Raum, in dem ich sein sollte und setzte mich in die letzte Reihe. Ich trug - und das ist wichtig - komplett schwarz mit roten höheren Schuhen. Vor mir saß die Frau, deren Hauptwerk ich im Examen bestimmt 10 mal gelesen hatte, die schlauste, tollste, beeindruckendste Frau der Welt. Inhaltlich. Sie drehte sich zu mir um, sagte hallo, ich sagte auch hallo, sagte kurz, dass ich ja die Neue sei, dann fiel ihr Blick auf meinen Schuh, und dann blieb sie etwa 2 Stunden in dieser Pose hängen. Umgedreht, Blick auf meine überschlagenen Beine, Fokus auf den Fuß. Ich kann das nicht mehr in Worte fassen, wie sehr ich sterben wollte. Mein europäischer Chef war auch schon wach und ich chattete ausführlich zu der Situation mit ihm, auflösen konnten wir sie nicht. Alle, die in den Raum kamen, fanden offensichtlich die Pose sehr normal, keiner guckte irritiert. Ich habe das in den nächsten zwei Jahren für mich zu nutzen gelernt. Wann immer ich einen Termin mit ihr hatte, den ich aus Gründen der sozialen Verpflichtung nicht gut vorbereitet hatte, lenkte ich sie mit irgendetwas ab. Ich kaufte mir sogar eine Kette, Schuhe sah sie unterm Schreibtisch nicht. Die ungeschriebene Regel war: Wenn sie nach 15 Minuten immer noch nicht reagiert, durfte man gehen.

Einmal fuhren wir alle zusammen nach Berkeley zu einer Konferenz, sie hielt die Keynote. Nun muss man noch dazu sagen, dass sie unter 1,60m groß ist und eine sehr zarte Stimme hat. Sie wurde hinter ein viel zu großes Pult gestellt, so dass sie ihre Aufzeichnungen nicht sehen konnten, wir sie aber auch nicht. Und dann redete sie 90 Minuten. Jeder andere hätte irgendetwas gemacht. Ich hätte zum Beispiel einfach einen Schritt nach rechts gemacht. Dann hätte man halt ohne Pult gesprochen. Sie war so nicht. Sie verharrte in dieser Position und sprach den Vortrag bis zum letzten Wort blind und unsichtbar durch. Einer ihrer Doktoranden, mit dem ich, naja, viel Zeit verbrachte, sagte mal irgendwann in einem Moment der Ruhe: "One day I'll go into her office, and I'll take an article from the A-shelf and put it back in in the c-shelf, and then she's DEAD!"

Sie war sicherlich das äußere Extrem auf der Skala der guten Irren, aber sie schlug das restliche Personal wirklich nicht um Längen. Irrsinn hat viele Facetten, und die alle konnte man dort kennenlernen. Aber dennoch waren alle Leute großartig. Irre, aber großartig. Die andere Seite der Medaille war, dass jeder in seinem oder ihren Bereich unter den Top 3 weltweit spielte. Mindestens. Die Dame hinterm Pult ist unerreicht. Alles, was ich an Hirnkapazität aufbringen muss, um um das Pult zu gehen, ein Bier zu trinken, etc., spart sie sich für den nächsten Artikel auf. Alle hatten sich untereinander gern. Der Endgegner saß am MIT.

Um in so einer Umgebung bestehen zu können, hilft nur lesen, lesen, lesen, und jeden Tag Angst haben, dass man ab heute nicht mehr mitkommt. Um mich hin und wieder abzulenken, begann ich, lustige Biographien von Mathematikern zu lesen. (Nebenbemerkung: Meine Erdös-Zahl ist 5. Immerhin! Die von Frau Merkel übrigens auch.) Und dabei würde mir eine Sache sehr klar. Um solche unfassbaren intellektuellen Höchstleistungen zu erbringen wie die Kollegen dort, ist es sehr hilfreich, wenn man nichts auf der Welt hat, was einem den Fokus nimmt. Ich weiß gar nicht, wie viele Jungfrauen es dort gab, viele, tippe ich. Bier? No way, man muss ja noch denken. Irgendwann kam mein niederländischer Doktorvater mich besuchen, und ich teilte eine wirklich wichtige Einsicht mit ihm: Ich reiche nicht für hier. Ich kann zuhause gut mitspielen, aber ich muss auch mal ein Bier trinken können, und ich hoffe, dass ich Recht habe. Ich war nicht irre genug.

Abgeschlossen hab ich dennoch, bin dann zurück nach Europa zu den Mittelirren, und dann im letzten Schritt zurück auf Los, wieder nach Deutschland, zu den Profilneurotikern. Sie haben das damals alles verfolgen können, ich war eventuell nicht so offen, da ich ja immer auch ein bisschen vorsichtig sein musste, aber es war wieder genau gleich wie in Job 1: Mittelmäßige (na gut, immerhin) Forschung, viel Eitelkeit, viel Gerangel um vollkommen unwichtige Pöstchen, niemand profiliert sich durch seine Arbeit, sondern über sinnlose Abstimmungsergebnisse. Wer einmal in einem funktionierenden Forschungssystem gearbeitet hat, kann das nie mehr machen.

So. Das war lang. Und eigentlich fehlt jetzt ja noch der Teil, wo ich aus der Wissenschaft aus allen Gründen aussteige und in die Werbung oder so ähnlich gehe. Aber bei näherer Betrachtung möchte ich da nix zu sagen, weil ich ja mittendrin bin. Ich kann mich aber selbst zitieren, vor einigen Jahren, in einem Gespräch mit Frau N.: "Ich bin ja auch aus der Wissenschaft ausgestiegen, weil ich nicht mehr nur mit Irren arbeiten wollte. Die hier sind ja alle genauso irre, aber es fehlt ihnen die geistige Brillianz."

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Donnerstag, 3. September 2020
Dogs (Pink Floyd)
Haben Sie Kinder? Wenn ja: In wievielen WhatsApp Gruppen sind Sie? Und jetzt bitte kein Neid: Ich bin in keiner. Ich habe meinen Sohn so großgekriegt, dass weder in der Schule noch beim Hobby irgendjemand sich noch traut, mich zu fragen, ob ich vielleicht in eine WhatsApp Gruppe möchte. An dieser Stelle hätte ich mich überlegen fühlen, ein Gläschen Sekt einschenken und mich im Fauteuil zurücklehnen können. Hätte es nicht letztes Jahr einen sehr kleinen Moment der Unachtsamkeit gegeben. Seitdem bin ich ich der WhatsApp Gruppe der Welpenkäufer von Fienes Züchter.

So Idioten, die einen SUV fahren, kaufen auch Tiere beim Züchter, I hear you, ich hatte aber hier einen sehr guten Grund: Ich bin sehr hundeerfahren und traue mir gut zu, einen großen Hund zu führen. Als Fiene zu uns kam, war Jonathan allerdings 8, also klein, und uns war klar, dass wir den Mops natürlich sehr toll fanden, dass es aber Zeit ist, wieder einen richtigen Hund zu halten, die Lebenssituation gibt es her. Einen großen, mit richtigen Zähnen und allem Drum und Dran. Die Kombination von 8Jährigem, der auch mal mit dem Hund alleine ist und sich zwar sehr gut um Tiere kümmert, aber eben doch noch klein ist, und 40 Kilo Hund, von dem man erst mal nicht weiß, ob es Trigger gibt und wo seine Reizschwelle ist, fand ich keine gute Idee, daher entschied ich mich, zum ersten Mal nicht ein Tier aus dem Tierschutz zu beziehen und ihn selbst großzuziehen. Soweit.

Hundezüchter sind speziell, Erstwurf-Hundezüchter, die ihr gesamtes Wohnzimmer ausräumen, um mit den Kleinen eine Einheit zu bilden, erst recht. Verstehen Sie mich nicht falsch, der Züchter ist super, der Hund ist ganz hervorragend, ein kleines bisschen dumm und unglaublich gefällig, mit fast noch mehr Spielfreude als ich, also genau das, was man braucht, wenn man einen Jagdhund führt, ohne dass man jagt. Der Züchter hat es jedoch sehr gut verstanden, den Kontakt zu seinen Hunden zu halten. Es wird schon seeehr viel erkundigt. Letztes Jahr wurde dann der B-Wurf angekündigt, und ich witterte meine Chance. Ganz neue Hundebabies, die alten sind ja fast groß und vernünftig, leben auch alle noch, da kann man ja mal bei den anderen gucken. Aber nein, es gab eine WhatsApp Gruppe. Und da ich Angst hatte, dass ich hinterher die einzige Welpenkäuferin bin, die eine Einzelbetreuung erhält, ließ ich mich hinzufügen.

Fehler. Es gibt Bilder. Tausende von Bildern. Und der Trick ist: Die sehen alle genau gleich aus. Jonathan hat einen Handyhintergrund mit Bonnie drauf. Ich werde ihm das irgendwann mal sagen, dass das der falsche Hund ist. Sehen kann man es nicht. Schwarzer Labrador halt, sehr elegante Köpfe, man wird häufig angesprochen. Permanent sagt ein Hund in der Gruppe guten Morgen. Ein Hund! Und dann sagen natürlich alle anderen Hunde guten Morgen. Bei zwei Würfen kommen wir auf 17 Hunde. Alle sagen guten Morgen. Neulich hat Nele sich im Wald an der Nase gekratzt. Sofort kamen 15 Bilder hinterher von Geschwistern mit einem Kratzer an der Nase. Ich habe leider kein Foto von Fiene mit Kratzer an der Nase, und damit bin ich ganz offiziell die schlechteste Hundehalterin der Welt.

Heute kam also wieder eine Runde Bonnie Nele Asterix Annie blablabla sagen hallo, und ein Rüde trug einen Pullover. Er lag unterm Esstisch im Wohnzimmer und trug einen Pullover. Ja. Ich weiß. Es gibt bestimmte Hunde und Situationen, da ist ein Mäntelchen notwendig. Ich wollte nie einen solchen Hund haben, und für die rheinischen Winter ist Fiene bestens mit ihrem eigenen Mäntelchen ausgestattet. Labradore werden für die Entenjagd gezüchtet, die schwimmen also viel und gerne. Fiene schwimmt immer, 12 Monate im Jahr. Danach schüttelt sie sich und wir gehen schnell weiter, zuhause legt sie sich vor die Heizung. Das System funktioniert seit drei Jahren sehr gut. Silvester 2018/19 waren wir an der Mosel, und wie man es vorher so plant, wälzt der Hund sich vorm Frühstück in einem toten Fisch am Ufer, und ich machte das, was ich an der Stelle einfach immer mache: 20 Mal den Ball mitten in die Mosel werfen, holen lassen, danach ist alles sauber. Wie wir da so standen, Ende Dezember, keine Minusgrade, kam eine ältere Dame, deren sehr robust und überfüttert wirkender Mischling ein Daunenmäntelchen trug, und wollte gerne mit mir darüber sprechen, dass ich das Leben meines Hundes gefährde. Ich wendete ab mit dem Satz: "Entschuldigen Sie, Ihr Hund trägt ein Daunenmäntelchen, ich glaube, wir können uns nicht unterhalten." (Ich freue mich jetzt schon auf die Diskussion unten. Bitte listen Sie alle auf, was für einen Hund Sie fahren und welche Mäntel er besitzt. Ich lese das gern, gebe aber zu bedenken, dass mein Punkt ist: Mein Hund ist sehr robust und dafür ausgelegt, kein Mäntelchen zu tragen. Es geht ihm gut. Er wird es schaffen.)

Jedenfalls, wir kommen zurück zum Anfang, trug also ein Rüde einen Pullover auf dem täglichen WhatsApp Foto. Ich war sehr verwirrt, insbesondere, dass der Züchter nix sagte, der ist nämlich eigentlich sehr jagdlich unterwegs, und dann fragte irgendjemand, ob "der schon seinen Schlafili" anhabe. Die Antwort traf mich unerwartet, sie lautete "Nein, das ist unser Bademantel" (inklusives "unser"). Was dann geschah, war noch viel absurder, etwa die Hälfte der Menschen antwortete nämlich so etwas wie "oh toll, ich hab den in rot". Und dann schickte der Züchter einen Herzchensmiley.

Ich weiß ja, dass hier auch Tierärzte lesen, und bitte bringen Sie jetzt nicht mehr Weltbild ins Wanken. Ich möchte Fiene nicht nach dem Wald einen Bademantel anziehen, damit sie dann im Profikuschelbademantel vor der Heizung ein Kalbsbrustbein knabbern kann. Wenn Fiene nass aus dem Rhein nach Hause kommt, macht sie einfach das.


(mit freundlicher Genehmigung der Darsteller)

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Dienstag, 1. September 2020
Safe and sound
Man kann ja nichts mehr planen, insbesondere in der aktuellen Situation. Ich hatte mir zum Beispiel ein Thema überlegt, über das ich heute schreiben könnte, das ein bisschen weniger selbstreferenziell ist. Ich bin eigentlich kein Fan von zuviel Selbstreferentialität, habe sogar mal eine Stelle verlassen, weil mir zuviel - ich glaube, ich nannte es - selbstreferenzielle Scheiße kommuniziert wurde. Wenn man über Kind, Job, Familiensituation und Politik nicht schreiben möchte, bleibt ja insgesamt nicht mehr viel, wovon man Ahnung hat, und ehe man sich versieht, schreibt man über die eigene Menstruation. Dafür noch mal in aller Form Entschuldigung, Sie waren sehr tapfer.

Heute wollte ich über Lady Di schreiben, ich bin ja gerne jemand, der, das sagt man jetzt immer so, vor der Welle ist, das wäre vorgestern gewesen, gestern war ihr Todestag, das wäre also in der Welle gewesen, und ich komme heute, das ist deutlich nach der Welle. Nun gut. Ich sollte natürlich auch noch die Geschichte mit der Autoanalogie erzählen, da sehe ich aber heute schwarz. Ich muss nämlich auch ein wenig feiern. In der aktuellen Situation gibt es viele Verlierer, keine Gewinner und ein paar, die mit einem blauen Auge davon kommen. Ausgenommen sind natürlich Lehrer. Kleiner Spaß. 2019 habe ich mich beruflich mal richtig was getraut, und da ich mich immer ganz gut auf mich selbst verlassen kann, fiel mir das eigentlich auch leicht. Sich was trauen ist ja eigentlich auch nur Statistik, und darin bin ich gut. Eine Pandemie hatte ich allerdings im Businessplan so nicht abgebildet, und da gerät man schnell auf rutschiges Eis. Nach vielen Monaten größter Resilienz (noch so ein neues Modewort), in denen der Kompagnon und ich gelernt haben, dass man nach "ich kann wirklich nicht mehr" noch mindestens Luft für 4 Stunden hat, ist heute der Tag gekommen, auf den wir monatelang gehofft haben. Nicht immer optimistisch. Aber, wie sagte schon Nina Ruge immer: Alles wird gut. Eine Reihe von Parametern, die noch gut hätten werden müssen, damit es gut wird, sind nahezu zeitgleich alle an ihren Platz gefallen, und seit etwa 16 Uhr am heutigen Tag kann ich offiziell sagen: Alles wird gut. Interessante Beobachtung: Es gibt Menschen, die heulen dramatisch viel mehr, wenn alles gut geht, als wenn alles schlecht geht. Und um meine Euphorie direkt wieder zu dämpfen, habe ich in meinem virtuellen Büro sehr sehr angestoßen, dann Gemüse püriert für den Hund, leider aufgrund schlechter Mustererkennung WIEDER DIE SCHEISS WEISSE WAND OHNE LATEXFARBE DRAUF komplett in püriertes Gemüse getunkt, daraufhin Ona zum Training gefahren, reingefallen auf "ich geh noch mal eben rein, ich muss noch mal wo hin, gib mal den Schlüssel bitte", mich dann über mich selber gefreut, dass ich ihm nicht den Autoschlüssel auch mitgegeben habe, sonst wäre der nämlich auch drinnen gewesen und wir draußen, dann wirklich sehr lange im Auto gesessen und gewartet, bis die Türe wieder auf war, und dann ging der Kofferraum nicht mehr zu. Bei so neumodischen Quatschautos ist das ja leider nix, was man einfach mal so schwungvoll mit der Hand macht, nein, es gibt eine Taste oder einen Knopf auf dem Schlüssel, beides funktioniert nicht mehr. Soviel dazu. (elegante Überleitung)

Das Auto, in dem Lady Di im Tunnel verunglückt ist, wird ja auch deutliche Einschränkungen in der Kofferraumfunktionalität gehabt haben. Gestern war sie 23 Jahre tot, und ich merkte, wie alt ich langsam werde, ich musste nämlich nachrechnen, ob ich da noch zuhause gewohnt habe. Hab ich nicht, ich lag dennoch in meinem Kinderzimmer im Bett, als meine Mutter morgens entsetzt die Tür aufriss und brüllte "Lady Di ist tot". In unserer kleinen virtuellen Bürorunde wurde gestern diskutiert, wo man genau war, als Lady Di tot war, und jede Beteiligte konnte es noch genau sagen, inklusive der Informationsketten mit anderen Leuten. Ich erinnerte mich zudem noch an meine leichte Reaktanz, als Elton John, jetzt nicht zwingend meine Musikrichtung, ihr dann das einst für Marilyn Monroe geschriebene Lied umwidmete. Ich war mir damals nicht sicher, wie okay ich das fand, vermutlich nur mittel. Insgesamt war mir das alles ein wenig zu viel, zuviel Ansprache, zuviel heulen, zuviel Drama, alles in das eine Lied eingebaut, das ja sowieso eigentlich einer anderen Dame gehörte.

2001 wussten wir wieder alle, wo wir waren, das wurde gestern direkt mit abgeprüft. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals jemanden getroffen hätte, der nicht sehr genau wusste, wo er am 11. September war, mit wem, was er gerade tat. Ich saß in meiner kleinen Einzimmerwohnung und spielte Examensvorbereitung, natürlich mit Fernseh. Irgendwann schellte das Telefon, meine Sandkastenfreundin war dran, und dann starrten wir mit dem Telefon am Ohr schweigend stundenlang auf Peter Klöppel. 10 Tage später zeigte Sheryl Crow der Welt auf dem Tribute to Heroes Benefizkonzert, wie es richtig gemacht wird und sorgte mit ihrem Beitrag dafür, dass ich mich beim Gucken übergeben musste. Jetzt können Sie gerne das Lied schlecht finden, Sie können auch Sheryl Crow schlecht finden, ich bin weit entfernt von Fan, das steht hier alles ja gar nicht zur Diskussion. 10 Tage nach einem Anschlag dieser Kategorie, mit der Verstörung, der allgemeinen Angst, die alle hatten, diesem unbändigen Gefühl, dass nichts mehr so wird, wie es vorher war, mit den Tausenden von Toten, mit den unzähligen Rettungskräften, die ihr Leben gelassen haben, sich alleine in ein Studio mit Kerzen zu setzen und nur mit minimaler Klavierbegleitung das Lied zu spielen und dabei die Fassung zu bewahren, ist meines Erachtens eine nahezu übermenschliche Leistung. Wie gesagt, ich habe mich beim Gucken übergeben. Und der Effekt wirkt nach, das ist das einzige Lied, das mich so trifft, weil ich weiß, wie getroffen ich war, als ich es das erste Mal hörte. Mal gucken, ob Take Five das über die Jahre auch entwickelt, Candle in the Wind ist da jedenfalls weit von entfernt. Und nein, es ist nicht der unterschiedlichen Dramatik der Umstände geschuldet, glaube ich zumindest.

Soviel zu trauriger Musik. Aber heute ist ja ein anderer Tag. Heute wird alles gut, heute wird getanzt.

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